Merz vor den Wahlen: Diese Hürde muss der CDU-Chef am Sonntag nehmen
Friedrich Merz ist kurz vorm Ziel. An diesem Sonntag hat der Kanzlerkandidat gute Chancen, die Bundestagswahl mit seiner Union zu gewinnen. Aber reicht ein Wahlsieg für eine stabile Regierung? Es ist ein Riesenspektakel. Auf der Bühne der Rudolf-Weber-Arena in Oberhausen bewegen sich an diesem Freitagabend in Laserlichter gehüllte Figuren, Scheinwerfer gehen durch die Halle, in der 4.000 Menschen johlen und jubeln. Auf den Bildschirmen wird mit jedem Bass ein neuer Begriff eingespielt: "Stabilität", "Wachstum", "Zuversicht" – und dann: CDU . Als Friedrich Merz zum großen Wahlkampffinale seiner Partei die Halle betritt, weiten sich die Augen des Kanzlerkandidaten. So etwas hat auch er im politischen Kontext noch nicht erlebt. "Ich freue mich riesig, dass wir so geschlossen in diese Bundestagswahl gehen", sagt Merz, als er später auf der Bühne steht. Und die Menge antwortet mit weiterem Johlen. Für den Moment feiern die CDU und ihre Anhänger den wohl bevorstehenden Wahlsieg. Dabei wissen viele in der Partei und allen voran auch Merz selbst, dass es am Sonntag nicht nur darum geht zu gewinnen. Endlich am Ziel? Die letzte Hürde muss Merz noch nehmen Friedrich Merz hat lange auf diesen Moment gewartet. Mehr als eine Dekade verbrachte der CDU-Mann am politischen Spielfeldrand. Über Jahre musste er zusehen, wie Angela Merkel das Land regierte, während er selbst überzeugt war, es besser zu können. Entsprechend war es wenig überraschend, dass Merz nach dem Abgang der ehemaligen CDU-Chefin und Altkanzlerin gleich dreimal versuchte an die Parteispitze zurückzukehren. Zunächst ohne Erfolg. Doch zwei gescheiterten Merkel-Erben, Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet , und eine verlorene Bundestagswahl später entschieden sich die CDU-Mitglieder dann doch mit großer Mehrheit für Merz. Die einen, weil sie überzeugt waren, dass die Partei einen neuen, konservativeren Kurs brauchte und der Sauerländer für sie eine Galionsfigur war. Die anderen, weil sie sich geschlagen geben mussten, nachdem ihre Kanzlerin ein Vakuum hinterlassen hatte. Heute ist Merz nicht nur Partei- und Fraktionsvorsitzender. Er ist auch Kanzlerkandidat seiner Partei. Es ist ihm gelungen, die Reihen hinter sich zu schließen – in der Fraktion und in der Partei. An diesem Sonntag wird er mit der Union aller Voraussicht nach die Bundestagswahl gewinnen. Der Auftrag für eine Regierungsbildung liegt dann erst einmal bei ihm. Und doch ist Merz in diesen Tagen sichtlich angespannt. Immer wieder betont der Kanzlerkandidat, wie wichtig ein "starkes Mandat" für seine Partei sei, bittet die Wählerinnen und Wähler deshalb um ihre Stimme. Denn klar ist auch: Gewinnen reicht nicht. Ein zu schwaches Ergebnis könnte Merz vor große Schwierigkeiten stellen. Bürgergeld, Wirtschaft, Migration – die CDU hat viel versprochen Am Donnerstagabend tritt Merz in Berlin-Schöneberg auf. Der große Saal im Gasometer auf dem Euref-Campus ist gut gefüllt. Fast alle Sitzplätze sind besetzt, ein paar Menschen stehen. Viele der Anwesenden sind CDU-Anhänger, aber nicht alle. Einige sagen ganz offen, dass sie bislang noch nicht wissen, wen sie am Sonntag wählen. Enttäuschte SPD- oder FDP-Wähler sind dabei. Sie sind für Merz an diesem Abend besonders wichtig. Auf den letzten Metern geht es im Wahlkampf um die Mobilisierung der Stammwähler, es geht aber auch darum, diejenigen zu überzeugen, die noch nicht wissen, wo sie ihr Kreuz setzen sollen. Und für die CDU könnte jeder Prozentpunkt entscheidend sein. Es ist so: Seit drei Jahren erzählt Merz den Deutschen, was alles schiefläuft, dass Olaf Scholz und die Ampel das Land vor die Wand gefahren haben. Und: Dass es dann besser wird, wenn die Union mit ihm als Kanzler regiert. Genau das muss er jetzt unter Beweis stellen. Die Erwartungen, die er selbst geschürt hat, sind groß – die Herausforderung, sie zu erfüllen womöglich noch größer. Und tatsächlich haben laut dem ARD-Deutschlandtrend jüngst 69 Prozent der Deutschen sehr große oder große Sorgen, dass es nach der Wahl zu einer instabilen Regierung kommen könnte. Am Donnerstagabend bekommt Merz für drei Themen besonders viel Beifall: Migration, Wirtschaft und Kritik am Bürgergeld. So erzählt der CDU-Vorsitzende auf der Bühne etwa von einem der TV-Duelle beim Nachrichtensender "Welt". Da habe man ihm einen Bürgergeldempfänger auf Video gezeigt, der keinerlei Anstalt gemacht habe, sich eine Arbeit suchen zu wollen. "Diejenigen, die nicht wollen, die können wir nicht zwingen zu arbeiten", sagt Merz und fügt an: "Aber die können uns umgekehrt nicht zwingen, ihren Lebensunterhalt zu zahlen." Im Saal brandet lauter Applaus auf. Der CDU-Chef trifft einen Nerv. Neben Frieden und Sicherheit gehören Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit und Migration Umfragen zufolge zu den wichtigsten Themen, die Menschen für ihre Wahlentscheidung genannt haben. Aber wie will Merz seine eigenen und die Vorstellungen seiner Partei hier mit SPD und Grünen zusammenbekommen? "Über die 30": Linnemann setzt Zielmarke und Schallmauer Während es bei den Grünen in der Migrationspolitik schwer werden dürfte, ist bei der SPD ein Kompromiss beim Bürgergeld schwer vorstellbar. Mit beiden Parteien gibt es also in unterschiedlichen Bereichen fundamentale Unterschiede. Und das Argument, die Union könne ein Lockern der Schuldenbremse anbieten und dafür besonders bei der SPD für Bewegung sorgen, zieht schon deshalb nicht, weil Merz und diverse CDU-Politiker in den vergangenen Monaten so häufig beim Schuldenmachen Gesprächsbereitschaft signalisiert, dass es kaum noch als wertvolle Verhandlungsmasse gewertet werden kann. Mal ganz abgesehen davon, dass die Karten noch mal neu gemischt werden, wenn beispielsweise die FDP in den Bundestag einzieht und es nur für ein Dreierbündnis reicht, zum Beispiel eine schwarz-rot-gelbe "Deutschlandkoalition" von Union, SPD und Liberalen. Dann ist nicht nur die Schuldenbremse vom Tisch, sondern auch viele Ideen der Union im Feld der inneren Sicherheit und beim Lockern des Datenschutzes könnten dann schwierig werden. Das Ursprungsargument der CDU zu dem ganzen Dilemma lautete: Die anderen wissen doch, dass sie mit ihrem Weg gescheitert sind, die wissen doch, dass es so nicht weiter geht – die werden sich schon beugen. Merz und seine Leute reden zwar teils immer noch so, sie sagen jetzt aber auch sehr bewusst: Die CDU müsse so stark wie nur möglich werden. In einem Interview mit t-online betonte in dieser Woche etwa der Generalsekretär Carsten Linnemann: "Wir müssen jetzt noch einmal deutlich machen, dass es nur mit einer starken CDU eine stabile Regierung und einen Politikwechsel gibt. Mit einer schwachen CDU wird das nicht gehen." Linnemann geht sogar so weit, ein konkretes Ziel auszugeben: "Es muss über die 30 gehen, wenn sich wirklich etwas verändern soll", sagt der CDU-Politiker – und hofft dabei eigentlich auf noch ein paar mehr Prozent. Merz' Sorgen: Söder hat das genau im Blick In der Partei führt das durchaus zu Spannungen. Seit Monaten blickt man mit Unverständnis auf die Umfragen. Viele fragen sich: Warum stagniert die Union, wieso durchbrechen wir die gläserne Decke von 30 Prozent nicht? Selbst vom Ampelbruch hat man nicht profitiert. Im Konrad-Adenauer-Haus glaubt man, das könne einem Glaubwürdigkeitsproblem liegen. Dass die Menschen nicht darauf vertrauen, dass die CDU es am Ende ganz anders macht – schon allein deshalb nicht, weil sie mit SPD oder Grünen in einer Koalition landen wird. Horcht man jenseits dessen jedoch in die Partei hinein, gibt es auch jene, die den Kandidaten verantwortlich machen. Für Merz ist es deshalb eine doppelt schwierige Situation. Zum einen braucht der CDU-Chef ein gutes Ergebnis, um eine stabile Regierung bilden zu können und um als Union mit einem starken Mandat in Verhandlungen gehen zu können. Eigentlich wünscht Merz sich, dass es für zwei Zweierkoalitionen reicht: Schwarz-Rot und Schwarz-Grün. Auch, wenn Markus Söder derzeit bei jeder Gelegenheit sagt, es werde mit ihm kein Schwarz-Grün geben – Merz wird dann mit beiden reden. Denn statt eingemauert zu sein, kann er dann die Zugeständnisse der einen als Druckmittel für die anderen nutzen. Zum anderen hat Merz auch die eigenen Reihen im Hinterkopf. Ein zu schwaches Ergebnis dürften die Regierungsbildung auch deshalb erschweren, weil dann gewisse Landesverbände noch einmal laut werden könnten. Immerhin haben einige von ihnen, darunter Nordrhein-Westfalen, Hessen, aber auch Schleswig-Holstein selbst starke Ergebnisse bei ihren Landtagswahlen geholt. Ein mögliches Mitspracherecht hängt nicht zuletzt davon ab, mit was für einem Sieger-Ergebnis Merz die Partei ins Ziel bringt. Und dann ist da noch einer, der das Ganze genauestens im Blick haben dürfte: Markus Söder. Der CSU-Vorsitzende könnte in Bayern ein starkes Ergebnis mit seiner CSU einfahren. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GMS im Auftrag von Sat.1 Bayern erreicht die Partei im Freistaat aktuell 42 Prozent. Dass Söder sich nicht als Nummer Zwei hinter Merz sieht, hat der Bayer schon im Vorfeld deutlich gemacht. Wie unangenehm es für Merz mit Söder jedoch wirklich werden könnte, hängt auch davon ab, wie stark die CSU im Verhältnis abschneidet. Etwa könnte Söder dann vier statt der eigentlich angedachten drei Ministerposten in Berlin einfordern. Am Freitagabend scheint die Stimmung beim Wahlkampffinale in Oberhausen noch gut. Nach dem Programm baden die CDU-Spitzen in der Menge, machen Selfies. Nur ganz gelöst wirkt Merz nicht. Wohl nicht, weil er Sorge hat, ob er Kanzler wird. Sondern, weil er sich schon jetzt überlegt, was dann passiert.