Der Borussia-Weg: Familiär Richtung 2. Liga
Borussia Mönchengladbach war im Sommer mit viel positiver Energie in die neue Saison gestartet, und die ersten Auftritte schienen ein zartes Pflänzchen wachsen zu lassen. Nach vier Niederlagen in sechs Ligaspielen und Woche für Woche weichender Form ist Borussia im Frühherbst 2024 erneut im Sinkflug. Was von außen lapidar als Fehlstart in eine weitere Saison eingeordnet werden könnte, ist im Kern eine fundamentale Führungskrise eines Vereins, der sich innerbetrieblich auf die familiären Schultern zu klopfen scheint, dabei aber taumelnd Richtung Zweitklassigkeit mäandert. Und das mit Ansage. Ein kommentierende Analyse von Christian Spoo, Volkhard Patten & Mike Lukanz.
Der Verein beschwört immer wieder den „Borussia-Weg“. Was diesen Weg genau ausmacht, warum er eingeschlagen ist und wo er hinführen könnte, ist nicht auszumachen. Klar scheint nur eins: Bisher führt dieser Borussia-Weg kontinuierlich bergab. Wenn dieser „Borussia-Weg“ nur die groben Linien der Vereins- und Transferpolitik darstellen soll, im optimalen Fall also „Spieler günstig verpflichten, aufbauen und mit Gewinn verkaufen“ bedeutet, dann ist das zwar ein Ansatz, aber einer, der zusehends schlechter gelingt. Der Abstieg in die 2. Bundesliga wurde vergangene Saison nur denkbar knapp vermieden, jedoch deutet auch in der neuen Spielzeit inzwischen wenig darauf hin, dass der "Borussia-Weg" am Ende nicht doch genau dorthin führt.
Seoane liefert wenig Argumente
Was der „Borussia-Weg“ auf dem Platz zu bedeuten hat, bleibt im besten Fall nebulös. Man würde meinen, dass er dort auch nichts zu suchen hat, würde Roland Virkus nicht nach jedem verlorenen Spiel betonen, dass man sich von seinem Weg nicht abbringen lassen werde und irgendwie am Ende ja doch auf einem guten sei. Es ist mehrfach in den Spielberichten auf SEITENWAHL deutlich geworden, dass zumindest wir keine Struktur, kein System und keine Herangehensweise erkennen können, die Trainer Gerardo Seoane seinem Team verordnet. Der Trainer hat, man muss es in dieser Deutlichkeit sagen, in seinen 15 Monaten Amtszeit bisher nur wenig Werbung für sich gemacht. Vom begeisternden Offensivfußball, den Seoane in seiner unterm Strich doch erfolgreichen Zeit bei Bayer Leverkusen bot, ist nichts zu sehen. Und irgendwie wird man von außen das Gefühl nicht los, dass Seoane mit angezogener Handbremse arbeitet und kommuniziert. Eine Unaufgeregtheit im sonst hektischen Medien-Geschäft Profifußball in allen Ehren, doch ein noch halbwegs junger und hoffentlich ambitionierter Trainer wie Seoane kann es nicht egal sein, dass seine Mannschaft Woche für Woche, von wenigen Ausnahmen abgesehen, so dermaßen berechenbar auftritt, dass jeder Gegner schon mit Anpfiff einen Sieg wittert: ob es der FC Bayern ist oder der 1.FC Saarbrücken. Beim Blick auf die Startaufstellung ist immer klar, wann welche Wechsel passieren. Taktische Finessen oder Umstellungen während des Spiels finden kaum statt, seit Jahren ist Borussia jedes Mal aufs Neue überrascht, wenn Gegner wie Augsburg, Mainz, Union Berlin oder sogar Darmstadt 98 über Lauf- und Kampfbereitschaft ins Spiel kommen. Gegner, die offener und fußballerischer auftreten, erlauben Borussia zwar mehr Luft zum Atmen, sind aber individuell leider zu gut (Stuttgart, Leverkusen, Leipzig, Dortmund oder FC Bayern), um sie zu besiegen. Selbst wenn die Spiele offen gehalten werden, wird die seit Jahren größte Schwachstelle im Kader, die Abwehr, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit individuelle Aussetzer haben, die das Spiel kippen lassen.
Um Argumente „pro Seoane“ gebeten, fällt einem außer „Kontinuität“ wenig ein. Allerdings ist der Trainer in einer Situation wie der aktuellen immer ein leichtes Opfer und so einfach, wie es ausschaut, ist es natürlich nicht. Denn der Borussia-Weg führt nicht erst seit der Inthronierung von Gerardo Seoane talwärts. Im Grunde begann der Abstieg mit der Ankündigung von Marco Rose, seine Ausstiegsklausel zu ziehen und nach Dortmund zu wechseln. Lang ist’s her. Die Ereignisse seither sind vielfach beschrieben worden und müssen hier nicht im Einzelnen rekapituliert werden. Es zeigen sich in diesen Jahren des Grauens aber Muster und Phänomene, die eine nähere Betrachtung verdienen und die weit tiefer gehen als strukturelle Probleme innerhalb der Mannschaft, auf die wir jedoch nun zuerst eingehen wollen.
Nur wenige Spieler haben sich in der Zeit vom späten Marco Rose über Adi Hütter, Daniel Farke und Gerardo Seoane weiterentwickelt. Hoffnungsvolle Talente stagnieren – Joe Scally und Luca Netz spielen viel, sind aber im Herbst 2024 nicht besser, als sie zur Zeit ihres Debüts im Borussen-Trikot waren. Auch diverse andere Spieler haben sich nicht weiterentwickelt – Julian Weigl, Alassane Plea, Ko Itakura, mit gutem Willen Nico Elvedi scheinen ihren Zenit erreicht zu haben oder sind darüber hinaus. Eine positive Entwicklung kann bislang Robin Hack und Rocco Reitz attestiert werden, wobei beide gerade erst in ihrer zweiten Spielzeit als potenzielle Stammkraft sind. Einem Florian Neuhaus wurde unter großem vereinsmedialen Pathos die Rückennummer "10" verpasst, mitsamt einer kräftigen Gehaltserhöhung, die offenbar aber mit Seoane nicht abgestimmt war, denn diesem scheinen weder Rückennummern noch Kontoauszüge zu imponieren, so dass Neuhaus inzwischen einer der teuersten Bankdrücker der jüngeren Gladbacher Geschichte geworden ist.
Dagegen steht eine ganze Reihe von Akteuren, die eher schlechter als besser geworden sind oder nie so gut waren, wie man sie anfangs eingeschätzt hat. Marvin Friedrich, der schon genannte Neuhaus, Ngoumou, Cvancara und Jonas Omlin aus dem aktuellen Kader. Aber auch die inzwischen Ex-Borussen Christoph Kramer und Manu Koné gehören zu den Spielern, denen man eine regressive Entwicklung unter den genannten Trainern bescheinigen muss. Die Neuborussen Kleindienst, Stöger und Sander sind erst ein paar Wochen da, ob sie sich weiter-, überhaupt nicht oder gar zurückentwickeln, wird die Zeit zeigen. All das spricht dafür, dass es nicht helfen wird, allein einen weiteren Trainer zu opfern. Bei Adi Hütter änderten sich die Voraussetzungen, unter denen er eingestellt worden war, rasant. Daniel Farke hatte eine Idee, aber nicht den passenden Kader und offenbar nicht die Mittel, den Kader passend zu machen. Gerardo Seoane hat keine erkennbare Idee, geht die Sache nüchtern-pragmatisch an, hat aber keinen Deut mehr Erfolg mit dieser Herangehensweise. Ein klares Anforderungsprofil an einen Trainer scheint es nicht zu geben, außer vielleicht, dass er die Rahmenbedingungen in Gladbach ohne zu Murren akzeptiert. Das tut Gerardo Seoane, was ihn, darauf kommen wir später zu sprechen, zu einem aktuell passenden Übungsleiter macht. Drei Trainer wurden also geholt, die offenbar nicht passen.
Die "Borussen-Familie" als Hemmnis?
Doch wozu eigentlich passen? Zum Kader, der sich über die Jahre ja doch geändert hat? Ein Blick auf die Startaufstellung bei Adi Hütters erstem Pflichtspiel im Vergleich zum Spiel vor Wochenfrist in Augsburg reicht als Beweis, dass der Kader eben nicht der gleiche war und ist. Oder passen die Trainer auch nicht zu einem Verein, der seit dem Abgang der Überfigur Max Eberl betäubt herumirrt und sich in einer Art Trutzburg verbarrikadiert, in die Kompetenz von außen nicht eindringen darf und wenn, sehr zügig scheitert. Nils Schmadtke, inzwischen Chef-Scout beim Deutschen Rekordmeister FC Bayern München, ist nur das jüngste Beispiel. Wenn am Niederrhein ein Manager nach einem Jahr scheitert, ohne je wirklich gewirkt zu haben, für einen der größten und erfolgreichsten Vereine der Welt aber gut genug zu sein scheint, scheinen die Rahmenbedingungen an der Hennes-Weisweiler-Allee nicht nur vordergründig wenig leistungsbejahend.
Aber was sind die Rahmenbedingungen beim VfL Borussia 1900 Mönchengladbach? Positiv gesehen: Ein familiärer Verein, der dank konservativen Wirtschaftens zwar "nicht reich, aber gesund" und deswegen im Mittelfeld der Bundesliga gut aufgehoben scheint. Die wenigen Führungsposten, die freiwerden, sind mit Kräften aus dem eigenen Haus nachbesetzt und sorgen so für Kontinuität und Verlässlichkeit. Ein Verein, der über eine in der Bundesliga bemerkenswert solide Infrastruktur mit Hotels, Trainingszentren und medizinischer Versorgung verfügt, die Wettbewerbsvorteile bringen sollte. Und eine Jugendakademie, die schon in Zeiten ihrer Gründen regelmäßig mit Bestnoten ausgezeichnet wird. So weit, so mittelmäßig.
Schaut man weniger gewogen auf Borussia, ergibt sich ein etwas anderes Bild. Wir haben von SEITENWAHL in den vergangenen Wochen und Monaten mal etwas tiefer in den Verein reingehört, ohne uns mit PR-Sprech oder hemdsärmeliger Provinzprosa abzufinden. Gerade die Attitüde des „familiären Vereins“ steht der Weiterentwicklung, so unser Eindruck, zusehend entgegen, weil es eine Abwehrhaltung entwickelt hat, statt eine positive Strahlkraft zu entwickeln. Wie in der Regionalliga Nord, in der das 1000-Einwohner-Dorf Jeddeloh mit dem Spruch „Ein Dorf rockt die Regionalliga“ Jahr für Jahr gerade mal so den Klassenerhalt schafft und sich darüber freut, wird bei Borussia das Mantra „Nicht reich, aber gesund“ gebetet. Es ist jedoch das in Worten gegossene Eingeständnis, nicht mehr als Mittelmaß sein zu können, ja, vielleicht nicht sein zu wollen. Die deutsche Hauptstadt Berlin leidet in ihren Grundzügen noch heute unter dem "arm, aber sexy"-Attribut, das ihr der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit verpasste. Ebenso wohlwollend gemeint, ebenso schiefgegangen. Nicht wenige Fans wären aktuell eher geneigt, "nicht schön, aber erfolgreich" als Mittel der Wahl auf dem Platz zu akzeptieren.
Was Borussia als Blutauffrischung bräuchte, wäre eine Dialyse. Selbst eine Transfusion wäre schon zu wenig. Sinnbildlich hierfür steht die bereits erwähnte Personalie Nils Schmadtke. Geholt als Sportdirektor Lizenzspieler, gegangen als Sündenbock. Vielen alteingesessenen Mitarbeitern von Borussia, so hören wir, war dieser "Jungspund" von Anfang an suspekt. Dazu kam, dass seine Arbeitsplatzbeschreibung nicht deutlich definiert war. Während der mehrmonatigen Abwesenheit von Steffen Korell hatte Schmadtke durchaus Teile der anfallenden Arbeit mit erledigt. Dies war aber nicht gewünscht, viel mehr noch: Korell fühlte sich in seinem Kompetenzbereich beschnitten, anstatt die Chance zu sehen, die Arbeit auf breitere Schultern zu verteilen. Korell selbst wollte nie ins Rampenlicht, reagiert aber unwirsch, wenn in seinem Tätigkeitsbereich andere wirken. So geht in Schmadtke dann einer, der anpacken wollte, aber auch unbequem war, zu einem der größten europäischen Vereine. Hinweise zu Veränderungen werden bei Borussia nicht gerne gesehen, von einem, der von außen kommt, gar nicht erst gehört. Es sind die aus der freien Wirtschaft bekannten Reflexe eines Familienbetriebs, in denen die Zugehörigkeit zur Unternehmerfamilie allein ein Qualitätsmerkmal ist.
Es wundert dabei auch nicht, dass Borussia als dieser selbsterklärte Familienverein großen Wert darauflegt, dass sich seine Mitarbeiter mit dem Verein identifizieren - so sehr, dass die bloße Möglichkeit, für Borussia zu arbeiten, schon ein wesentliches Argument für die Personalgewinnung gilt. Finanziell gesehen ist für Mitarbeiter auf der Arbeitsebene, noch nicht einmal so weit abseits der Profimannschaft, auch bei der Bundesligakonkurrenz zumeist mehr zu verdienen. Das ist an sich bedauerlich, wäre aber zumindest strukturell weniger ein Problem, wenn sich dies nicht auf Qualität und Expertise der zu gewinnenen Mitarbeiter auswirken würde. Wenn die Konkurrenz auch aus dem Bundesliga-Mittelfeld mitunter fast das Doppelte zahlt, überlegen sich talentierte Externe mehrfach, ob sich der Weg an den Niederrhein lohnt. Nicht nur auf dem Platz gilt eben auch, dass Qualität Geld kostet.
Und vielleicht steckt dahinter auch Methode: Borussia setzt viel auf das Modell des "Mitarbeiters und Fans", belohnt - so hören wir aus dem Verein - Unternehmenszugehörigkeit nicht selten stärker als besondere Leistungsfähigkeit. Führungspositionen sind zum überwiegenden Teil mit Mitarbeitern besetzt, die Borussia bereits vor dem großen Aufschwung zu beginn der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts treu waren. Man kennt sich, man schätzt sich, man tut sich nicht weh. Das gilt im sportlichen, als auch in anderen Arbeitsbereichen, wo Verbindungen untereinander in der Regel Jahre zurückreichen.
Eine Schwäche im sog. Middle Management ist nichts, was Borussia exklusiv hätte - unzählige kleine, mittelständische und große Unternehmen schleppen diese Problem mit sich herum. Nur sind die Auswirkungen in einem Sportverein im medialen Fokus ungleich größer, entscheiden Erfolg und Misserfolg sehr viel kurzfristiger. Wer ist schuld, wenn die Jugendteams seit Jahren keine größere Zahl an Talenten in den Profibereich überführen konnten, geschweige denn um Jugendmeisterschaften spielen, was sehr regelmäßig in Mainz, Hoffenheim oder selbst bei Hertha BSC gelingt? Wer trägt die Verantwortung, dass aus dem Scouting schon lange keine Erfolgstransfers in Reihe geliefert werden, wie es noch vor zehn Jahren der Fall war? Warum kommuniziert Borussia nach außen nicht wie ein modernes Unternehmen, sondern ähnlich hemdsärmelig wie schon vor 20 Jahren, obwohl es inzwischen einen Geschäftsführer Medien & Kommunikation gibt? Den Job, den Markus Aretz früher alleine machte, teilen sich inzwischen zwei Pressesprecher im friedvollen Job-Sharing-Modell. Alle verdienten Kollegen erhalten irgendwie einen Posten, ganze Abteilungen sind aufgebläht. Viel Masse, aber auch immer viel Klasse? Die hektisch wenige Tage vor der Mitgliederversammlung beschlossene und verkündete Änderung des Präsidiums wirft auch aus heutiger Sicht noch kein gutes Licht auf die Fähigkeit einer offenen und transparenten Kommunikation.
Doch wer soll diese Versäumnisse intern auch thematisieren oder aufarbeiten, wenn alle Handelnden oder Verantwortlichen seit Jahren auf ihren Posten sitzen oder sogar in die Geschäftsführung befördert wurden?
Die Figur Roland Virkus
Eine der Hauptschwächen derzeit ist die Nichtzusammenarbeit zwischen sportlicher Führung und den internen Abteilungen, die für die Sichtung neuer Spieler zuständig ist. Früher haben dort Trüffelschweine gearbeitet, die Talente gefunden haben. Inzwischen werden aber immer mehr Spieler vom Sportdirektor direkt und ohne Einbeziehung des Scoutings verpflichtet. Vertraut Virkus dem eigenen Scouting nicht mehr? Oder ist er der Meinung, dass er aufgrund seiner Erfahrung als Jugendscout die Expertise einer ganzen Abteilung nicht mehr braucht? Der Transfermarkt in der Bundesliga ist etwas anderes als in der U17-Regionalliga, wo man als Verein Borussia Mönchengladbach bisweilen nur mit einem Gang durchs Vereinsmuseum locken und auf einen Platz im Internat hinweisen muss, um ein Talent aus Kempen oder Düsseldorf-Unterrath zu holen. Die Stimmung innerhalb des Vereins, so hört man es hinter vorgehaltener Hand immer wieder, ist so vergiftet, dass keiner mehr den Kopf aus der Deckung hebt aus Angst, sofort geköpft zu werden, wenn etwas schiefgeht. Warum Virkus sich in diesem Sommer trotz mehrerer Vorschläge aus dem Scouting, die seit Monaten auf dem Tisch lagen, gegen eine Verpflichtung weiterer Abwehrspieler entschieden hat, wird für immer sein Geheimnis bleiben. Das Ergebnis dessen ist jede Woche auf dem Platz zu bestaunen, denn auch in der Gegentorflut behält Borussia ihre unrühmliche Kontinuität.
Apropos Virkus: Auch nach zwei Jahren bleibt die Beförderung vom Jugendkoordinator zum Geschäftsführer Sport ein größeres Rätsel. Zitieren wollen wir an dieser Stelle die Worte des damaligen Präsidenten Rolf Königs, der nach dem Rücktritt Eberls sagte: "Wir geben uns nicht viel Zeit. Wir haben die Möglichkeiten intern schon abgesteckt, wir werden uns extern umschauen", um zwei Wochen später eben diese interne Möglichkeit als "Wunschlösung" zu kommunizieren. Externe Kandidaten hatten dankend abgewunken, der Verein war zudem nicht bereit, marktübliche Gehälter zu bezahlen. Virkus hatte schon als Jugendkoordinator nicht den allerbesten Ruf, im erweiterten Jugend- und Amateurfußball am Niederrhein galt er schon seit Jahren als Choleriker und arrogant, seine Erfolgsbilanz war schon in seiner ehemaligen Rolle als Jugendkoordinator mit "mäßig" noch halbwegs höflich umschrieben. Das fiel jedoch nie weiter auf, als Eberl, selbst einst für die Jugendakademie verantwortlich, noch das Sagen hatten. War Virkus also, wie es intern heißt, tatsächlich nur die C-Lösung, oder war schon damals der Wunsch einfach nur größer, innerbetrieblich zu befördern als externe Blicke und Impulse zuzulassen?
Zudem ist Virkus' Schicksal zu sehr mit dem von Trainer Seoane verknüpft. Ein Rauswurf des Schweizers ist nicht mehr im Bereich des Unmöglichen, zu viel rumort es rund um den Niederrhein. Aber es wäre eben Rauswurf Nummer drei durch Virkus, nachdem bereits Hütter (noch von Eberl geholt) und Farke nach nur einem Jahr gehen mussten. Virkus' Vertrag endet im Sommer 2025, so dass davon auszugehen ist, dass er so lang wie irgend möglich an Seoane festhält und die Saison halbwegs positiv abschließen möchte. Das aktuell sehr ambitioniert wirkende Saisonziel "einstelliger Tabellenplatz" wird dabei als Maßstab angelegt werden.
Alles bleibt beim Alten
Bleibt ein Blick auf das Gremium, das qua definitionem alles überwacht und im Zweifel eingreifend wirken könnte: das Präsidium. Rainer Bonhof ist eine Legende des Klubs und wäre, wie unser SEITENWAHL-Kollege Kevin Schulte in seiner jüngsten Folge des "Pfostenbruch"-Podcasts richtig einordnete, in einem funktionierenden und professionellen Verein die perfekte Lösung: Bonhof ist jovial, beliebt bei Fans und Medien. Aber eben auch einer, der im Bemühen um humorvolle Lockerheit erklärt, der "Borussia-Weg" bestünde darin, "immer ein Tor mehr als der Gegner" zu erzielen und seine neue Vize-Präsidentin Hannelore Kraft, immerhin eine ehemalige Ministerpräsidentin, nach deren Wahl "Borussen-Braut" nennt. Erinnert hatte sich Bonhof an einen Moment auf der Ehrentribüne, als Kraft bei einem Torjubel erst Bonhof, dann erst ihrem eigenen Ehemann um den Hals fiel. Ebenfalls neu im Präsidium wurde Anfang des Jahres Roger Brandts gewählt. Der war Gründer und CEO von Fynch-Hatton, einer in Mönchengladbach beheimateten Textilmarke und hat, natürlich, an der Hochschule Niederrhein studiert. Das ist alles irgendwie halb nett, aber eben auch halb provinziell.
Zuletzt wurde die vorerst vielleichte letzte Patrone verschossen, um die bereits erwünschte Blutauffrischung zu ermöglichen. Nach dem Rücktritt von Stephan Schippers keimte in Fankreisen zumindest kurz die Hoffnung auf, nun eine neue, starke Person von außen auf einem sehr wichtigen Posten zu installieren. Bestärkt wurde der Gedanke durch die Kommunikation, dass ein neuer Kandidat schon gefunden sei, dies aber mit "Rücksicht auf den aktuellen Arbeitgeber" noch nicht verkündet werden könne. Die Personalie Dr. Stefan Stegemann zeigt jedoch erneut, dass Borussia gerne weiter im eigenen Saft schmort. Stegemann gehörte bereits seit 2022 zum Präsidium, wurde in der oben erwähnten Neubesetzung des Präsidiums flugs zum Vize-Präsidenten ernennt, um sich wenige Monate später wieder als neuer Geschäftsführer vorzustellen. Interne Personalrochade als Selbstzweck. Zwar ist es grundsätzlich keine schlechte Idee, einen erfahrenen Geschäftsführer aus der freien Wirtschaft zu verpflichten, der dazu auch noch bei der Unternehmensentwicklung sehr erfolgreich war und natürlich hat auch Stegemann die Chance verdient, Impulse zu setzen, daher sollte nicht frühzeitig der Stab über ihn gebrochen werden. Pikant: Noch hätte Stegemann in seiner aktuellen Rolle als Teil des Präsidiums bei Borussia wenige Wochen Zeit, sich die Geschäftsführer auszusuchen, an deren Seite er ab dem 1. Januar 2025 arbeiten möchte. Es wäre jedoch arg un-borussisch, jetzt eine Palastrevolte zu starten. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass Stegemann den wirtschaftlichen Kurs von Schippers verlassen wird.
Der "Schalke-Weg" als Warnung
Bleibt Borussia ein Verein, der Herausforderungen nur von innen heraus zu bewältigen versucht, ist nicht zu erwarten, dass der Borussia-Weg kurz- und mittelfristig auch wieder aufwärts führt. Bestenfalls ist der Klub auf einem Niveau angelangt, auf dem er sich mittelfristig halten kann. Fast wäre man geneigt, das unter den gegebenen Umständen schon als Erfolg zu verbuchen. Leider taumelt der Klub seit dem Abgang von Eberl mit jedem Jahr etwas weiter dem Abgrund entgegen und es brauchte in den vergangenen Spielzeiten jeweils grotesk schlecht abschneidende Klubs wie Darmstadt oder (hoffentlich) dieses Jahr Kiel oder St. Pauli, um erstklassig zu bleiben. Viele Indizien sprechen im Kader und im Verein dafür, dass Borussia wie einst Hamburg, Berlin oder Schalke die Zeichen der Zeit missachtet und fast beseelt vom eigenen Renommee und der vermeintlichen Strahlkraft übersieht, auf welchem Weg er sich befindet. Das leistungsfeindliche Niveau innerhalb des Vereins, der sich im Inneren selbst am nächsten ist, scheint sich auf die Mannschaft zu übertragen.
Aber sollte der Weg doch einmal eine Liga tiefer führen, ist mitnichten gesagt, dass das dann ein Betriebsunfall bleiben wird. Zu groß sind die finanziellen Unterschiede zwischen den Ligen, als dass man davon ausgehen müsste, dass Borussia sich in der zweiten Liga gesundstößt und wieder zu sich findet. Das ist einmal (1999-2001) gelungen, der Aufbau 2007/08 durch Christian Ziege war erfolgreich, aber nicht nachhaltig. So brauchte es später erneut den legendären Hans Meyer und sehr viel Glück, dass der Weg nicht wieder in den Keller führte. Ein erneuter Abstieg hätte unabsehbare Folgen gehabt. Ein Abstieg in den 2020er-Jahren würde fatale Folgen haben.
Ein Blick nach Gelsenkirchen, wo auch lange Zeit ein „Schalke-Weg“ das Leitmotiv war, sollte allen in Mönchengladbach Warnung genug sein, denn der "Schalke-Weg" zeigt aktuell eher in Richtung 3. Liga.