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Der Borussen-Check 2025/26

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Die Stimmung rund um Borussia Mönchengladbach zum Ende der vergangenen Saison war keine Gute und in der Sommerpause wurde sie zunächst nicht besser. Die recht bescheidene Neigung der handelnden Personen zur öffentlichen Selbstkritik und die Sommertragödie um Florian Neuhaus ließen die Hoffnung auf einen Aufschwung zur neuen Saison bescheiden werden.

Nun steht diese neue Saison unmittelbar bevor. Nach der Vorbeitung waren die Trübsalbläser und Menetekelseher ein bisschen stiller geworden. Der Frust, der einen im letzten Viertel der Vorsaison ereilt hatte, geriet in den Hintergrund. Dass die Mannschaft die Saison nach erfreulich frühzeitigem Erreichen des Minimalziels Klassenerhalt ganz offensichtlich auspimmeln ließ, obwohl mit Glück sogar nach oben noch etwas gegangen wäre, es war ein knappes Vierteljahr später nicht mehr so wichtig. Dazu kam die 125-Jahr-Feier. Auch wenn im Vorfeld, gerade vor dem Hintergrund der eher mäßigen Gesamtstimmung fast ein bisschen zu heftig für die Party im Borussia-Park getrommelt worden war und nachdem der Verein sich ganz schön auf die Hinterbeine stellen musste, um das Stadion zum Jubiläumsspiel auch voll zu bekommen, war es unter dem Strich eine außerordentlich gelungene Veranstaltung, die das Wir-Gefühl und damit auch die Vorfreude auf richtigen Fußball zur neuen Saison spürbar verbessern konnte. Dann aber kam das erste Pflichtspiel und nach dem fast schon peinlichen Auftritt beim knappen Sieg gegen Atlas Delmenhorst in Osnabrück ist der Optimismus-Speicher fast schon wieder leer.

Auf dem Transfermarkt hat Borussia bis dato unspektakulär aber anscheinend solide agiert. Der noch länger verletzte Tim Kleindienst wurde 1:1 durch Haris Tabakovic ersetzt, das Leihgeschäft könnte sich zum Win-Win-Deal für beide Seiten entwickeln: Borussia hat für wenig einen Ersatz-Kleindienst, Tabakovic hat zumindest ein knappes halbes Jahr lang die Möglichkeit, sich ins Schaufenster zu stellen und für mögliche künftige Arbeitgeber interessant zu machen. Der Abgang von Alassane Plea ist durch die Verpflichtung von Shuto Machino kompensiert worden, dem Abgang von Ko Itakura hatte man durch die Personalie Kevin Diks schon vorgebeugt. Im Mittelfeld gibt es mangels Abgängen plus Neuzugang Jens Castrop fast schon ein Überangebot. Dass keine weiteren Spieler für die Breite verpflichtet wurden, ist nur konsequent, wenn Borussia es mit der „Fohlen-Philosophie“ diesmal tatsächlich ernst meinen sollte. Mit Swider, Sauck, Mohya, Fleck und Herrmann sind mindestens fünf Spieler aus der eigenen Jugend ins Seniorenlager aufgerückt, mit denen größere Hoffnungen verbunden sind. Sollten sich zwei oder drei von ihnen wirklich soweit etablieren, dass sie zum festen Kader gehören und gelegentlich auch spielen, wäre das mit Blick auf die weitere Zukunft ein wichtiger Schritt. Zumindest bei Mohya ließ es sich im und nach dem Trainingslager sehr gut an. Der 16-Jährige ist zwar durch seine Knieverletzung erst einmal ausgebremst, aber der U17-Meister scheint tatsächlich nah an der Mannschaft gewesen zu sein und dürfte recht zeitnah auch wieder ein Thema für den Spieltagskader sein.

Eine Position, auf der ganz ohne Frage noch Bedarf besteht, ist die des rechten Verteidigers. Nach dem Abgang von Stefan Lainer gibt es keinen nominellen Backupspieler für Joe Scally. Der US-Amerikaner ist ein tadelloser Bundesligaspieler, auch wenn er sich nicht ganz so entwickelt hat, wie es anfangs möglich schien. Dahinter allerdings gibt es nichts – bis auf Spieler, die die Position „auch“ spielen können sollen, wie Kevin Diks und Jens Castrop. Solcherlei Versuche sind in der jüngeren Vergangenheit selten gut gegangen – mit Grausen erinnern wir uns an die wiederholten Versuche mit Nathan Ngoumou auf links. Sollte also Borussia willens und in der Lage sein, zumindest einen Teil der Itakura-Ablöse zu reinvestieren, hier wäre der richtige Ort. Nach der Verletzung von Kevin Diks im Pokalspiel und der erschreckend schwachen Defensivleistung in Oldenburg stellt sich zudem die Frage, ob man die offenbar über den Sommer nicht abgestellten Mängel in Sachen Kompaktheit nicht doch durch weitere Zukäufe abstellen kann und ob nicht doch noch ein weiterer Defensivmann nötig wäre. Andererseits ist die defensive Instabilität ein Phänomen, dass sich bei Borussia nun schon über mehrere Jahre und fast unabhängig vom spielenden Personal durchzieht. Vielleicht liegt es gar nicht an der individuellen Qualität? Wir sind hier eher ratlos.

Verstörend wirken vor diesem Hintergrund die Personalien, die nach wie vor medial kursieren. Man kann sich ebensowenig ausmalen, was Borussia mit einem geliehenen Paul Wanner anfangen soll. Erst recht schüttelt es einen, wenn von angeblich anhaltendem Interesse an Timo Werner die Rede ist. Um sich einen Platz für Giovanni Reyna auszudenken, reicht die Phantasie noch am ehesten. Aber dennoch sind das alles hoffentlich Gerüchte ohne nennenswerte Substanz.

Einen Fingerzeig, was sich bei Borussia in der neuen Saison ändern könnte, haben die jüngsten Personalentscheidungen von Trainer Gerardo Seoane geliefert. Mit Jonas Omlin und Julian Weigl wurden die bisherigen Kapitäne der Mannschaft abgesetzt, die Binde tragen jetzt zunächst Rocco Reitz und nach seiner Genesung dann Tim Kleindienst – als Typen beide so etwas wie die Antithese zu ihren Vorgängern. Sind Omlin und Weigl zumindest nach außen eher Leisetreter und auf dem Platz zurückhaltendere Typen, sind Reitz und Kleindienst Führungsspieler, wie man sie sich vorstellt. Hochengagiert, kämpferisch veranlagt und auch neben dem Platz durchaus wortmächtig und nicht zur Schönrednerei neigend. Den Mannschaftsrat komplettieren mit Philipp Sander und Kevin Diks zwei Spieler, die vom Typ her ebenfalls nicht der „Schwiegersohnfraktion“ zuzuordnen sind, weiter dabei ist mit Nico Elvedi der inzwischen längst dienstälteste Borusse, der seine Bemühungen, seine Karriere andernorts fortzusetzen, inzwischen begraben zu haben scheint. Insgesamt nimmt Seoane also die Spieler in Verantwortung, die sich als Träger derselben eigentlich aufdrängen, die „Typ Führungsspieler“ sind und deren Mentalität sich hoffentlich auf möglichst viele ihrer Mannschaftskameraden übertragen wird.

Thema Mentalität: Ob die Dekapitanisierung des Julian Weigl für Seoane das Prinzip „egal, was ist, Weigl spielt immer“ dauerhaft außer Kraft setzt, wird man sehen. Nachdem der Ex-Dortmunder im Pokal 90 Minuten auf der Bank saß, kursierten sofort Gerüchte um einen Abgang gen Saudi Arabien. Aber auch ohne Weigl ist dieser Mannschaftsteil vernünftig besetzt: (Nicht nur) durch seine Beförderung zum Spielführer sollte Rocco Reitz eigentlich gesetzt sein. Philipp Sander drängt sich als Nebenmann quasi auf, dazu kommt Jens Castrop, der auch nicht nach Gladbach gewechselt sein dürfte, um die Bank zu wärmen. Dass der eingangs kurz erwähnte Florian Neuhaus weiterhin Teil der Mannschaft ist, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Ob, wie und wenn wo der hochveranlagte Problemfall noch einmal wird eingreifen dürfen, lässt sich kaum prognostizieren. Einen Abnehmer für Neuhaus zu finden, dürfte angesichts seines inzwischen bundesweit bekannten Gehalts fast unmöglich sein.

Kurz zusammengefasst, was wir haben: Im Tor mit Moritz Nicolas und Jonas Omlin zwei gut bundesligataugliche Kandidaten, wobei Nicolas, (zurecht) zur Nummer eins erklärt, auch mehr als das sein kann, wenn er die Form der Vorsaison wieder erreicht. In der Defensive neben dem erwähnten Loch auf der rechten Seite eine ganze Reihe nachgewiesenermaßen tauglicher Innenverteidiger: Elvedi, Diks, Chiarodia, Friedrich. Links hinten wie gehabt Lukas Ullrich und Luca Netz, der bei Gerardo Seoane einen Stein im Brett zu haben scheint, hat der Trainer den Konkurrenzkampf auf dieser Position doch ausdrücklich als offen bezeichnet. Hartnäckig halten sich zudem Gerüchte, wonach Ullrich bei einem guten Angebot noch innerhalb dieser Transferperiode verkauft werden könnte. Zur Not könnten in diesem Fall auch Diks oder Chiarodia die linke Seite bespielen.

Das erwähnte große Personalangebot im Mittelfeld reizt zu Gedankenspielen, ob Borussia auch in einer anderen als der 4-2-3-1-Formation auflaufen könnte. Ein 4-3-3 oder ein 3-4-3 bzw. 3-6-1 würde einigen der Mittelfeldakteure mehr Spielzeit erlauben. Eine Spielvariante mit Machino und Kleindienst als Zweiersturm wäre auch noch denkbar. Machino vorne oder auf links sind die einzigen Varianten, die Platz für den offensiveren Kevin Stöger in der Startelf ließen. Ansonsten dürfen Robin Hack und Franck Honorat für die Außenpositionen als gesetzt gelten. Ngoumou (wenn wieder fit) und Machino wären derzeit erster Ersatz.

Und sonst? Wird entscheidend sein, ob sich doch noch so etwas wie ein greifbares Ergebnis der Arbeit von Trainer Gerardo Seoane und seines Stabes einstellt. Bisher ist der Anteil des Trainerteams an Erfolg bzw, Misserfolg schwer greifbar. Seoane hat keine sichtbare Handschrift, seine Entscheidungen wirken gelegentlich nicht so, als stünde eine Idee vom großen Ganzen dahinter. Auch im dritten Jahr ist Seoane ein wenig greifbarer Typ, liefert wenig Anlass, seine Kompetenz in Abrede zu stellen, aber genausowenig, sie als gegeben zu betrachten.

Die Arbeit von Roland Virkus ist unabhängig von seiner Außendarstellung zu betrachten und scheint – so er seiner Neigung zum Kaufen von Offensivspielern, die er aus der Sportschau kennt, nicht noch nachgibt – in diesem Sommer unspektakulär vernünftig gewesen zu sein.

Die Außendarstellung des Vereins als Ganzes ist nach wie vor zumindest für den kritisch-wohlwollenden Anhänger problematisch. Das Jubiläum zu feiern und umfassend zu bewerben ist gut und richtig. Den Eindruck zu vermitteln, die 125-Jahr-Feier, und damit mal wieder die Vergangenheit, sei deutlich wichtiger als die bevorstehende Saison, war vielleicht dann doch etwas too much. Sich für seine Bonität zu feiern und stolz darauf zu sein, als einziger Bundesligist ein entsprechendes Zertifikat bekommen zu haben, wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. Bewertet das mittelständische Unternehmen Borussia Mönchengladbach das Thema Bonität im Fußballbusiness womöglich über? Interessiert so ein Zertifikat einfach niemanden und deswegen macht sich kein anderer Fußballverein diese Mühe? Gleichzeitig wabert erneut durch die Medien, dass der Verein verschleiert, wie schlecht es wirklich um die finanzielle Situation steht. Ausgelöst wurde das Wabern nicht vom Boulevard sondern von einem der seriösesten und kundigsten Kollegen, die Borussia begleiten. Sollten seine Andeutungen die Wirklichkeit abbilden, fragen wir uns: Warum kommuniziert Borussia nicht offensiv, was geht, was nicht geht und warum? Die Mehrheit der Anhänger wird deutlich mehr Verständnis für Zurückhaltung am Transfermarkt und bescheidenere Ziele entwickeln, wenn die Begründung auf dem Tisch liegt. Und wenn es bedeutet, Fehler der Vergangenheit einzugestehen, sei’s drum. Dass z.B. die Gehaltsstruktur in der Vergangenheit explodiert ist, wissen seit diesem Sommer nicht mehr nur 1,2,3,4 Menschen, sondern alle.