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Borussen-Check 2024/25

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George Francis Train reiste 1870 in 80 Tagen um die Welt und inspirierte Jules Vernes zu einem Klassiker. Kristin Harila und Tenjen Sherpa benötigten im vergangenen Jahr 91 Tage, um die 14 höchsten Berge der Welt zu besteigen. Roland Virkus hatte in diesem Sommer 94 Tage lang Zeit, um die offensichtlichen Schwachstellen im Kader von Borussia Mönchengladbach nach der rundum verkorksten Vorsaison zu beseitigen.

Während Train, Harila und Sherpa ihre Ziele glorreich erfüllten, muss Virkus nachsitzen. Drei Tage vor dem Start in die neue Spielzeit bleibt die offensichtlichste Baustelle im Borussen-Kader nämlich weiterhin unbearbeitet.

„Wenn Du keine Abwehr hast, hast Du keine Mannschaft.“

Mit diesen weisen Worten orakelte einst Lucien Favre die aktuelle Situation seines Ex-Vereins herbei. 239 Gegentore in den letzten vier Spielzeiten der Bundesliga – ein stolzer Schnitt von 60 Treffern pro Saison. Die insgesamt ordentliche Offensive verzweifelt regelmäßig an der Herkulesaufgabe, vorne noch ein Tor mehr erzielen zu müssen als hinten kassiert werden. Vier Tore gegen Augsburg sowie je drei gegen Darmstadt, Köln, Freiburg und Hoffenheim reichten in der vergangenen Saison nicht für einen Sieg.

Umso unverständlicher erscheint es, warum die Mannschaft am vergangenen Samstag mit denselben Abwehrspielern in die neue Saison startete, die sich in der vergangenen Saison für 67 Gegentore verantwortlich zeichneten. Mit Maximilian Wöber verließ sogar noch der am wenigsten schwache Abwehrspieler den Verein. Der Österreicher kehrte nach vollendeter Leihe zu Leeds United zurück, dem Verein des irgendwie so immer noch zweitklassigen Daniel Farke.

Wenig überraschend war, dass selbst der Drittligist aus dem Erzgebirge in den ersten 20 Minuten der neuen Saison die altbekannten defensiven Schwächen in Borussias Hintermannschaft offenlegen konnte. Scally ließ sich viel zu leicht überlaufen, Netz musste allein gegen zwei Gegenspieler verteidigen und kam daher vor dem 0:1 entscheidend zu spät. Dieselbe Prozedur wie im Vorjahr, Mister Seoane. Dieselbe Prozedur wie in jedem Jahr, Roland.

Auch wenn es die Mannschaft in den darauffolgenden 70 Minuten besser zu lösen verstand. Es ist absehbar, dass erstklassige Gegner solche Schwächen gnadenloser werden ausnutzen können. Möchte Borussia tatsächlich wieder einen einstelligen Tabellenplatz mit Tuchfühlung zu den internationalen Plätzen erreichen, wird sie dringend mehr Kompaktheit in der Defensive finden müssen. Mit dem aktuellen Personal erscheint dies nahezu ausgeschlossen.

„Wir sind gesund, aber nicht reich.“

Dieses mantraartige Credo des ehemaligen Finanzvorstands Stephan Schippers spiegelt die Denkweise des Vereins in den letzten Jahren wider. Eine Denkweise, die Borussia finanziell stabil gehalten hat und von daher nicht per se schlechtgeredet werden darf. Die jüngste Ausrede allerdings, es müssten erst Spieler verkauft werden, um in neue Spieler zu investieren, verfängt sich bei genauerer Betrachtung: Warum stand Geld bereit für drei neue Spieler in Mittelfeld und Angriff? Wieso konnten in 94 Tagen nicht zumindest ein bis zwei ablösefreie oder billige Lösungen für die Verteidigung gefunden werden?

Abwehrspieler wie Dante, Roel Brouwers, Filip Daems, Martin Stranzl oder Oscar Wendt wechselten einst für sehr wenig Geld an den Niederrhein. Wenngleich der moderne Transfermarkt seitdem deutlich komplexer geworden ist, sind solche Schnäppchen auch heute noch mit gezieltem Scouting möglich. Robin Hack lässt grüßen. Schneller und cleverer zu agieren als der Markt. Genau das hat Borussia in den glorreichen 2010er-Jahren ausgezeichnet und die großen Erfolge mit relativ kleinem Budget ermöglicht. In den 2020er-Jahren ist Borussia davon ebenso weit entfernt wie von einem Platz in der Champions League.

„Ihr müsst Euch keine Sorgen machen um Borussia Mönchengladbach.“

Angesichts der Entwicklung der letzten Jahre fällt es zunehmend schwer, dieser Aufforderung von Roland Virkus nachzukommen. Einen nicht unwesentlichen Anteil trägt er daran selbst, wenngleich seine Transferbilanz gar nicht so mies ausfällt, wie man annehmen sollte. Cvancara (10,5 Mio.), Weigl (7 Mio.), Ngoumou (8 Mio.) haben ihre hohen Ablösen bislang zwar noch nicht gerechtfertigt. Dafür erwiesen sich aber Franck Honorat und Robin Hack als absolute Volltreffer. Ranos, Ullrich und Chiarodia waren bewusste Investitionen in die Zukunft, die sich hoffentlich im zweiten Jahr bereits stärker auszahlen werden als bisher.

Neben der Bewertung der getätigten Spielerkäufe stellt sich aber die Frage, welche Transfers nicht umgesetzt wurden. Die seit langem anfällige Defensive wurde in den letzten Jahren unter Virkus nicht verbessert, sondern durch den Abgang von Beyer und Bensebaini noch weiter geschwächt. Die Entwicklung von Scally und Netz stagniert. Bei Nico Elvedi ist sie sogar deutlich rückläufig, sodass ein Wechsel dem Schweizer ebenso wie dem Verein anzuraten wäre. Problem: Auch andere Vereine können die Spiele der Bundesliga verfolgen und haben mitbekommen, dass Elvedi regelmäßig vor Gegentoren patzt. Spott und Häme, wie sie teils in den (un)sozialen Medien auf ihn einprasseln, hat der 27-Jährige in seinem zehnten Jahr als Borusse nicht verdient. Es spricht aber nicht gerade für die Einkaufspolitik des Vereins, dass er mit seinen Leistungen der letzten Jahre noch immer einen Stammplatz in der Innenverteidigung innehat.

Bis zum Ende der Transferperiode am 30. August besteht Hoffnung, dass sich trotz allem ein Abnehmer für ihn und für Manu Koné findet, dessen Entwicklung eine Luftveränderung ebenso guttun würde. Borussia täte das Geld noch viel mehr gut, könnte sich der Verein dann endlich doch noch ein bis zwei zusätzliche Defensivkräfte leisten und so die Chancen auf eine stabilere Abwehr erhöhen.

„Das Ding hier war mein Leben.“

Da ließe es sich dann auch verkraften, dass mit Elvedi die nächste Identifikationsfigur im Kader wegfallen würde. Christoph Kramers emotionale Abschiedsrede ist noch in bester Erinnerung. Mit ihm, Jantschke, Herrmann, Schippers, Meyer und Königs haben in den letzten Monaten zusammengerechnet 107 Jahre Borussen-DNA den Verein verlassen. Der Verein muss daher auch eine neue Identität finden mit neuen Spielern, die den Verein repräsentieren.

Zuvorderst ist hier Ricco Reitz zu nennen. Aber Identifikation misst sich nicht immer nur an den Jahren der Vereinszugehörigkeit. Ein Jonas Omlin gewann durch sein Auftreten innerhalb weniger Monate die Herzen der Fans. Hack und Honorat wurden in ihrer ersten Saison bereits Publikumslieblinge. Die bisherigen Neuzugänge dieses Sommers scheinen nach den bisherigen Eindrücken ebenfalls dieses Potenzial mitzubringen.

„Es ist wichtig, Führung auf dem Platz oder in der Kabine zu übernehmen. Ich denke, dass ich beides sehr gut kann.“

Mit diesen Worten zum Einstand bestätigte Kevin Stöger, warum Roland Virkus ihn aus Bochum verpflichtete. Das offensichtlich wesentlichste Ergebnis der vereinsinternen Analyse zum Ende der vergangenen Saison, war die Einsicht, dass sich Führungsqualitäten nicht auf Knopfdruck verschreiben lassen. Der Versuch, Julian Weigl und Florian Neuhaus zu neuen Leadern auf dem Platz aufzubauen, ist krachend gescheitert. Beide waren hoffnungslos damit überfordert, die Mannschaft in schwierigen Situationen zu stabilisieren und anzuleiten. Während Neuhaus mittlerweile auch sportlich schlechte Karten besitzt, scheint Weigl vorläufig noch in der Mittelfeldzentrale gesetzt. Sofern er seine Leistungen aus der Vorsaison nicht deutlich steigern kann, sollte er aber aufgrund der gestiegenen Konkurrenz schon bald um seinen Stammplatz zittern müssen.

Denn in der Mittelfeldzentrale wurde neben Stöger mit Philipp Sander ein weiterer potenzieller Führungsspieler verpflichtet, der in Kiel das Kapitänsamt erfolgreicher ausübte als es Weigl zuletzt gelang.

 „Wir müssen eine Arschloch-Mentalität entwickeln.“

Der dritte Neuzugang sortiert sich sportlich zwar weiter vorne ein und dürfte zunächst einmal Tomas Cvancara auf die Bank verdrängen. Mit obigem Zitat verdeutlichte Tim Kleindienst aber, was von ihm in der kommenden Saison erwartet wird und was er mit folgenden Worten ergänzte: „Ich glaube, das hat hier manchmal etwas gefehlt, deshalb hat Gladbach auch so viele Führungen noch aus der Hand gegeben. Aber es muss halt auch mal weh tun und unangenehm sein, gegen uns zu spielen – ich glaube, da kann ich helfen.“

Zur Erinnerung: 31 Punkte ließ Borussia in der vergangenen Saison nach einer Führung liegen. Dass die Mannschaft in Aue stattdessen einen Rückstand drehen konnte, sollte nicht überbewertet werden. Es ist aber ein Hoffnungsschimmer, dass Stöger und Kleindienst mit ihrem engagierten Auftritt nach der ersten Trinkpause zur Wende entscheidend beigetragen haben. Nicht nur charakterlich, sondern auch sportlich bieten die beiden ein Upgrade, da an ihrer Stelle die zuletzt ohnehin nicht mehr gefragten Jordan, Kramer und Herrmann den Verein verließen.

Wenn alle Offensivspieler spielfähig sind, d. h. insbesondere Robin Hack in den Kader zurückkehrt, könnte es in der Offensive sogar den einen oder anderen Härtefall geben. Zwei bis drei verletzte oder gesperrte Spieler sind allerdings eher der Regelfall, sodass sich diese Luxusdebatte vermutlich selten stellen wird. Selbst für die derzeit etwas abgehängten Cvancara und Ngoumou oder für Talente wie Fukuda und Ranos sollten sich im Saisonverlauf ausreichend Bewährungschancen bieten.

„Die obere Tabellenhälfte muss für Borussia immer das Ziel sein.“

An dieser Ansage, die er vor dieser Saison tätigte, wird sich Roland Virkus zusammen mit dem von ihm protegierten Trainer messen lassen müssen. Nach dem Abgang von Zakaria, Thuram, Stindl, Bensebaini und Hofmann lag die Hoffnung bereits vor der letzten Saison auf Gerardo Seoane, aus den verbliebenen Spielern eine homogenere Mannschaft zu formen. Diese wurde jäh enttäuscht, was beinahe mit dem Abstieg bestraft worden wäre. Nur ein Punkt trennte die Fohlenelf am bitteren Ende vom Relegationsteilnehmer aus Bochum. Es war der vorläufige Tiefpunkt eines stetigen Abwärtstrends in den letzten fünf Spielzeiten. Sofern es Borussia nicht gelingt, diese Negativentwicklung aufzuhalten, wird es nur eine Frage der Zeit sein bis zum dritten Abstieg in die 2. Bundesliga.

Mit den bisherigen Neuzugängen hat Borussia ein wenig von der individuellen Qualität zurückgewonnen, die in den vergangenen Jahren massiv eingebüßt wurde. Trotzdem wird es extrem wichtig sein, dass Borussia als Mannschaft wieder besser funktioniert als die Summe ihrer Einzelteile.

Seoane darf nach der enttäuschenden Vorsaison nicht viel Kredit von Fans und Öffentlichkeit erwarten. Startet die Mannschaft schwach – was angesichts der Gegner in den ersten Heimspielen und der traditionellen Auswärtsschwäche des Vereins keine Sensation wäre – so könnte die Treue des Vereins zu seinem Übungsleiter recht bald auf eine schwere Probe gestellt werden. Den Beweis, dass er auf seiner Position der richtige Mann ist, um eine Bundesliga-Mannschaft nachhaltig zu entwickeln, ist Seoane bis heute ebenso schuldig geblieben wie Roland Virkus. Beide stehen daher unter enormen Erfolgsdruck und in einer Bringschuld, um das mutige Vertrauen des Präsidiums zu rechtfertigen. Sollte ihnen dies nicht gelingen, dann wird die neue Führung des Vereins früher oder später handeln müssen. Eine weitere Saison im Abstiegskampf kann sich der Verein nicht erlauben. Das Abwerben von Führungsspielern bei drei Ligakonkurrenten war ein deutliches Signal, über welche Stahlkraft Borussia Mönchengladbach immer noch verfügt und dass der von Virkus ausgerufene Platz in der oberen Tabellenhälfte kein überzogenes Ziel für den Tabellen-14. der Vorsaison darstellt.