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Wirtschaft: IWF-Bericht warnt vor Schulden- und Renten-Schock in Europa

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In seinem jüngsten Bericht zur wirtschaftlichen Lage in Europa kommt der IWF zu ernüchternden Einsichten: Es muss radikal gehandelt werden. Und zwar sehr bald. Das House of the Euro befindet sich in der Rue de la Science, mitten im politischen Zentrum von Brüssel . Das 2023 eröffnete Gebäude dient als Treffpunkt und Koordinationsstelle der Europäischen Zentralbanken. Dort, in der Straße der Wissenschaften, hielt am Dienstag der Ökonom Alfred Kammer eine Rede. Was er zu sagen hatte, dürfte Europas Politikern nicht gefallen haben. Der Deutsche ist Europadirektor des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington , D.C. und er skizzierte vor den anwesenden Bankern ein düsteres Bild der wirtschaftlichen Lage des Kontinents. Laut den Berechnungen des IWF ist die Situation in Europa ziemlich prekär. "Wenn Europa nicht erhebliche Anstrengungen unternimmt, um das Wachstum auf ein neues Niveau zu heben, werden konventionelle Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung nicht mehr ausreichen, um zu verhindern, dass die Verschuldung explodiert und das europäische Sozialmodell gefährdet", sagte Kammer gleich zu Beginn seiner Rede. Dann machte er anhand verschiedener Modellrechnungen deutlich, was Europa mittel- und langfristig bevorstehen könnte. So markiere das Jahr 2025 eine tiefe Zäsur in der Weltwirtschaft. Ursächlich sind laut IWF vorwiegend die zahlreichen Kriege sowie der Trump-Schock. Die damit einhergehenden Umwälzungen der globalen Handelspolitik stellten auch Europa vor enorme Herausforderungen. Er prognostiziert den europäischen Staaten eine lang andauernde Phase der Rezession, sollte die Politik nicht sofort umsteuern. Der IWF-Europadirektor warnte, dass der Kontinent vor enormen Problemen stehe – obwohl die Prognose für das Wirtschaftswachstum für die Eurozone noch im Oktober mit 1,2 Prozent leicht nach oben korrigiert wurde. Doch der Aufschwung bedeute nur eine kurzfristige Erholung. Schon im kommenden Jahr werde sich die Entwicklung umkehren und die europäische Wirtschaftsleistung stark abflauen, so die IWF-Berechnungen. Schon jetzt sei das Bruttoinlandsprodukt in der EU um knapp 30 Prozent niedriger als etwa in den USA – und die Kluft werde noch erheblich größer, sollten keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. IWF: "Nichtstun ist keine Option mehr" Unter anderem schlägt der IWF vor, den EU-Binnenmarkt weiter zu liberalisieren und Handelshemmnisse abzubauen. Angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung müssten zudem viel größere Anstrengungen im Hinblick auf Arbeitsmarktreformen, Bildung und Migration unternommen werden. Zudem sei die Quote privater Investitionen in manchen Gegenden Europas zu niedrig. Hinzu kommen zum Teil dauerhaft schwache Wirtschaftsleistungen in den Ländern. Etwa in Deutschland. Nach einem Minus im Frühjahr stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal hierzulande. Das Statistische Bundesamt errechnete anhand vorläufiger Daten ein Wachstum von null Prozent, gemessen am Vorquartal. Damit fiel Deutschland sogar hinter einstige Krisenländer wie Spanien und Portugal zurück. Und auch insgesamt kommt Europas Konjunktur nur schleppend in Schwung. Laut Eurostat legte die Wirtschaft im Euroraum im Sommer zum Vorquartal nur um 0,2 Prozent zu. "Das bringt uns zu der Frage, wie Europa auch weiterhin die Dinge bezahlt, die es sich eigentlich gar nicht mehr leisten kann", so Kammer. Die Frage birgt eine Menge Sprengstoff. Denn in vielen Ländern Europas kämpfen Regierungen um nachhaltige Reformen des Sozialstaats. In Frankreich wurde gerade eine großangelegte Rentenreform auf Druck der linken Opposition ausgesetzt. In Deutschland streitet die Koalition seit ihrem Antritt um eine Reform des Bürgergelds. Auch sind die Quoten der Staatsverschuldung in vielen europäischen Ländern hoch, die öffentlichen Kassen weitgehend leer. Nicht nur in Griechenland , Italien und Spanien, auch in Frankreich oder Belgien . "Um die Fiskalpolitik steht es jetzt schon schlecht", sagte Kammer, "doch die Herausforderungen, vor denen Europa steht, werden immer größer". Es sei daher vollkommen klar, dass "Nichtstun keine Option mehr ist". Sollten die europäischen Regierungen einfach so weitermachen wie bisher, werde die durchschnittliche Verschuldung in den kommenden 15 Jahren bei 130 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Eine riesige Nachhaltigkeitslücke entstünde. In dem Fall müssten die EU-Länder zwischen dreieinhalb und fünf Prozent des BIP einsparen, um die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Kammer: "Zeit des Durchwurstelns ist zu Ende" "Wie jeder Finanzminister bestätigen wird, sind bereits fiskalpolitische Anstrengungen, die zu Einsparungen von drei Prozent führen, ein enormes politisches Unterfangen", so Kammer. "Fünf Prozent sind eine fast unmögliche Aufgabe und würden tiefgreifende Einschnitte in das europäische Modell und den Sozialvertrag erfordern". Die Schlussfolgerung des IWF ist eindeutig: Renten, Gesundheitsvorsorge und viele andere staatliche Leistungen sind mittel- und langfristig in der jetzigen Form nicht mehr finanzierbar. Ein rigoroser Sparkurs müsse her, ansonsten könnte das gesamte europäische Modell zur Disposition stehen – und den Wohlfahrtsstaaten drohte womöglich der Kollaps. Um dieses Szenario zu vermeiden, sieht der IWF nur einen Ausweg: mehr und schnelleres Wachstum. Es brauche teilweise radikale innenpolitische Anstrengungen, vor allem mutige Restrukturierungen der Sozial- und Steuersysteme, aber auch eine Vertiefung des Binnenmarkts und eine deutliche Ausweitung der EU-Investitionen in Sachen Energie- und Verteidigungspolitik. Kammer bezeichnet dies als die "moderate Variante" der Reformbemühungen. Doch selbst daran seien die meisten EU-Staaten zuletzt gescheitert. Heißt: Bleibt der Wille zur Veränderung in der EU weiterhin so schwach, könnte auch alles noch viel schlimmer kommen. Der IWF räumt allerdings ein, dass es nicht das eine "Allheilmittel" gibt. Jedes EU-Land müsse den besten Mix aus "echten Reformen und umfangreichen Konsolidierungsmaßnahmen" selbst finden. Eines sei jedoch klar, sagte Kammer: "Die Zeit des Durchwurstelns ist zu Ende".