Kriminalität: Wie Extremisten die Finger nach Kindern ausstrecken
Sportausflüge, Feriencamps, Bastelaktionen: Extremisten im Südwesten haben junge Menschen im Visier. Aber auch das Elternhaus kann Kinder radikalisieren.
Islamisten, Rassisten, Demokratiefeinde und Reichsbürger im Land versuchen auf mannigfaltige Weise, Kinder und Jugendliche ideologisch zu beeinflussen und zu rekrutieren. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervor. So böte etwa ein Kulturverein aus dem islamistischen Spektrum Feriencamps für Kinder und Jugendliche in Stuttgart an. Die "Selbstverwalter"-Gruppierung "Königreich Deutschland" lade zu Wanderungen ein, bei denen die eigenen Kinder mitgebracht werden könnten - ebenso die "Reichsbürger", die sich "Bismarcks Erben" nennen.
In dem Bericht führt das Ministerium eine Vielzahl von Aktivitäten und Organisationen auf. Türkisch-rechtsextremistische Organisationen etwa würden nicht nur Koranunterricht für Kinder offerieren, sondern hätten auch einen Ausflug in eine Eishalle in Wernau für Mädchen angeboten und ein Fußballturnier in Reutlingen für Jungen. Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) veranstaltete dem Bericht zufolge ein Sportfestival in Freiburg, türkische Linksextremisten ein Kinderfest in Stuttgart. Zudem sei mehrfach gemeldet worden, dass Scientology Unterrichtsmaterial direkt an Schulen verbreite.
Basteltisch am Bodensee
Die rechtsextremistische Kleinpartei "Der III. Weg", so das Ministerium, habe zudem von einem Infostand in Lindau am Bodensee im vergangenen Jahr berichtet - unter dem Motto "Kinderlosigkeit führt zum Volkstod". "Hierbei habe man einen Basteltisch für "deutsche Jungen und Mädchen" bereitgestellt, an dem Holzkreisel verziert und verschenkt und kleine Spielzeuge an "deutsche Kinder" verteilt worden seien", heißt es in der Antwort des Ministeriums.
Islamisten böten, so das Ministerium weiter, über Telegram-Kanäle Spielsachen und Kinderbücher an. Eine Baptistenkirche in Pforzheim wiederum versuche, jüngere Menschen mit extremistisch aufgeladenen christlich-fundamentalistischen Inhalten an sich zu binden. Nicht nur Verschwörungserzählungen, sondern auch die "im Zentrum stehende massive Queerfeindlichkeit" scheine für einige junge Menschen anschlussfähig zu sein, heißt es in dem Bericht.
Weltbild der Eltern
Kinder und Jugendliche werden dem Ministerium zufolge aber nicht nur von Organisationen beeinflusst, sondern maßgeblich von ihrem Elternhaus. Auch wenn Kinder keine speziell an sie gerichteten Angebote extremistischer Gruppierungen besuchten, würden "Kinder, die in extremistischen Milieus aufwachsen, sehr wahrscheinlich mit dem ideologisch gefärbten Weltbild ihrer Eltern in Berührung kommen, im Sinne der Ideologie erzogen und davon beeinflusst".
So seien im Reichsbürgermilieu Fälle von Schulentziehungen bekannt, ebenso seien Menschen aus dem Milieu während der Pandemie ins Ausland gezogen. Im Bereich der Reichsbürger und Selbstverwalter ist in dem Bericht von sozialer Isolation die Rede. "Sofern Kinder gänzlich in entsprechenden extremistischen Gemeinschaften aufwachsen, dürften ähnliche negative Folgen zu erwarten sein wie in Sektenstrukturen, insbesondere in Bezug auf die hohen sozialen Kosten bei einem späteren Ausstieg beziehungsweise dem Versuch der Wiedereingliederung in die Gesellschaft außerhalb des Milieus."
Isolation gefährlich
In der Corona-Zeit habe man im Land zudem einen starken Zuwachs an Anträgen auf Genehmigung einer privaten Grundschule verzeichnet. Damit sich Minderjährige nicht radikalisierten, sei aber der Kontakt zu Andersdenkenden etwa im Freundeskreis oder in der Schule entscheidend, so das Ministerium.
Kindern und Jugendlichen begehen im Südwesten auch extremistische Straftaten. Im Jahr 2023 seien 95 solcher Taten verzeichnet worden, bei denen zumindest eine tatverdächtige Person zum Tatzeitpunkt höchstens 17 Jahre alt war, heißt es in der Antwort. Für 2024 liegen noch keine Zahlen vor. Die überwiegende Mehrheit der Tatverdächtigen ist demnach männlich. Schulen meldeten Schmierereien von NS-Symbolen und das Zeigen des Hitlergrußes.