Resilienzforschung an der Brenz
Dass bei Borussia Mönchengladbach an diesem 24. Spieltag die Torhüterfrage im Zentrum des Interesses steht und vor allem, dass dort die mögliche Achillesferse vor dem Spiel beim FC Heidenheim liegen könnte. Niemand hätte sich das noch vor wenigen Wochen vorstellen können. „Luxusprobleme“ attestierte im Prinzip jeder dem Team, hat man doch eine große Zahl von Torhütern unter Vertrag, darunter mit Moritz Nicolas einen potenziellen deutschen und mit Jonas Omlin einen potenziellen Schweizer Nationalkeeper. Wer kann ahnen, dass sich zunächst der zur klaren Nummer eins und zum Publikumsliebling avancierte Nicolas so schwer verletzt, dass die Saison für ihn gelaufen ist und dann der etatmäßige Kapitän Omlin nach dem Schweizer Doppelbock im Heimspiel gegen Augsburg gesperrt aussetzen muss?
Tobias Sippel, der gegen Augsburg für Omlin reinkam, ist zwar ein erfahrener Torwart mit rund 250 Profi-Spielen, er ist aber in Gladbach schon lange nur Ersatz. Bei seinem letzten Intermezzo als Omlin-Vertreter Ende 2022, Anfang 2023, wirkte Sippel schon häufig unsicher. Als mitspielender Torwart, wie es in Gladbach seit Marc-André ter Stegen üblich ist, ist der frühere Lauterer kaum zu brauchen. Gegen Augsburg wurde Sippel kalt in die Partie geworfen, so mag es unfair sein, seine Mitverantwortung für mindestens zwei der drei Gegentore als Kill-Kriterium anzuwenden, aber sagen wir so: Ein richtig gutes Gefühl hat im März 2025 niemand mehr, wenn Tobias Sippel das Tor von Borussia Mönchengladbach hütet. Die Alternative allerdings kennt kaum jemand. Zwar gilt Tiago Pereira Cardoso als großes Talent, hat für Luxemburg sogar schon drei A-Länderspiele gemacht und ist Stammkraft in Borussias erfolgreicher U19 (für die Ü50er „A-Jugend“). Ob ihn das automatisch zu einem brauchbaren Bundesligatorwart macht, weiß kein Mensch, vermutlich nicht einmal Gerardo Seoane, der sich öffentlich noch nicht festlegen wollte, wen er in Heidenheim ins Tor stellt. „Wir tendieren in eine Richtung“, gab der Trainer am Donnerstag zu Protokoll, ohne anzudeuten, welche Richtung das ist.
Personell gibt es darüber hinaus nichts Neues. Rocco Reitz und Franck Honorat sind weiter verletzt, und da Seoane Seoane ist, steht die Aufstellung für Samstag damit schon mehr oder weniger fest. Kevin Stöger scheint Alassane Plea im Moment den Rang abgelaufen zu haben, Nathan Ngoumou ist auf rechts ohnehin gesetzt, nachdem das Experiment mit Cvancara schief und die vergangenen Spiele von Ngoumou ziemlich gutgegangen sind. Der Franzose war gegen Augsburg einer der wenigen Lichtblicke in einer zeitweise doch arg derangiert wirkenden Gladbacher Mannschaft.
In Heidenheim wird sich weisen, ob das Augsburg-Spiel lediglich einen Ausreißer in der stabilen bis ansteigenden Formkurve darstellt und ob das Team tatsächlich inzwischen so gefestigt ist, um solche Negativerlebnisse einfach abzuschütteln. Verloren hat Borussia gegen die Schwaben noch nie, wenngleich die Spiele nie echte Leckerbissen waren. Angenehm zu spielen ist Heidenheim nicht, allerdings auch nicht so unangenehm wie die Nachbarn aus Augsburg. Mit deren „Wir bilden zwei Ketten und wenn mal einer durchkommt, hauen wir den einfach um“ kam Borussia vergangene Woche so gar nicht zurecht. So robust bzw. eklig ist das Team von Frank Schmidt nicht.
Dieses Team hat in der vergangenen, an außergewöhnlichen Geschichten nicht armen Saison einen märchenhaften Aufstieg noch veredelt. Nie in Abstiegsgefahr, dafür am Ende im internationalen Geschäft. Hätte es nicht parallel die Leverkusener Sensationsspielzeit und den Stuttgarter Höhenflug gegeben, über Heidenheim wäre sicher mehr gesprochen und geschrieben worden. Die stärksten Spieler wurden, weil das Geschäft nun mal so ist, danach weggekauft. Aber aus Gladbacher Sicht möchte man das nicht beweinen. Während Jan-Niklas Beste schon während der vergangenen Saison in die Nationalmannschaft berufen wurde, geschah dasselbe mit Tim Kleindienst erst nach seinem Wechsel an den Niederrhein, wo er – ach, was sollen wir da noch sagen: Tim Kleindienst, bester Mann. Nur nicht gegen Augsburg. Beste dagegen wurde in Lissabon nicht glücklich, wechselte im Winter nicht, wie erhofft, zu Kleindienst nach Gladbach sondern nach Freiburg und sitzt seitdem dort auf der Bank.
Ohne Kleindienst und Beste lief der Saisonstart für den FC Heidenheim recht ordentlich, aber im Gegensatz zum Vorjahr kam in die Leistungen und Ergebnisse keine Konstanz. Heidenheim spielt selten wirklich schlecht und hat viele Punkte unglücklich liegenlassen. Zuletzt konnte das Team in Leipzig eine 2:0-Führung nicht über die Zeit bringen. Allerdings war es für Heidenheim das beste Spiel der Rückrunde und vor allem der erste Punkt.
Das sensationelle Erreichen der Conference League sorgte einerseits für die vielbeschriene Doppelbelastung, andererseits aber lange Zeit auch für die Erfolgserlebnisse, die in der Bundesliga ausblieben. In den Playoffs schied man dann sehr unglücklich aus – mit einer Heimniederlage nach Verlängerung gegen den FC Kopenhagen mit Borussias künftigem Abwehrchef Kevin Diks, der ein Tor schoss und ein weiteres vorbereitete.
Gegen Borussia hat Heidenheims Trainer Frank Schmidt leichte Personalsorgen. Im defensiven Mittelfeld fallen gleich zwei Stammkräfte aus. Jan Schöppner ist wegen der fünften gelben Karte gesperrt, sein etatmäßiger Nebenmann Niklas Dorsch schon seit Ende Januar verletzt. Stattdessen wird im defensiven Mittelfeld voraussichtlich der frühere Gladbacher Jugend- und U-23-Spieler Julian Niehues auflaufen. Der kommt noch recht frisch aus einer langen Verletzungspause wegen eines gerissenen Kreuzbandes. Bisher stehen für den 23-Jährigen nach seiner Genesung nur drei Kurzeinsätze zu Buche. Zwei weitere potenzielle Stammkräfte – Leonardo Scienza (Mittelfeld) und Frans Krätzig (Abwehr) – sind angeschlagen, bei ihnen ist noch nicht sicher, ob sie es am Samstag in den Kader schaffen.
SEITENWAHL-Prognose
Christian Spoo: So leicht bekommt Borussia das Augsburg-Spiel nicht aus den Knochen. In Heidenheim tut sich die Mannschaft schwer, holt am Ende aber immerhin einen Punkt. 1:1.
Michael Heinen: In Heidenheim findet Borussia durch einen 2:1-Auswärtssieg zurück in die Spur.
Mike Lukanz: Früher wäre Borussia nach einem Dämpfer wie dem gegen Augsburg in einem Leistungstief versackt. Aber diese Saison zeigt die Mannschaft eine neue Qualität, nämlich Widerstandsfähigkeit. 2:0-Auswärtssieg.
Claus-Dieter Mayer: Die gute Nachricht: Gladbach schießt wieder Tore. Ausgerechnet Tim Kleindienst schenkt seinem Ex-Verein gleich zwei Dinger ein. Die schlechte Nachricht: man spielt weiterhin ohne Torwart, weswegen es am Ende nur zu einem 2:2 reicht.