Metropolregion: Zweifel der Experten am 9-Euro-Ticket sind groß
Von Harald Berlinghof
Ludwigshafen. Die menschliche Mobilität hat viele Facetten. Dazu gehört der in der Metropolregion viel diskutierte Lückenschluss des Bahngüterverkehrs zwischen Mannheim und Karlsruhe. Dazu gehört auch das im Juni für drei Monate startende "9-Euro-Ticket" und die Diskussion, wer das letztlich bezahlen soll. Zu diesem Themenkomplex zählt ebenso die Anbindung der Menschen im ländlichen Raum mit Hilfe einer akzeptablen Taktung der ÖPNV-Linien. Das alles sollte bei der fünften Regionalkonferenz "Mobilitätswende" des Verbandes Region Rhein-Neckar (VRRN) und der Technologieregion Karlsruhe angesprochen und diskutiert werden. "Mehr Verkehr auf die Schiene bei weniger Lärm für die Anwohner" lautet das Credo von Verbandsdirektor Ralph Schlusche. Und alles bezahlbar. Das klingt nach der Quadratur des Kreises.
Das verbindende Thema bei allen Mobilitätsthemen ist die Finanzierung. Denn jede Verbesserung des ÖPNV, sei es mit kürzeren Fahrtakten, mit mehr Bequemlichkeit, mehr Komfort und mehr Sauberkeit in Bussen und Bahnen kostet Geld. Die Milliarden, die der Oberrhein-Abschnitt der Güterbahnstrecke zwischen Rotterdam und Genua kosten wird, überlagern sowieso alles. Aber die Niederländer und auch die Schweizer sind schon viel weiter. In frühestens zehn Jahren, eher Mitte der 2030er Jahre, werde der Verlauf des Lückenschlusses zwischen Mannheim und Karlsruhe endgültig festgelegt sein und in Angriff genommen, erklärte der Bahn-Vertreter auf dem Podium, Stefan Geweke.
Bei der Begrüßung im Ludwigshafener Pfalzbau hatte die Gastgeberin, Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck, noch einmal darauf hingewiesen, dass ihre Stadt durch die Sanierung der beiden Hochstraßen in jüngerer Vergangenheit besonders betroffen gewesen sei von Einschränkungen des Autoverkehrs. "Aber was vor einigen Jahren noch als unmöglich galt, ist möglich geworden", betont sie. Denn das komplette Verkehrschaos blieb aus.
Als positives Signal an alle Autofahrer sah Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in einer Videobotschaft das "9-Euro-Ticket". Schon Mannheims Erster Bürgermeister Christian Specht hatte im Vorfeld der Konferenz aber darauf hingewiesen, ein solcher Monatsticketpreis verschleiere, welch eine teure Angelegenheit der ÖPNV eigentlich ist. Schon die normalen Ticketpreise – das wurde in der ersten Diskussionsrunde im Pfalzbau deutlich – reichen nicht mal annähernd, um Anschaffung, Wartung und Betrieb von Bussen und Bahnen zu gewährleisten. Bund, Land und Kommunen steuern erhebliche Anteile der Kosten bei. Das bedeutet, dass der ÖPNV teilweise aus Steuermitteln von allen finanziert wird. Auch von denen, die ihn gar nicht nutzen.
Es gibt daher Stimmen, die das Absenken von Ticketpreisen als ungerecht empfinden und statt einer Steuerfinanzierung stärker eine Nutzerfinanzierung fordern. Dabei wurde ein Finanzierungsmodell ins Spiel gebracht, das die Kreuzfahrtbranche längst verwirklicht hat. Billige Grundpreise, aber alle zusätzlichen Services kosten dann etwas. Wer nur schnell von A nach B will, spart Geld. Wer es bequem haben will zahlt extra. Tisch, W-Lan oder Sesselliege werden zusätzlich abgerechnet.
Die kritischen Stimmen gegen das "9-Euro-Ticket" belassen es aber nicht bei der Preisdiskussion, obwohl alleine in Karlsruhe dadurch 20 bis 25 Millionen Euro in der Kasse des ÖPNV fehlen werden, wie Alexander Pischon, Geschäftsführer der Karlsruher Verkehrsverbund GmbH, vorrechnete. Man erhalte Ausgleichszahlungen vom Bund. Also wieder Steuergelder.
Eigentlich soll das "9-Euro-Ticket" – genauso wie die kostenlosen Nahverkehrssamstage in Heidelberg – Lust machen auf einen Umstieg in den ÖPNV. Doch weit verbreitet sei inzwischen der Begriff "Strohfeuer" für das Bundesprojekt, das nur drei Monate lang lodern wird. Und gegen das jetzt von der CSU wegen strittiger Finanzierungsfragen bereits Widerstand im Bundesrat angekündigt wurde. Unter den Experten in der Region ist nicht nur Specht skeptisch, was kostenlos und billig angeht: "Ich halte das für ein ganz gefährliches Signal", sagte Christian Volz, kaufmännischer Geschäftsführer der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (RNV). "Was nichts kostet, ist emotional auch nichts wert."
Während der Sommermonate könnte es durch Ausflügler auf bestimmten Strecken eng in Bussen und Bahnen werden. Es gebe zwar noch Kapazitäten, weil das Fahrgastaufkommen erst bei 75 bis 80 Prozent des Niveaus aus Vor-Corona-Zeiten angekommen sei. Trotzdem könnten übervolle Fahrzeuge manchen dazu bringen, doch lieber wieder mit dem eigenen Auto zu fahren. Negative Erfahrungen könnten sich verfestigen, bis hin zu einem "Nie wieder". Außerdem sei der Umstieg nach dem Ende des reduzierten Monatspreises auf den Normalpreis viel zu krass, ergänzte Pischon.
Und auch die Staatssekretärin im Landesverkehrsministerium, Elke Zimmer (Grüne), betonte, dass nicht der Ticketpreis, sondern eine attraktive Taktung "der Booster für die ÖPNV-Nutzung" sei. In Baden-Württemberg wolle man bis 2026 im ländlichen Raum einen 30 Minuten-Takt zumindest zu den Hauptverkehrszeiten sicherstellen, so Zimmer. Der jugendliche Student Robin Fehl auf dem Podium hatte da einen ganz anderen Ansatz. "Nicht alles muss immer sofort verfügbar sein. Man kann das auch als Entschleunigung verstehen. Das ist auch ein Gewinn", sagte er.