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Gartenarbeit zwischen Artensterben, Klimaziel und neuen Partnern

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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser, Ortsveränderungen können Augen öffnen. Und Ohren. Zum Beispiel mir. Man sieht und hört anderes und sieht dadurch die ganze Welt mit anderen Augen. Schön ist das und ein bisschen schockierend. Der Reihe nach. Wie aufmerksamen Lesern des Tagesanbruchs aufgefallen sein könnte, stammten die täglichen Ausgaben der vergangenen zwei Wochen allesamt von meinen Kolleginnen und Kollegen. Tolle Texte waren das, pointiert und aufschlussreich, analytisch und berührend. Während meine lieben Mitstreiter sich abmühten, damit die geschätzte Leserschaft allmorgendlich ihre Lektüre aufgetischt bekam, frönte ich dem Müßiggang. Was in meinem Fall keinesfalls gleichbedeutend mit Faulheit ist. Eher im Gegenteil. Ich sage nur: Bäume fällen (abgestorbene natürlich). Wiesen mähen (hüfthohe). Große Feuer schüren. Ich sage sogar: Wasserrohre verlegen, Trockenmauern aufschichten, Terrassenplatten zementieren. Kurzum: Alles, was man tut, wenn man einen wilden Garten besitzt und ausnahmsweise den Bizeps bemühen möchte, statt immerzu nur das Hirn. Mir tat sie gut, die Plackerei. Das Abendbrot schmeckt besser, wenn man erschöpft, aber stolz auf sein Tagwerk blicken kann. Das Bierchen auch. Gartenarbeit hat also meinen Urlaub dominiert, und ich bin glücklich darüber, zumal sich der Garten an einem wunderschönen Ort befindet. Komplettiert wurde das Glück durch liebe Mitmenschen und auch, ich gebe es zu, durch die Gewissheit, ausnahmsweise mal nicht bis tief in die Nacht über zu langen Texten brüten zu müssen, sondern die Schreiberei in guten Händen zu wissen. Nur eines war noch schöner. Es begann morgens, begleitete mich den lieben langen Tag hindurch und verließ mich erst abends, kurz bevor ich nach zwei, drei Seiten von Christoph Heins neuem Roman, die ich nach der Gartenarbeit geradeso noch schaffte, frohgemut die Augen schloss. Das, was ich meine, war meiner Erinnerung nach früher etwas Selbstverständliches, ist es für Großstädter wie mich aber schon sehr lange nicht mehr: die Laute von Tieren. In Berlin, Hamburg, Köln und all den anderen Städten, an denen ich mich gemeinhin herumtreibe, höre ich rund um die Uhr: Autos, Sirenen, Flugzeuge, Baumaschinen, Laubbläser, verrückte Rumbrüller, Handyklingeln, Radiogedudel und andere Lärmbelästigungen. Ich habe mich so daran gewöhnt, dass ich irritiert aufblicke, wenn für einen kurzen Moment ausnahmsweise Stille einkehrt. In meinen Urlaubstagen hingegen hörte ich nachts: nichts. Nada. Niente. Ich vermag nicht in Worte zu fassen, was das für ein Schlafgefühl ist. Himmlisch ist ein zu kleines Wort dafür. Und in der Früh, nach dem Aufwachen in der Stille, als ich ohne Wecker die Augen aufschlug, die sanfte Helligkeit vor dem Fenster erspähte und in den Morgen hineinhorchte, drangen sie an mein Ohr: ein erstes fröhliches Piepen. Eine gekrähte Erwiderung. Wieder Stille. Dann Rascheln. Gefolgt von zweimal Quaken. Ein näherkommendes Summen, bald wieder abgeschwirrt. Dann ein aufmunterndes I-Aaahen: die Aufstehaufforderung eines vierbeinigen an einen zweibeinigen Esel. Gesagt, getan! Wasser ins Gesicht, zwei Tassen Kaffee, und dann ans Werk. Den ganzen Tag über verließen mich die Laute nicht mehr. Sie waren um mich, die Tiere und ihre Geräusche, und ich liebte es. Man hört auf, sich über Käfer, Wanzen und anderes Getier im Wohnzimmer zu ärgern, hat man erst einmal erkannt, dass man als Zweibeiner bei ihnen zu Gast ist, nicht andersherum. Nur die Wildschweine, die des Nachts die frisch gepflanzten Bäumchen ausbuddelten, fand ich dann doch ziemlich frech. Aber gut. Was so ein Urlaub im Garten doch bewirken kann. Man besinnt sich als durchdigitalisierter, hektischer Stadtmensch auf seine Wurzeln. Denn aus der Natur kommen wir ja, wir Homo sapiens. Was man allerdings nach so einem Urlaub auch begreift, wenn man in die Großstadt zurückgekehrt ist: wie weit wir Menschen es mit der Umweltvernichtung schon getrieben haben. Ich erinnere mich an Ferien in meiner Kindheit: Nach langen Fahrten auf der Autobahn klebten auf dem Kühler und der Frontscheibe unzählige Insekten. Heute klebt da nichts mehr. Spaziert man hierzulande querfeldein, summt da auch nichts mehr. Und in Städten bekommt man außer dem notorischen Köterkläffen auch keine anderen Tiere mehr zu hören. Stattdessen: Piepen, Dröhnen, Gedudel. Das hat Gründe. "98 Prozent der Wiesen, auf denen ganz von selbst bunte Blumen wachsen, die Wildbienen und Schmetterlinge ernähren, sind unter Straßen, Industriebauten und Siedlungen begraben oder zu Grasäckern geworden, die so früh und so oft gemäht werden, dass nichts mehr blüht", lese ich in der "Süddeutschen Zeitung". Auch das Artensterben beschleunigt sich rasant, der Deutsche Naturschutzring hat schon vor sechs Jahren den globalen Notstand ausgerufen. Wir Menschen vernichten durch unsere ungebremste Vermehrung, unseren Konsum und unsere Rücksichtslosigkeit nach und nach die anderen Lebensformen auf dem Planeten. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber mich hat sie dieser Tage erneut ereilt. Halten Sie mich für naiv, aber ich finde sie bestürzend. Und ich hoffe inständig, dass mehr Menschen das beglückende Geräusch von Käuzchen, Bienen und Fröschen hören können, um deren wahren Wert zu erkennen. Kontinent der zwei Gesichter Afrika ist ein Kontinent, auf den Europäer schauen wie auf einen Januskopf. Da ist zum einen al ‑ Faschir in Nord‑Darfur. In die bitterarme Region sind die Milizen des Warlords Hemeti einmarschiert, und was sie zurücklassen, übersteigt die grauenhaftesten Befürchtungen: niedergebrannte Viertel, Leichen in den Straßen, vergewaltigte Frauen. Die Blutlachen sind so groß, dass man sie auf Satellitenbildern erkennt. Die Vereinten Nationen sprechen von der "schlimmsten humanitären Katastrophe der Gegenwart". Ausländische Mächte schüren das Feuer: Die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen den Gangster Hemeti, über den Tschad läuft der Nachschub für das Geschäft seiner Mordbrenner. Auf der anderen Seite erhält die Armee des nicht minder brutalen Generals al ‑ Burhan iranische Drohnen, auch Fabrikstempel aus Russland und der Türkei tauchen auf Waffenkisten auf. Niemand scheint das Blutbad stoppen zu können oder zu wollen; die viel beschworene internationale Gemeinschaft beschränkt sich auf hilflose Protestphrasen. Das ist das düstere Antlitz Afrikas. Das helle Gesicht ist nicht minder präsent, wird allerdings in Europa kaum wahrgenommen: Der afrikanische Kontinent entwickelt sich zum wichtigsten Jobmarkt der Zukunft. So lautet die Prognose des soeben erschienenen Global Job Index , den das Kieler Institut für Weltwirtschaft und das Hamburger Start-up Impacc aus zahlreichen Daten berechnet haben. Demnach entstehen bis 2030 weltweit mehr als 100 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze – und rund 75 Millionen davon in Afrika. Es ist eine enorme Dynamik, die unseren südlichen Nachbarkontinent zum Positiven verändern wird. Schon heute wirken der Unternehmergeist und die Aufbruchstimmung in boomenden Metropolen wie Nairobi und Addis Abeba mitreißender als der Krisenblues in Berlin oder Paris. Die Chinesen haben das Potenzial Afrikas längst erkannt, investieren Milliarden in Flughäfen, Eisenbahnlinien, Fabriken, Minen und Häfen, während das Ansehen Europas bei afrikanischen Jugendlichen sinkt. Das mindert zwar nicht den Migrationsdruck, schmälert aber die Wirtschaftschancen europäischer Firmen. Wer Afrika nur als Katastrophenfilm kennt, verpasst die Pfründe der Zukunft. Während Europa altert, wird bis 2030 die Hälfte aller neuen Arbeitskräfte auf der Welt aus Subsahara-Afrika stammen. Das ist keine Drohung, sondern eine Einladung. Entweder wir bleiben Zaungäste eines Blutbads und eines Booms – oder wir werden Partner: mit sicheren Korridoren für humanitäre Hilfe, mit harten Sanktionen gegen Waffenlieferanten, mit Studien‑ und Arbeitsvisa als Alternative zu lebensgefährlichen Schlauchbootfluchten im Mittelmeer, mit Investitionen in Energie, Agrartechnik und Logistik. Wer Afrika ignoriert, importiert am Ende seine Krisen. Wer Afrika dagegen auf Augenhöhe behandelt, gewinnt Nachbarn, Märkte und Verbündete. EU ringt um Klimaziel Der "Grüne Deal" der EU steht unter Beschuss. In Zeiten einer weltweiten Rechtswelle und im Getöse von Donald Trumps fossilem Schlachtruf "Drill, baby, drill!" hat es der Klimaschutz ohnehin schwer. Im Fall des 2019 von Ursula von der Leyen vorgestellten Programms zum klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft werden nun außerdem von verschiedenen Seiten Überregulierung und Industriefeindlichkeit moniert. Widerstand formiert sich nicht nur gegen das beschlossene Aus für Neuwagen mit Verbrennermotor ab 2035, sondern auch gegen den Emissionshandel, der den Ausstoß von CO2 verteuern soll. Knapp eine Woche vor Beginn der Weltklimakonferenz in Brasilien wollen die EU-Umweltminister heute dennoch versuchen, sich auf ein Klimaziel für 2035 zu einigen. Bislang hat der Staatenbund zwei dafür gesetzte Fristen der Vereinten Nationen verstreichen lassen und nur einen Zielkorridor definiert: Zwischen 66,25 und 72,5 Prozent soll die Emissionsminderung im Vergleich zu 1990 betragen. Bundesumweltminister Carsten Schneider zeigt sich optimistisch, dass ein ambitionierter Wert beschlossen werden kann. Dass das unvermindert nötig wäre, dürfte heute noch an anderer Stelle deutlich werden: Das UN-Umweltprogramm veröffentlicht seinen jährlichen Emissions Gap Report, der prognostiziert, auf wie viel Grad Erwärmung die Welt zusteuert. Triumph des Außenseiters? Jung, unerfahren, links, muslimisch: Das klingt nicht nach den besten Voraussetzungen, um in den USA zum Bürgermeister gewählt zu werden. Doch genau das könnte heute passieren: Der 34-jährige Demokrat Zohran Mamdani, in Uganda geborener Sohn indischstämmiger Eltern, ist klarer Favorit bei der Stichwahl in New York. Eine Mischung aus Bürgernähe, Charisma, Popkultur und Humor hat seine Kampagne beflügelt. Inhaltlich verspricht er eine Mietpreisbremse sowie kostenlose Busse und Kinderbetreuung – und will zur Finanzierung die Steuern für Wohlhabende und Unternehmen anheben. Kein Wunder, dass Donald Trump ihn als "Kommunisten" schmäht. Tatsächlich wäre Mamdanis Wahl ein klares Statement gegen den autoritären Kurs des Populistenpräsidenten. Lesetipps Im Internet kursiert ein Video zur Rentenpolitik, das Millionen Menschen aufregt. Meine Kollegen Lars Wienand, Lukas Lüneburg und Arno Wölk zeigen Ihnen, warum es sich dabei um eine Manipulation handelt. Außenminister Johann Wadephul spricht sich gegen die Rückführung von Syrern aus. Zu Recht? Meine Kollegen Christoph Schwennicke und Patrick Diekmann sind geteilter Meinung. Sex, Macht, Geheimnisse: Im Interview mit meiner Kollegin Ellen Ivits erklärt der russische Investigativjournalist Michail Rubin, wie Putin seine Gegner mit kompromittierenden Videos ausschaltet. Der Islam gehöre zu Deutschland, sagte ein früherer Bundespräsident. Aber nicht jedem dürfte bewusst sein, was das für die Frauenbewegung bedeutet. Gerade die Grünen bleiben wichtige Antworten schuldig, meint unser Kolumnist Uwe Vorkötter. Ohrenschmaus Tierlaute sind schön. Elektronische Laute aber auch. So wie jene, die ich gestern Abend an einer Berliner Straßenecke vernahm. Zum Schluss Das letzte deutsche Kernkraftwerk ist abgerissen – prompt wünschen sich viele die Atomkraft zurück. Ich wünsche Ihnen einen natürlich schönen Tag. Herzliche Grüße und bis morgen Ihr Florian Harms Chefredakteur t-online E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de Gefällt Ihnen der Tagesanbruch? Dann leiten Sie diesen Newsletter an Ihre Freunde weiter. Haben Sie diesen Newsletter von einem Freund erhalten? Hier können Sie ihn kostenlos abonnieren. Alle bisherigen Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier . Alle Nachrichten von t-online lesen Sie hier . Mit Material von dpa.