Wer nicht hüpft...
Hatte man unmittelbar nach dem Ende der Spielzeit den Eindruck, dass bei Borussia nun doch zumindest ansatzweise etwas aufkommen könnte, das an Selbstkritik erinnert, wird die geschundene Borussenseele jetzt vom Geschäftsführer Finanzen beruhigt. Nein, es ist alles wie immer und es war im Grunde genommen ein Superjahr. Keine Angst, liebe Anhänger von Borussia Mönchengladbach, das Wohlfühlklima rund um den „famelljären Förrein“ vom Niederrhein bleibt, wie es ist.
Auf Borussias vereinseigenen Kanälen äußert sich Stefan Stegemann zufrieden. „Mit etwas Betrachtungsabstand“ sei es „ein ordentliches Jahr“ gewesen. Nach Schulnoten vielleicht eine drei – mithin befriedigend. Das Saisonziel sei doch nur um einen Platz verfehlt worden und überhaupt, hätte man ihm, Stegemann, vor der Saison in die Hand versprochen, Borussia werde Zehnter, er hätte eingeschlagen.
Die Erzählung, erst gegen Ende der Saison sei es nicht mehr rundgelaufen, wird dabei fein weiter gestreut, auch wenn diese Geschichte mit der Wirklichkeit nicht wirklich viel zu tun hat. Schlechter Start, bessere Phasen, eine mit wirklich beeindruckenden Ergebnissen und am Ende dann eine beeindruckende Pleitenserie. Das ist das, was die Daten hergeben. Aber was kümmert einen echten Borussen die Wirklichkeit? Zu Borussia gehöre auch „das Zufriedensein an der richtigen Stelle“. Nehmt das, ihr Stänkerer!
Nun, tun wir mal so, als seien wir gemeint. Lieber Herr Stegemann, Platz 10 ist nicht das Problem und natürlich fühlt es sich gut an, eine Saison ohne Zittern absolviert zu haben. Es ist das „Wie“, das gelegentlich zu Unbehagen geführt hat, und es ist vor allem das offensichtliche Fehlen jedweder Ambition über die Bewahrung des Status Quo hinaus, das manche (dazu zählen wir uns selbst nicht einmal) frustriert. Uns frustriert eher, dass die Mischung aus Ambitionsarmut, Risikovermeidung, Veränderungsscheu und Selbstzufriedenheit schon recht kurzfristig das Ziel „Bewahrung des Status Quo“ gefährden könnte. Die letzte Phase der abgelaufenen Saison legt den Verdacht nahe, dass viele grundsätzliche Probleme nicht nachhaltig beseitigt worden sind. Die Rückkehr der „Schwiegersöhne“ nennen es manche, man könnte auch sagen: Die offen gelebte Ambitionslosigkeit im Umfeld schlug sich am Ende sichtbar auf dem Platz nieder und die Mannschaft spielte völlig emotions- und ambitionslos die Saison herunter. Dass es zwischendurch mal so aussah, als könne Borussia das internationale Geschäft erreichen, hat die Fallhöhe natürlich vergrößert, entsprechend auch den Frust bei einigen Anhängerinnen und Anhängern. Aber völlig unabhängig von der Frage, ob irgendwelche Chancen weggeworfen wurden: Wenn wir nach vorne blicken, gibt es Stand heute wenig, das uns Hoffnung macht. Wenn Sie uns jetzt noch mal eine Saison ohne Zittern anbieten wollten, wir würden einschlagen. Nicht ohne Sie allerdings vorher zu fragen, ob Sie das wirklich für realistisch halten.
Was uns skeptisch stimmt, und warum uns die so offen vorgetragene leicht dickbäuchige Zufriedenheit ein bisschen nervt, fassen wir mal kurz zusammen. Vielleicht, das sei vorausgeschickt, sind wir auch zu pessimistisch und natürlich sind wir nicht im Bilde, was hinter den Kulissen gerade läuft. Wir hoffen sehr, dass etwas läuft.
Borussia wirkt gelegentlich wie ein Boot in stürmischer See, das sich zwar über Wasser halten, die Richtung aber nur bedingt selbst bestimmen kann. Im Grunde wirkt Borussia auch so, weil der Verein sich selbst ein wenig so darstellt. Auf dem Transfermarkt wartet man auf „Dominosteine“, die fallen müssen, damit man überhaupt in irgendeiner Form tätig werden kann. Dieses von Roland Virkus bemühte Bild wirkt so, als sei der Verein auf Gedeih und Verderb davon abhängig, dass irgendjemand den ersten Stein umwirft und dass die Steine dann auch so hintereinander stehen, dass einem Klub wie Borussia überhaupt der eine oder andere ins Haus fällt. Borussia befindet sich demnach in der Hand a) reicherer Klubs, b) der eigenen Spieler und ihrer Berater und c) externer Spieler und ihrer Berater. Es war bis vor ein paar Jahren geübte Praxis in Mönchengladbach, schon weit vor dem Ende einer Saison Klarheit zu haben, mit welchen Spielern man über den Sommer hinaus planen kann und planen will. Wenn Borussia sich als Hort der Bodenständigkeit und Stabilität sieht: Das war die Form von Bodenständigkeit und Stabilität, bei denen die Anhängerschaft gerne mitgeht. Zurzeit weiß Borussia offenbar noch überhaupt nicht, welche Spieler weg wollen, für welche es wirklich einen Markt gibt, und wie man mit denen umgeht, die durchaus bereit sind, ihren wohlbezahlten Vertrag hier auszusitzen. Entsprechend ist offenbar auch gar nicht genau zu sagen, für welche Position Spieler benötigt werden und wo man eine A oder eine B-Lösung braucht. Natürlich, das Geschäft verändert sich und dass Spieler und aufnehmende Vereine gerne bis Ende August warten, bis sie ein Geschäft tätigen, ist unschöne Wirklichkeit. Es fühlte sich aber ziemlich gut an, diesen Blödsinn nicht mitmachen zu müssen und die Saisonvorbereitung mit einem Kader zu starten, der über den dritten Spieltag hinaus auch zusammenbleiben würde. Was wir nicht wissen: Ist Borussia wirklich so getrieben von den Verhältnissen? Gibt es eine mittelfristige Planung? Arbeitet das Scouting? Arbeitet es für den Schreibtisch der Vereinsführung oder für den Papierkorb? Die Spielernamen, die gehandelt werden, auch die Spieler, die in den letzten Transferperioden verpflichtet wurden, die hätten wir, bei allem Respekt, auch vorschlagen können. Dazu reicht die wöchentliche Lektüre des Kicker.
Was uns außerdem wundert: Borussia spricht sich offen gegen finanzielles Harakiri aus (gut) und begründet sein Handeln oder Nichthandeln mit den engen finanziellen Gegebenheiten. Wir begrüßen die Offenheit, wundern uns aber darüber, dass weiterhin vor allem die Corona-Pandemie als Begründung herangezogen wird. Die war bekanntlich, wie es sich für eine anständige Pandemie gehört, nicht auf Mönchengladbach begrenzt. Warum kämpft Borussia dann offenbar deutlich länger und intensiver mit den Folgen, als die Konkurrenz? Welcher Verein beweint die Folgen von Corona immer noch so vernehmlich, wie unserer? Wir würden das gerne verstehen. Vielleicht sind wir dann ja still.
Wir fordern keinen Trainerwechsel, wir fordern nicht mal einen neuen Sportdirektor. Wir möchten nur den Eindruck haben, dass bei dem Verein, an den wir alle nolens volens unser Herz verloren haben, professionell und planvoll gearbeitet wird. Dazu gehört auch gelegentlich Härte – gegen sich selbst, gegen verdiente Spieler, gegen Bremser im eigenen System (um den Kalauer vorwegzunehmen: Wir wissen, dass Dirk Bremser schon lange nicht mehr für Borussia arbeitet). Im Moment zeigt Borussia nur dann Härte, wenn es darum geht, sich gegen Kritik aus der eigenen Anhängerschaft zu verwahren. Die offen zur Schau gestellte Selbstzufriedenheit, die wir schon lange mit flauem Gefühl im Bauch beobachten, hat mit den heutigen Einlassungen von Stefan Stegemann quasi das Siegel der offiziellen Vereinsprogrammatik bekommen. Ist das das, was eigentlich mit „Borussia-Weg“ gemeint ist? Wir hoffen, nein. Schließen möchten wir mit der Reaktion eines erfahrenen Werbe- und Marketingprofis nach Lektüre der Stegemann’schen Einlassungen: „Wenn ich so etwas als Ziel in meiner Agentur verkünden würde, wäre ich einen Tag später arbeitslos“. Aber eine Agentur ist natürlich ein Wirtschaftsunternehmen in einem hart umkämpften Markt. Und kein "fammeljärer Förrein".