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Dick Cheney ist tot: Er war besessen vom Irak-Krieg

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Er war der Architekt des Irakkriegs. Er ruderte nie zurück und blieb stets überzeugt von seinen Entscheidungen. Mit Dick Cheneys Tod endet ein politischer Stil, nicht aber dessen Folgen. Wenn politische Karrieren wie Bücher sind, dann war die Geschichte Dick Cheneys eines jener Werke, das kein leichter Bestseller war, dafür aber eine Art Standardwerk. Cheney war nie der Lauteste, nie eine Lichtgestalt. Doch hinter George W. Bushs Präsidentschaft zog er die Fäden, schob Pläne an, formte eine Epoche. Als 46. Vizepräsident der Vereinigten Staaten war er mehr als ein Stellvertreter – er war der entscheidende Strippenzieher. Ein System- und Machtpolitiker der alten Schule, die die USA noch für die dominierende Ordnungsmacht in der Welt hielt. Und: Er war der Mann hinter dem Irakkrieg. Architekt des Irakkriegs Nach dem 11. September 2001 stand die US-Außenpolitik am Scheideweg. Cheney gab ihr eine neue Richtung. Aus seiner Sicht war Abschreckung zu wenig. Es brauchte Handlung – notfalls präventiv. Er prägte die Lehre, dass bereits eine minimale Bedrohung entschlossenes Handeln erfordere. "Wenn es nur eine einprozentige Chance gibt, dass Terroristen Massenvernichtungswaffen einsetzen, müssen wir so handeln, als sei es eine Gewissheit", erklärte er. Diese sogenannte One-Percent-Doktrin veränderte den außenpolitischen Kurs der Vereinigten Staaten grundlegend. Sie rechtfertigte, was zuvor als völkerrechtswidrig galt: Präventivschläge, Regimewechsel, interventionistisch, auch unter Einsatz von Gewalt. Der Irak sollte zum Testfall werden. Cheney sagte dazu: "Wir müssen die Schlacht zum Feind tragen." Er verstand diesen Ansatz nicht als aggressiv, sondern als notwendig – zur Wahrung amerikanischer Sicherheit. Wie sehr er diesen Krieg wollte, zeigte sich am 26. August 2002. Damals trat Cheney in Nashville, Tennessee, vor der Jahresversammlung der Veterans of Foreign Wars (VFW) auf. Der Vizepräsident war zu diesem Zeitpunkt in der Defensive. Er wollte den US-Angriff auf den Irak, zog im Hintergrund die Strippen, lobbyierte für den Militäreinsatz. Gemeinsam mit Bush hatte er schon einen Geheimplan für den Irakkrieg entwickelt, wie der US-Journalist Bob Woodward später in seinem Buch "Plan of Attack" zeigte. Doch niemand sollte es erfahren, nicht einmal der damalige US-Außenminister Colin Powell. Er war anfangs gegen einen Krieg und deshalb Cheneys Gegenspieler in der Frage. Doch auch der damalige US-Präsident hatte Bedenken. Powell hatte ihn überzeugt, den UN-Sicherheitsrat zuvor zu konsultieren. Ein Risiko für Cheney, der seine Irak-Pläne in Gefahr sah. Bush spürte das. "Mach mir keine Probleme", soll der damalige US-Präsident zu seinem Vize vor dessen Rede vor den Kriegsveteranen in Nashville gesagt haben. Doch Cheney wollte Probleme, er wollte das Ruder in der Irak-Frage wieder zu seinen Gunsten herumreißen. Er sprach dort also als amtierender Vizepräsident mit einer klaren Botschaft: "Es besteht kein Zweifel, dass Saddam Hussein jetzt über Massenvernichtungswaffen verfügt und sie anhäuft, um sie gegen unsere Freunde, Alliierten und uns zu benutzen." Wenig später fügte er hinzu: "Wir werden nicht warten, bis der letzte Beweis kommt – in Form eines Atompilzes." Cheney wählte bewusst drastische Worte. Ein Angriff mit Massenvernichtungswaffen – möglicherweise auf amerikanischem Boden – sollte nicht abgewartet, sondern präventiv verhindert werden. Mit dieser viel beachteten Rede bereitete er rhetorisch den Krieg vor. Die Mehrheit der Amerikaner war damals noch nicht überzeugt vom Angriff auf den Irak. Cheney änderte das mit seiner Rede. Die Behauptung, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen, wurde zum Fundament eines Krieges, der von Anfang an auf wackligen Beinen stand. Ihm fehlte die Legitimation. Die USA als "Befreier" im Irakkrieg? Cheney konnte Bush manipulieren und von seinen außenpolitischen Vorstellungen überzeugen, hieß es in Washington . Am Ende stach er Powell, die Bedenkenträger im Militär und die Gegner in Europa und den Vereinten Nationen aus. Er erklärte sie zu Beschwichtigern von Autokraten, die er hinter vorgehaltener Hand als Feiglinge ansah. Zumindest schrieb das Woodward in seinem Buch. Wie ein Getriebener soll der sonst eher kalte, nüchterne Pragmatiker Cheney den Irakkrieg gewollt haben. Ein Besessener, wie im "Fieber". Für den Irak hatte dieser Kurs verheerende Folgen. Am 20. März 2003 marschierten die USA in das Land ein, stürzten das Regime von Saddam Hussein binnen weniger Wochen – doch der Krieg hörte damit nicht auf. Es folgten Jahre der Instabilität, Aufstände, ein blutiger Bürgerkrieg und der Aufstieg terroristischer Gruppen wie al-Qaida im Irak und später des sogenannten Islamischen Staats. Aufstand, Chaos, radikale Milizen. Die Sicherheitslage verschlechterte sich rapide. "Wir werden tatsächlich als Befreier empfangen werden", sagte Cheney, und diese Äußerung wurde ihm immer wieder von seinen politischen Gegnern vorgehalten – als Warnung vor den Risiken allzu großer politischer Gewissheit. Schätzungen zufolge starben zwischen 2003 und 2011 über 100.000 bis 200.000 Zivilisten, insgesamt kostete der Krieg nach manchen Berechnungen mehr als 500.000 Menschen das Leben. Die USA zogen ihre letzten Kampftruppen Ende 2011 ab, ohne jemals Belege für irakische Massenvernichtungswaffen gefunden zu haben. Ihr Einsatz war aber nicht vorbei – Rückkehr, Einsätze und Luftschläge folgten. Heute leidet der Irak noch immer an den Wunden dieses Krieges. Das Land ist tief gespalten: die Regierung in Bagdad , pro-iranische Milizen im Südosten und kurdische Gruppen im Norden ringen um Einfluss. Das ist auch das Erbe von Cheneys Politik. Keine Selbstkritik, keine Reue Er selbst gab sich auch noch viele Jahre nach Kriegsende im Irak unnachgiebig. Kein anderes Mitglied der Bush-Regierung verteidigte den Irakkrieg über so viele Jahre hinweg so kompromisslos. 2013, zehn Jahre nach Kriegsbeginn, wurde Cheney gefragt, ob er heute anders handeln würde. Seine Antwort: "Ich würde alles wieder genauso machen." Er ergänzte: "Ich schlafe nachts sehr gut." Und schließlich: "Ich habe nie an den Entscheidungen gezweifelt." In einem NBC-Interview sagte er damals: "Ich denke, der Irak steht heute besser da." Ob Cheney davon wirklich überzeugt oder es ein Verteidigungsreflex oder politisches Kalkül war, lässt sich nicht abschließend sagen. Doch es zeigt: Er glaubte an das größere Ziel, nicht an die unmittelbare Realität. Mächtiger US-Vizepräsident Trotz seiner zentralen Rolle im Irakkrieg war Cheney kein Mann des öffentlichen Auftritts. Er gab selten Interviews, hielt sich bei Zeremonien zurück. Doch im Regierungshandeln war er präsent wie kaum ein Zweiter. Als Vizepräsident koordinierte er Geheimdienste, saß bei Militärentscheidungen am Tisch, beeinflusste die Personalpolitik in Schlüsselpositionen. Der Präsident – George W. Bush – war sichtbar. Cheney war wirksam. Für ihn war Amerika nicht nur Schutzmacht – sondern Ordnungsinstanz. Ein Rückzug aus der Verantwortung war für ihn nie eine Option. Er gilt in den US-Medien als einer der letzten wahren Konservativen der Republikanischen Partei. Und das brachte ihn in den vergangenen Jahren auch auf Konfrontationskurs zum aktuellen US-Präsidenten Donald Trump . Während die Republikaner unter Donald Trump einen nationalistischen, populistischen Kurs einschlugen, wirkte Cheney wie ein Relikt des alten Establishments. Öffentlich kommentierte er Trump nur selten. Doch als seine Tochter Liz Cheney – selbst Kongressabgeordnete – sich offen gegen Trump stellte, unterstützte er sie demonstrativ. Cheney gegen Trump Cheney äußerte sich ab 2021 mehrfach kritisch über Donald Trump, etwa im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol. Am 6. Januar 2022, ein Jahr nach dem Sturm, erschien er demonstrativ im Repräsentantenhaus – als einziger Republikaner – und sagte: "Ich bin zutiefst enttäuscht vom Versagen meiner Partei, die Schwere des Angriffs vom 6. Januar und die Rolle von Präsident Trump darin anzuerkennen." Zusammen mit seiner Tochter Liz Cheney ging er immer weiter auf Distanz zu Trump, den er 2016 noch unterstützt hatte. Es war das letzte politische Kapitel im Leben des ehemaligen Vizepräsidenten. Sein Einfluss reichte weit über die Amtszeit von George W. Bush hinaus. Nun ist Dick Cheney im Alter von 84 Jahren gestorben. Mit ihm verlieren die USA einen der prominentesten Vertreter einer Ära der Präventivkriege, der Drohneneinsätze, der völkerrechtswidrigen Tötungen. Eine Ära, in der sich die Amerikaner in der Rolle des vermeintlichen Weltpolizisten wähnten.