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SPD kämpft gegen Umfragetief: Carsten Schneider will das Ruder rumreißen

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Eine Woche vor der Wahl wirkt die SPD wie erstarrt, nichts scheint zu fruchten. Doch die Kampagne sei nicht das Problem, sagt der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), im Interview. Die Ursache liege tiefer. Am 23. Februar droht der ältesten Partei Deutschlands eine historische Schlappe. In den Umfragen bewegt sich seit Monaten kaum etwas, obwohl die SPD kämpft, als ginge es ums Überleben. In einem gewissen Sinne tut es das auch: Denn sollte die Kanzlerpartei tatsächlich mit 15 oder 16 Prozent durchs Ziel stolpern, wäre das nicht nur die größte Niederlage ihrer Parteigeschichte. Ihre Existenz als Volkspartei stünde infrage. Carsten Schneider will das nicht zulassen. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung kämpft seit Monaten an den Infoständen und Marktplätzen dieser Republik, allen voran in seinem Erfurter Wahlkreis, für eine starke SPD. Doch Schneider ist Realist, er sieht die tektonischen Verschiebungen einer tief verunsicherten Gesellschaft und die sich aufdrängende Frage, welche Rolle die Sozialdemokratie künftig darin spielt. Ein Gespräch über die alles überlagernde Migrationsdebatte, streitlustige Erfurter, das drohende Aus des Deutschlandtickets – und warum Markus Söder sein Blatt nicht überreizen sollte. t-online: Herr Schneider, eine Woche vor der Wahl hängt die SPD weiter im Umfragetief bei 15 bis 16 Prozent. Glauben Sie noch ans Wunder einer Aufholjagd? Carsten Schneider : Das hat nichts mit Wundern zu tun. Wenn die Menschen in der Wahlkabine stehen, werden sie sich genau überlegen, ob sie einen besonnenen Olaf Scholz oder einen unbeherrschten Friedrich Merz im Kanzleramt sehen wollen. Bisher hat kaum etwas gefruchtet, auf das die SPD im Wahlkampf gesetzt hat. Hat die Parteizentrale die falschen Schwerpunkte vorgegeben? Die Kampagne ist sehr gut, aber die allgemeine politische Stimmung in Deutschland ist schlecht. Viele Menschen sind bedrückt, haben Zukunftsangst, immer mehr haben existenzielle Probleme. Ein Grund dafür sind die tieferliegenden Schwächen Deutschlands, die die Regierung angepackt hat, aber in drei Jahren natürlich nicht beseitigen konnte. Unser Wohlstandsmodell ist gefährdet, wir brauchen Strukturreformen in vielen Bereichen. Damit haben wir begonnen. Diesen Weg müssen wir weitergehen. Der Großteil der Menschen will einfach nur, dass die Regierung, die sie gewählt haben, ihre Arbeit macht und Probleme löst. Stabile Renten, Investitionen in Infrastruktur, ein höherer Mindestlohn, Entlastung für die arbeitende Mitte: Die SPD hat sich einige wohlklingende Botschaften für die Wähler ausgedacht. Warum verfängt das nicht beim Wähler? Derzeit werden ökonomische Fragen in der öffentlichen Debatte komplett vom Migrationsthema überlagert. Wir hatten furchtbare Attentate, die ins Mark gingen. Friedrich Merz hat versucht, die Stimmung gezielt auszunutzen. Er hat dabei Stimmen von Rechtsextremen in Kauf genommen, in der Sache aber nichts erreicht. Das war ein folgenschwerer Fehler. Für die SPD heißt das leider, dass wir mit unseren Ideen für eine gerechte Gesellschaft und zukunftsfähige Wirtschaft aktuell kaum durchdringen. Was schlagen Sie vor? Nicht mehr so viel über Migration sprechen, wie SPD-Chefin Saskia Esken neulich forderte? Wir müssen natürlich darüber sprechen, aber doch besonnen und nicht wahltaktisch, wie Merz das tut. Für viele Menschen ist die Migration eine einschneidende Lebensveränderung in ihrem Alltag. Das trifft vor allem auf das Gebiet der früheren DDR zu, das ehemals homogenste Staatsgebiet, das man sich vorstellen kann, weil niemand rein- oder rauskam und man deswegen auch kaum Kontakt zu Migranten hatte. Menschen brauchen Zeit, um sich an Veränderungen zu gewöhnen. Also einfach laufen lassen, bis sich die Leute an die neue Situation gewöhnt haben? Die wirtschaftlich notwendige Zuwanderung haben wir geregelt und ermöglicht. Wir müssen zugleich die illegale Migration stärker begrenzen und für mehr Ordnung sorgen: Diejenigen ausweisen, die ihren Schutzanspruch verwirkt haben oder nie einen hatten. Stärker unsere Grenzen kontrollieren. Mehr Rücknahmeabkommen mit Herkunftsländern schließen. Wäre es nach uns gegangen, hätten wir noch vor der Wahl die Umsetzung der EU-Asylreform mit den schnelleren Verfahren und schärferen Kontrollen an den EU-Außengrenzen in nationales Recht beschlossen. Verhindert wurde das bekanntermaßen von der Union, die angeblich so dringend eine Asylwende herbeiführen will. Im Gegensatz zu Friedrich Merz redet Olaf Scholz nicht nur, er handelt und hat nach fast zehn Jahren Verhandlungen auf EU-Ebene diese Einigung erreicht. Aber Scholz hat gerade in der Migrationsfrage oft erst auf öffentlichen Druck hin reagiert, anstatt zu führen und proaktiv zu handeln. Denken Sie nicht, dass die Leute genau das spüren und dem Kanzler auch deswegen wenig Kompetenz in der Asylpolitik zuschreiben? Wir haben gehandelt, wo es notwendig war, und werden diesen Kurs weiterverfolgen. Olaf Scholz hat die konsequentesten und schärfsten Migrationsregeln seit Jahren durchgesetzt. Wie wird die Berliner Migrationsdebatte in Ihrem Erfurter Wahlkreis wahrgenommen, wo Sie gerade viel Zeit beim Wahlkämpfen verbringen? Es gibt unbestreitbar Ängste und Sorgen von Bürgern, die man ernst nehmen muss. Wir müssen aber rational damit umgehen und den Dialog suchen, weil auch viel Unwissen und Falschinformation unterwegs sind. Was wir zugleich unbedingt vermeiden müssen, ist ein Wettbewerb um die schärfste Rhetorik. Deutschland, vor allem Ostdeutschland, braucht in hohem Maße qualifizierte Zuwanderung. Unser künftiger Wohlstand hängt davon ab, ob wir ausländische Fachkräfte anwerben können. Niemand will ins Jahr 2015 zurück, aber wenn wir nicht mehr als weltoffenes Land wahrgenommen werden und qualifizierte Menschen einen Bogen um uns machen, ist unser Wirtschaftsmodell in Gefahr. Dann werden wir noch ganz andere Verteilungskämpfe erleben. Auf wie viel Verständnis stoßen Sie, wenn Sie dieses Argument in Bürgergesprächen bringen? Zunächst kommt Widerspruch, aber je länger das Gespräch dauert, desto mehr wird den Leuten klar, was die Folgen harter Abschottung für sie persönlich wären. Ich versuche es oft, mit Beispielen aus der Praxis zu erklären. Den Mangel an Arbeitskräften kennen auch die, die sich über zu viele Migranten beschweren: eingeschränkte Restaurantzeiten, wenige freie Arzttermine, fehlende Handwerker. Wenn wir auf einen Schlag die Grenzen dichtmachen, wird es in Deutschland ganz schnell zappenduster. Haben Sie ein konkretes Beispiel? Im Erfurter Klinikum würde die Intensivstation ohne Menschen aus dem Ausland wohl zusammenbrechen. Ein Viertel der Mitarbeiter dort sind keine Deutschen. In vielen anderen Bereichen ist es ähnlich. Wenn jemand an meinen Wahlkampfstand kommt mit der Parole "Die Ausländer arbeiten doch gar nicht", frage ich zurück: Wer serviert dir das Essen im Restaurant? Wer liefert deine Pakete zu dir nach Hause? Bei mir in Erfurt habe ich die zwei großen Verteilzentren von Amazon und Zalando. Von den mehr als 3.000 Beschäftigten sind weit über die Hälfte nicht aus Deutschland. Das ist harte Arbeit, ohne die vieles in Deutschland nichts laufen würde. Sprechen wir über das Deutschlandticket. Es galt bei Einführung als "Revolution" im Verkehrsbereich, weil es das Kleinklein der Länder beendete und zudem die ÖPNV-Tarife im Osten und Westen anglich. Nun steht es vor dem Aus, CDU/CSU beklagen die hohen Kosten für den Staat. Was wären die Folgen? Das Deutschlandticket ist eine der klügsten und wahrscheinlich prägendsten Entscheidungen dieser Regierung gewesen. Damit kann man sich unkompliziert mit einem vergleichsweise günstigen Tarif in ganz Deutschland bewegen. Es wäre verrückt, das zu beenden und zurück in die Kleinstaaterei der vielen unterschiedlichen Tarife zu gehen. Die SPD wird sich für den Erhalt des Tickets einsetzen. Am 23. Februar entscheiden die Wähler auch darüber. Vor allem die bayerische Landesregierung macht seit Monaten Stimmung gegen das Ticket. So fordert sie etwa die komplette Kostenübernahme des Bundes, weil allein Bayern rund 400 Millionen Euro stemme, heißt es. Können Sie den Punkt nachvollziehen? Nein, leider schaut die regierende CSU oft nicht über ihren Tellerrand und hat die Interessen des ganzen Landes nicht im Blick. Das war beim alten Länderfinanzausgleich so, das ist bei der notwendigen Reform der Schuldenbremse so, die Söder an die Bedingung knüpft, den derzeitigen föderalen Finanzausgleich neu zu verhandeln. Das zeigt nur den Egoismus der CSU, die nicht gesamtdeutsch denkt, sondern vor allem an parteipolitische Propaganda. Vom Deutschlandticket profitieren aber auch die Menschen in Bayern. Wer diese Erfolgsgeschichte nicht sieht, dem ist nicht mehr zu helfen. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder wetterte vor einer Weile gegen das noch günstigere, weil zusätzlich subventionierte Berliner 29-Euro-Ticket. Auf "bayerische Kosten" würden in der Hauptstadt "verkehrspolitische Wohltaten" verteilt. Sind das legitime Anliegen oder Züge von bayerischem Antiföderalismus? Das ist der übliche Söder-Populismus. Bayern ist ein schönes Bundesland, ich verstehe den Stolz der Menschen, die dort leben. Doch die CSU nutzt die Größe und Folklore Bayerns aus, um medial wahrgenommen zu werden und Stärke zu simulieren. Das ist politisch unklug und zunehmend auch peinlich. Es fließt auch kein Cent aus den landeseigenen Steuern Bayerns nach Berlin . Söder kann oder will nicht verstehen, dass es sich bei der Finanzmasse um Gemeinschaftssteuern vom Bund und allen Ländern handelt, die nach einem bestimmten Mechanismus aufgeteilt werden. Diesen Mechanismus könnte man sogar noch gerechter gestalten. Befürchten Sie, dass sich der Sound aus München verschärft und das System des föderalen Ausgleichs untergräbt? Die CSU ist die größte Gefahr für Ostdeutschland und unseren solidarischen Bundesstaat, weil sie immer wieder die Axt an den föderalen Finanzausgleich anlegt. Dabei sollte Söder wissen, dass kein westdeutsches Bundesland in Deutschland so stark von der Einheit profitiert hat wie Bayern. Wie das? Einerseits durch die starke Zuwanderung, die Hunderttausende exzellent ausgebildete Menschen aus dem Osten nach München und Nürnberg brachte. Andererseits durch die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit: Bayern hat nicht nur eine neue ICE-Trasse erhalten, mit der sie in vier Stunden von Berlin nach München kommen. Sondern auch zwei neue Autobahnen, die Nordbayern mit dem Osten und Nordosten verbindet. Außerdem hat die CSU bei der Neuregelung des föderalen Finanzausgleichs 2020 bereits enorm profitiert. Söder sollte sein Blatt nicht überreizen. Herr Schneider, vielen Dank für das Gespräch.