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Декабрь
2025

England: Wo der steigende Meeresspiegel die Gebeine der Toten wieder ausgräbt

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Der Klimawandel bedroht Englands Küsten. Die größten Sorgen einiger Anwohner gelten aber nicht ihrem eigenen Leben, sondern ihren Verstorbenen. Warum?

Also Frank Masons Eltern starben, erfüllte ihr Sohn ihnen einen letzten Wunsch: ein Begräbnis auf dem Friedhof von Happisburgh. "Meine Eltern wollten, dass dies ihre letzte Ruhestätte wird, aber aufgrund des Meeres wird dies nicht möglich sein", sagt Mason der britischen Zeitung "Guardian".

Beerdigungen haben hier in der Grafschaft Norfolk an der Ostküste Englands nördlich von Cambridge nicht nur einen emotionalen, sondern auch einen großen historischen Wert: Die Ortschaft Happisburgh zählt zu den bedeutendsten archäologischen Stätten Europas. Denn genau hier wurden die bislang ältesten bekannten Fußspuren von frühen Verwandten des anatomisch modernen Menschen des Kontinents entdeckt.

Der Klimawandel dürfte solche historischen Funde auf Dauer allerdings unmöglich machen. Der steigende Meeresspiegel nagt an der englischen Küste und lässt sie zusehends erodieren – mit Folgen nicht nur für die Lebenden, sondern auch für die Toten.

Knochen als Souvenirs

Eine Untersuchung vom Juni 2025 zeigt, dass mehrere Friedhöfe entlang der englischen Küste von Erosion bedroht sind. Allein in der Grafschaft Norfolk sind es drei Ruhestätten. Schätzungen zufolge wird ein Teil des Kirchenareals der Ortschaft Happisburgh in den kommenden 80 Jahren ins Meer stürzen.

Solche Szenarien beunruhigen die Hinterbliebenen und Angehörigen. Für die meisten sind die Gräber der letzte Ort, um den Verstorbenen nahe zu sein. Die Unentschlossenheit darüber, wie die Ruhestätten vor den Naturgewalten geschützt werden sollen, bereitet einigen deshalb große Sorgen – auch weil das, was in Orten wie Happisburgh, Trimingham und Mundesley droht, andernorts bereits wahr geworden ist.

Eine Bewohnerin schildert dem "Guardian", wie ein Friedhof samt Kirche in dem Dorf Eccles fast vollständig im Meer versank. "Man konnte die Knochen der Leute sehen." Manche hätten diese romantische Vorstellung, dass die Gebeine der Verstorbenen einfach ins Meer gespült würden. "Das tun sie nicht. Menschen nehmen Knochen als Souvenirs mit und plündern Gräber auf der Suche nach Wertsachen. Das ist völlig würdelos."

Englands Kirchen hadern mit der Friedhofsfrage

Die Initiative Coastwise hat zusammen mit der Diözese in der Region Vorschläge erarbeitet, darunter auch die, die Friedhöfe ganz zu schließen und die Gebeine der Verstorbenen umzusiedeln. Doch einige Ideen sind rechtlich heikel. Außerdem ist nicht jeder Ort gleich stark betroffen, weshalb es keinen allgemeingültigen Masterplan für die Rettung der britischen Friedhöfe gibt.

Die örtlichen Behörden gehen ohnehin davon aus, dass es noch Jahrzehnte dauert, bis die Pläne ernsthaft umgesetzt werden müssen. Die Bewohner sind skeptisch.

Die endgültige Entscheidung darüber, was mit den Gräbern passiert, haben aber ohnehin die jeweiligen Diözesen, die die Friedhöfe verwalten. Aber selbst der Bischof in der Grafschaft Norfolk räumt ein, dass es "noch keine einheitliche Meinung darüber" gäbe, was mit den Gräbern geschehen solle. Dass sie verloren gehen werden, sei für die örtlichen Gemeinden natürlich traurig, "aber die christliche Kirche glaubt an die Auferstehung" und ein Leben nach dem Tod.

Frank Mason hofft, dass den Verantwortlichen bald eine Lösung einfällt. Die Vorstellung, dass fremde Menschen Knochen seiner Eltern als Souvenir mitnehmen und Skelette am Strand liegen könnten, gruselt ihn. Damit es nicht so weit kommt, sollte der Friedhof von Happisburgh an einen höheren Punkt verlegt werden, findet er – auf Kosten der Kirche.