Die Karibik ist die neue Front des Niedergangs der USA
Von Misión Verdad
Das Henry L. Stimson Center, einer der einflussreichsten Thinktanks für Sicherheits- und Strategiefragen in Washington, hat am 10. Oktober die Analyse "Die strategischen Kosten der US-Angriffe auf Venezuela" von Evan Cooper und Alessandro Perri veröffentlicht. Die Autoren untersuchen die möglichen Konsequenzen der aktuellen Politik der USA gegenüber Venezuela und der Karibik und warnen davor, dass jedwede militärische Eskalation Washington in eine schwächere, isolierte und verwundbare Position brächte.
Von einem institutionellen Standpunkt aus, der weit entfernt ist von kritischen Positionen zum US-Interventionismus, erkennt die Analyse an, dass es den jüngsten Angriffen und Drohungen mit neuen Operationen an einer rechtlichen Grundlage mangelt. Und dass sie die regionale Instabilität erhöhen und die USA politischen und wirtschaftlichen Kosten aussetzen, die schwer zu bewältigen sind.
Cooper und Perri beschreiben drei mögliche Vorgehensweisen: die Aktionen in der Karibik beibehalten, sie auf venezolanisches Gebiet ausweiten oder auf einen Regime Change setzen.
In jedem Szenario ist das prognostizierte Ergebnis dasselbe: ein Verlust an strategischer Legitimität und eine weitere Erosion der Führungsrolle der USA in Lateinamerika.
Die Warnung des Stimson Center kommt nicht von einer regierungskritischen Position, sondern aus genau dem intellektuellen Kern, der die Außenpolitik Washingtons historisch unterstützt hat. Deshalb ist seine Einschätzung so bedeutsam.
Drei Szenarien, ein und dieselbe Sackgasse
Die Analyse des Stimson Center identifiziert drei mögliche Wege in der Militärpolitik Washingtons gegenüber Venezuela und der Karibik. Obwohl sie sich in Umfang und Reichweite unterscheiden, führen sie alle zu dem gleichen Punkt: einer Krise der internationalen Legitimität und einer Zunahme der regionalen Instabilität, die die strategische Position der USA in jener Hemisphäre schwächt.
Das erste Szenario ist die Fortsetzung der Attacken gegen zivile Schiffe in karibischen Gewässern unter dem Vorwand der Bekämpfung des Drogenhandels. Bis zum 28. Oktober 2025 wurden mindestens 13 tödliche Angriffe durch US-Streitkräfte in der Karibik und im östlichen Pazifik registriert, bei denen 57 Menschen ums Leben kamen (*), darunter Staatsbürger aus Venezuela, Kolumbien und Trinidad. Die Bombardierungen, die größtenteils in Gebieten unter der Zuständigkeit des US-Südkommandos (Southcom) durchgeführt wurden, sind von mehreren Regierungen der Region als Verstöße gegen das Völkerrecht angeprangert worden, da keine Verbindungen der Boote zu Drogenhandelsaktivitäten nachgewiesen wurden.
Kolumbiens Präsident Gustavo Petro bezeichnete die Aktionen als "Krieg gegen ganz Lateinamerika", während Brasiliens Luiz Inácio Lula da Silva zu Zurückhaltung und Achtung des Völkerrechts aufrief. Selbst Regierungen, die Caracas kritisch gegenüberstehen, lehnen den einseitigen Einsatz von Gewalt in der Region ab.
Das zweite Szenario ist die Ausweitung der Operationen auf venezolanisches Gebiet durch Luftangriffe oder "selektive" Einsätze gegen angebliche Gruppen, die mit dem Drogenhandel in Verbindung stehen. Für die Autoren des Stimson-Berichts hätte diese Option noch schwerwiegendere Folgen: Sie würde Venezuela zu einer offenen Kriegsfront machen und der Regierung von Nicolás Maduro eine gestärkte politische Position auf nationaler und regionaler Ebene verschaffen. Ein direkter Angriff auf sein Territorium könnte ein Gefühl der kontinentalen Solidarität angesichts einer neuen ausländischen Intervention auslösen.
Das dritte, extremste Szenario ist das Setzen auf einen Regime Change. Der Text macht deutlich, dass eine Operation dieser Art einen Krieg großen Ausmaßes gegen einen Staat mit organisierten Streitkräften, moderner Luftabwehr und einer erheblichen sozialen Basis bedeuten würde. Darüber hinaus betonen die Autoren, dass die historische Erfahrung mit von ausländischen Mächten erzwungenen Regime Changes deren Unwirksamkeit zeigt: Sie führen zu institutionellem Chaos, langwierigen Konflikten und gesellschaftlicher Zersplitterung.
Der Preis eines unmöglichen Krieges
Eine direkte Intervention in Venezuela würde für die USA untragbare strategische und wirtschaftliche Kosten mit sich bringen. Es wäre ein Akt der Zermürbung, der die inneren Spaltungen des Landes vertiefen und seine internationale Position verschlechtern würde.
Aus militärischer Sicht verfügt Venezuela über ein robustes und diversifiziertes Verteidigungssystem, mit russischen S-300VM-Radarsystemen, modernisierten F-16-Kampfflugzeugen, Raketen israelischer Herkunft und einem integrierten Luftabwehrnetz, so der Bericht. In einem offenen Konfliktszenario würde die Ausschaltung dieser Kapazitäten einen groß angelegten Luft- und Seeeinsatz erfordern, mit einem ähnlichen Risiko- und Kostenniveau wie bei langwierigen Operationen in Westasien.
Die Analyse betont, dass das angebliche Ziel, den Drogenhandel einzudämmen, keine reale Grundlage hat. Die Autoren erinnern daran, dass Venezuela kein bedeutender Produzent von Fentanyl ist und dass die wichtigsten Kokainrouten nach Nordamerika über den Pazifik verlaufen, nicht über die Karibik. Die Erfahrungen in Afghanistan, wo die US-Bombardierungen von Opiumanlagen weder die Produktion noch die Finanzierung bewaffneter Gruppen verringert haben, zeigen, dass der Einsatz von Gewalt bei solchen Operationen wirkungslos ist.
Hinzu kommt eine wirtschaftliche Auswirkung von globaler Tragweite: Ein bewaffneter Konflikt mit Venezuela würde laut Schätzungen, die in dem Bericht zitiert werden, zu einem Anstieg der Ölpreise um 10 bis 20 Prozent führen, was sich direkt auf den Energiemarkt und die US-Verbraucher auswirken würde.
Eine Doktrin ohne Wiederkehr
Die Interpretation des Stimson Center liefert, vielleicht ohne es zu beabsichtigen, eine implizite Bestätigung dessen, was bereits aus anderen Teilen der Welt zu hören war: Washingtons Politik der Gewaltanwendung in der Karibik ist Teil einer strukturellen Strategie der Kontrolle der gesamten Hemisphäre.
Wenn Cooper und Perri die Risiken einseitiger Maßnahmen beschreiben, stellen sie tatsächlich fest, dass die Befehlskette zwischen dem Weißen Haus, dem Pentagon und der CIA die Durchführung verdeckter Operationen und gezielter Angriffe ohne rechtliche oder politische Rückendeckung zur Norm erhoben hat. In diesem Sinne ergänzt der Bericht die Analyse, die bereits von unserem Rechercheportal entwickelt wurde und in der wir auf die Bildung einer operativen Achse zwischen CIA und Pentagon im Rahmen einer neu konfigurierten Monroe-Doktrin hinweisen.
Das Stimson Center argumentiert, dass eine militärische Eskalation in der Karibik oder ein direkter Angriff auf Venezuela die USA nur schwächen und ihre regionale Isolation beschleunigen würden.
Diese Schlussfolgerung, auch wenn sie als Warnung formuliert ist, zeigt, dass Washington die Grenzen seiner eigenen Machtarchitektur erkennt, aber weiterhin innerhalb dieser Architektur agiert. Dieses Paradoxon definiert die aktuelle Außenpolitik der USA: Es die Politik einer Macht, die sich ihrer Risiken und Widersprüche bewusst ist, aber den Krieg als Instrument der geopolitischen Steuerung beibehält.
Die Karibik ist, wie zuvor Westasien oder der Sahel, zum Schauplatz geworden, an dem diese Doktrin auf die Probe gestellt wird. Einmal mehr steht Venezuela aufgrund seiner symbolischen und geostrategischen Bedeutung im Mittelpunkt dieses Konflikts.
Die Ausführungen des Stimson Center bestätigen ebenso wie die Praxis der Trump-Regierung, dass der hybride Krieg die zeitgenössische Form der Ausübung der US-Hegemonie in ihrer eigenen Hemisphäre ist.
Übersetzt aus dem Spanischen von Olga Espín
(*) US-Angaben zufolge wurden bei den Angriffen auf 16 angebliche Drogenboote inzwischen mindestens 65 Menschen getötet. Stand 2. November 2025.
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