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Das Steak aus der Matrix

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Mehrmals habe ich gestern mich und diese werte Redaktion gefragt, was ich zu diesem Sommerkick überhaupt schreiben soll. Mein Problem nach einer Nacht Schlaf ist: Ich weiß es immer noch nicht.

 

Die gute Nachricht ist, dass wir treue Leser und Leserinnen haben. Ja, Sie sind gemeint; da sie diese ersten Zeilen lesen, weiß ich, dass Sie auf „Weiterlesen“ geklickt haben, obwohl ich mir im sogenannten Teaser so wenig Mühe gegeben habe, Spannung aufzubauen, wie Gerardo Seoane auf Pressekonferenzen vor Bundesligaspielen.

Also habe ich mich eines kleinen Tricks bemüht, den die geschätzten Kollegen natürlich nicht durchschaut haben. Nachdem ich mehrfach meine Frage, was man zu diesem Spiel schreiben soll, wiederholt hatte, haben die Kollegen Schulte, Oehm und Mayer sich dann doch erbarmt, mir Hinweise zu geben – die ich nun nutzen werde, um diesen Nachbericht zu strukturieren. Grüße gehen raus, liebe Kollegen!

„Lass Volkhards Bilder sprechen und schreib ein paar Zeilen drum, was soll da eine große Analyse?“ (Claus-Dieter Mayer)

An den Fotos erfreuen sich alle Lesenden sicherlich (danke dafür, lieber Volkhard!). Also gut, die Chronistenpflicht. Borussia bleibt auch im sechsten Spiel hintereinander sieglos und verliert trotz einer ansprechenden Leistung beim mittelmäßig motivierten, neuen Deutschen Meister FC Bayern München 0:2. Seoane überraschte ein wenig mit der Aufstellung und schob Rocco Reitz spielbogentaktisch auf die Position im offensiven Mittelfeld, so dass Alassane Plea und Kevin Stöger zum ersten Mal in dieser Saison Sitznachbarn auf der Bank waren. Ob sie dort besser harmonierten als üblicherweise auf dem Platz, ist indes nicht überliefert. Reitz war natürlich kein Spielmacher, sondern einfach ein dritter Defensiver im zentralen Mittelfeld. Ko Itakura war gar nicht erst mit nach München gereist, was redaktionsintern die Vermutung auslöste, man wolle bei ihm womöglich nicht „thuramen“ (Michael Heinen), was ich ein ganz reizendes Kunstverb finde. So durfte Fabio Chiarodia erneut von Beginn an ran und sich 90 Minuten lang gegen einen der besten Mittelstürmer der Welt, Harry Kane, probieren. Was, soviel sei gesagt, fast ausnahmslos gut gelang.

Das Spiel selbst war ein einziger Sommerkick zwischen zwei Mannschaften, die ihre Saisonziele in der Liga schon erreicht hatten oder nicht mehr erreichen konnten. Borussia hatte einige gute Abschlussmomente und ein Remis wäre, nüchtern betrachtet, ebenso ein gerechtes Ergebnis gewesen. Sämtliche Torschüsse gerieten jedoch derart zentral und wenig platziert, dass es für den Manuel-Neuer-Fanclub aus Nürnberg, besser bekannt als „kicker“, ein Leichtes war, die nur noch zum Bundesliga-Mittelmaß reichenden Leistungen des chronisch verletzten 39-Jährigen zur Weltklasse zu stilisieren. Wie verzerrt die Wahrnehmung zwischen „solide“ und „Weltklasse“ ist, zeigt ein Vergleich zwischen der gestrigen Leistung Neuers und der Yann Sommers vergangene Woche beim epischen Champions-League-Halbfinale zwischen Inter Mailand und dem FC Barcelona. Der Autor gibt zu, dass es ihn durchaus erfreuen würde, wenn Sommer ausgerechnet in München den Champions-League-Pokal in den Himmel strecken würde.

Ach ja, die Tore für Bayern erzielten Kane (31.) nach einer Einzelleistung des starken Michael Olise, als der jetzt nicht mehr titellose Engländer einen Schuss des Franzosen per Kopf abfälschte, und Olise (86.) nach feinem Steckpass von Leroy Sané schließlich selbst.

„Auf jeden Fall kann man sich über die sagenhaft hässlichen neuen Trikots angemessen herablassend äußern. Die heimische Kurve hat ja nicht umsonst einen Bannertext verfasst, der von der Länge her auch Anfangssatz eines Thomas-Mann-Romans sein könnte. Max Eberl im Krachlederoutfit, der die Abschiebung Thomas Müllers beklatscht, wäre mir auch eine Gehässigkeit wert. (Michael Oehm)“

Das Streiten über gut oder mies aussehende Trikots ist so alt wie die Bundesliga selbst. Ich gebe zu, dass mir das meist wurscht war und bis heute ist. Es ist Teil der recht naiven Folklore von Fankurven, zu glauben, dass in Marketingabteilungen von Multi-Millionen-Konzernen, die Bundesligaverein inzwischen sind, irgendjemand Rücksicht auf Befindlichkeiten von Stehplatz-Dauerkarten-Inhabern nimmt.

Ebenso fremd ist mir das Lästern über Kleidungsstile. Das mag daran liegen, dass ich in Berlin wohne und das prägt, denn diese Stadt hat schon vor Urzeiten aufgehört, auch nur im Ansatz zu versuchen, so etwas wie Stil zu entwickeln – ganz im Gegenteil, hier wird das Hässliche und Kaputte noch zelebriert. Dazu habe ich seit mehr als einem Jahrzehnt ein durchaus gutes Verhältnis zum Sportvorstand des Rekordmeisters, aber auch darum geht es nicht. Die Aussortierung Thomas Müllers war und ist eine absolut richtige und überfällige Entscheidung. Müller soll dem Vernehmen nach (wie Neuer auch, übrigens) ein Gehalt von 20 Millionen Euro pro Saison erhalten. 80% davon sind alte Verdienste, ohne Frage, denn Müller hat als Spieler mehr Titel gesammelt als der gesamte Verein Borussia Mönchengladbach in seiner 125-jährigen Geschichte, Algarve-Cup, LTU-Wintercup und Hallenturniere eingeschlossen. Sportlich ist Müller wie sein Spielkamerad zwischen den Pfosten nur noch Bundesligadurchschnitt und hilft den Bayern bei ihren ehrgeizigen Zielen nicht mehr weiter.

„Das Glück kommt zu denen, die es erwarten. Nur müssen sie die Türen auch offenhalten“, schrieb Thomas Mann einst. Mit dem eingesparten Gehalt Müllers werden die Bayern aller Voraussicht nach die Türen Richtung Leverkusen offenhalten und Florian Wirtz ab der nächsten Saison bezahlen. Was ein Offensivtrio aus Wirtz, Jamal Musiala und Harry Kane für die Bundesliga bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Dass diese Liga und der europäische Fußball im Kern kaputt sind, ist ein Binse. Und manchmal fühlt man sich wie die Figur Permalink aus der „Matrix“, der, angesprochen auf die Scheinwelt, in der er lebt, sagte: „Ich weiß, dass dieses Steak nicht existiert. Ich weiß, dass, wenn ich es in meinen Mund stecke, die Matrix meinem Gehirn sagt, dass es saftig ist, und ganz köstlich.“ – Borussia wird in diesem Leben kein Steak mehr bekommen, ob scheinbar oder faktisch. Wir wären ja schon mit einem banalen Schnitzel „Wiener Art“ zufrieden (Conference League!), aber auch dieses Ziel wurde verpasst, nachdem wir nur Anfang April nach dem 1:0 gegen Leipzig zumindest kurz an der Panade riechen konnten. Was uns zum letzten Input aus der Redaktion bringt.

„ZEHN KOMMA FÜNF MILLIONEN“ (Kevin Schulte)

Ein halbes Thomas-Müller-Jahreshalt also überwies Borussia 2023 an Sparta Prag für Tomáš Čvančara, und man kann nur hoffen, dass dieses schmerzhafte Kapitel sehr bald beendet wird. Aus ähnlichen Gründen wie das von Thomas Müller in München. Der Tscheche wird in der Bundesliga schlicht mangels Qualität nicht mehr funktionieren und nimmt einen Kaderplatz für Talente weg. Dass diese groteske Geschichte um die angebliche Revolte gegen ihn in die Öffentlichkeit gelang, passiert selten grundlos. Da wird etwas lanciert, um etwas zu beschleunigen: Čvančaras Abgang im Sommer. Es entbehrt aus mehreren Gründen nicht einer gewissen Komik, dass Čvančara im gestrigen Spiel der schnellste gemessene Spieler auf dem Feld war und sogleich, so erfuhr der TV-Zuschauer, mit einer persönlichen Bestmarke. Einerseits fragt man sich, warum Čvančara ausgerechnet in einem der egalsten Spiele seit seinem Wechsel diese Sprintleistung hinlegt und gleichzeitig symbolisiert diese Szene das ganze Dilemma um ihn. Denn am Ende dieses beeindruckenden Sprints, bei dem er Gegenspieler Raphael Guerreiro mühelos abschüttelt, schießt er aus bester, weil freier Position allein vor Neuer eben diesen körpermittig an.

Was bleibt also von dieser Saison in der Rückschau? War Borussia über 34 Spieltage tatsächlich nur Mittelmaß mit einem kleinen, kurzen Ausreißer nach oben? Oder wurde hier einmal mehr eine Chance vertan, einen größeren Schritt zu gehen wie in der kommenden Saison mit dem noch heute nachwirkenden Aus beim Drittligisten Saarbrücken im DFB-Pokal?

Aktuell überwiegt Zweiteres, was ein wenig den hier zu vernehmenden Sarkasmus erklärt. Sicher ist, dass durch die Aufstiege des Hamburger SV und dem wahrscheinlichen Aufstieg des 1.FC Köln die Liga kommende Saison nicht leichter wird. Diese beiden Traditionsverein tun der Liga natürlich gut und haben qua Strahlkraft andere Möglichkeiten als die Heidenheims, Elversbergs und Kiels dieser Welt, sprich: sie gelten nicht automatisch als potenzielle sofortige Abstiegskandidaten.

Sollte Borussia im Sommer Kleindienst und Itakura abgeben müssen und nicht adäquat ersetzen können, droht tatsächlich sportlicher Ungemach und wir werden uns noch mehr ärgern, Europa so leichtfertig verspielt zu haben.  

Ja, ein Spieltag steht noch aus, im Spiel gegen den VfL Wolfsburg wird es noch um die Frage gehen, ob Borussia formal ihr Saisonziel Einstelligkeit erreicht, im schlimmsten Fall auf Rang 12 zurückfällt oder auch schlicht: „Der goldene Ananassico“ (Claus-Dieter Mayer). Damit hat es auch diese Empfehlung in meinen Nachbericht geschafft, wenngleich zweckentfremdet.