Migration: Die Antwort liegt auf der Hand
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser, was die Kanzlerfrage anbelangt, scheint der Bundestagswahlkampf entschieden zu sein. Wer sich ein Duell oder gar Triell um das wichtigste Staatsamt erhofft hatte, guckt in die Röhre. CDU/CSU-Kandidat Friedrich Merz liegt mit großem Abstand vorn. Die zweitplatzierte AfD wird keine Koalitionspartner finden, die Grünen und die SPD balgen sich um Platz drei und können allenfalls auf die Vizekanzlerschaft hoffen. Auch taktisch und kommunikativ hat Merz seine Mitbewerber abgehängt. Man mag von seinem Migrationsmanöver im Bundestag halten, was man will, aber er hat erreicht, dass das ganze Land über ihn und seinen Plan zur Eindämmung der Einwanderung spricht. Merz polarisiert, aber er dominiert die Politikdebatten. Daneben verblassen der hölzerne Olaf Scholz, der pathetische Robert Habeck und die giftige Alice Weidel. Sogar Rumpelstilzchen Markus Söder muss sich erstmals seit Langem mit einer Statistenrolle begnügen. Mit seinem Migrationsplan und seinem Machtmanöver im Bundestag ist Merz voll ins Risiko gegangen. Knapp eine Woche später ist der Aufruhr immer noch nicht abgeklungen, während der CDU-Chef nonchalant über die Trümmer der Brandmauer hinwegschreitet. Für linksliberale Bürger hat er sich endgültig in ein rotes Tuch verwandelt, aber auch viele Leute aus der Mitte der Gesellschaft sehen sein Vorgehen kritisch. Personenbezogene Umfragen sollte man vorsichtig gewichten, aber eine gewisse Aussagekraft hat die neue Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Forsa für RTL schon. Sie wurde vergangenen Donnerstag und Freitag erhoben, also während des Migrationsstreits im Bundestag. Demzufolge hat sich Friedrich Merz' Eigenschaftsprofil in vier von sechs Merkmalen verschlechtert: Nur noch 49 Prozent der Bundesbürger halten ihn für "führungsstark" (minus zwei Punkte) und nur noch 43 Prozent für "kompetent" (minus drei Punkte). Noch stärker verliert er bei den Eigenschaften "vertrauenswürdig" (24 Prozent – minus sechs) und "sympathisch" (16 Prozent – minus acht). Zulegen kann Merz dagegen beim Merkmal "redet verständlich": Da gewinnt er fünf Punkte und landet bei 65 Prozent. Auch bei der Eigenschaft "weiß, was Menschen bewegt" gewinnt er 3 Punkte und kommt immerhin auf 36 Prozent. Bei dieser letztgenannten Frage könnte es sein, dass der Unionschef in den kommenden Tagen allerdings weiter stark zulegt. Dem Deutschlandtrend zufolge hat die Migrationspolitik als dringendstes Anliegen der Bürger sogar die wirtschaftliche Lage überholt. Der Tenor ist klar: Die Mehrheit wünscht sich weniger Flüchtlinge. Zwar favorisiert die Mehrheit der Befragten eine europäische Regelung. Doch das Vertrauen sinkt, dass die EU-Staaten eine gemeinsame Asylpolitik tatsächlich durchsetzen können. Bisher handelt es sich nur um Absichtsbekundungen, konkrete Gesetze sind noch nicht erlassen, und aus Ländern wie Ungarn, Polen, der Slowakei und den Niederlanden dürften weiterhin Widerstand und Verzögerungen zu erwarten sein. Auch deshalb hat der Historiker Michael Wolffsohn das Vorgehen von CDU und CSU im Bundestag verteidigt. Für einzelne Vorhaben in wichtigen Politikbereichen müsse es möglich sein, wechselnde Mehrheiten zu erreichen, meint er. Es gebe Demokratien, "in denen das mehrfach und sehr erfolgreich praktiziert wurde und wird", hat er den Kollegen von "Welt TV" gesagt. Ich denke etwa an Dänemark, wo die Rechtsextremisten von vorher 20 Prozent auf knapp 3 Prozent zurück geschrumpft worden sind. Man darf auch mal von anderen lernen." Dem Entsetzen über die Inkaufnahme von AfD-Stimmen kann Wolffsohn wenig abgewinnen: "Empörung ersetzt nie das Denken, und die Tatsachen sprechen doch eine klare Sprache", urteilt er trocken. "Trotz oder wegen der Brandmauer: Die AfD ist nicht schwächer geworden, sondern stärker. Da kann man doch nicht so wie bisher weitermachen und Zeter und Mordio schreien." Und weiter: "Wenn zwei Drittel der Bundesdeutschen sagen, so geht es in der Migration nicht weiter, kann man ihnen doch nicht etwas aufpfropfen, weil es so etwas gibt wie eine Brandmauer. Wenn es regnet und die AfD sagt, es regnet, dann wird es dadurch nicht falsch." Zwar verbietet sich eine Zusammenarbeit mit der rechtsextremistisch geprägten AfD für jede demokratische Partei. Aber ein realistischerer Blick auf die Migrationsentwicklung täte dem Land gut. Innenministerin Nancy Faeser verweist zu Recht darauf, dass die Ampelkoalition zahlreiche Verschärfungen umgesetzt hat und wieder sämtliche Grenzen durch die Bundespolizei kontrollieren lässt (soweit das mit dem vorhandenen Personal eben geht). So sind die Asylbewerberzahlen deutlich gesunken. Trotzdem lagen sie im vergangenen Jahr mit mehr als 250.000 Personen auf dem europäischen Spitzenplatz. Deutschland wirkt immer noch wie ein Magnet – nicht nur auf Flüchtlinge aus Krisenstaaten wie Syrien und Afghanistan, auch auf Afrikaner und Araber, die sich einfach ein besseres Leben erhoffen. Es dürften in den kommenden Jahren noch sehr viel mehr werden. Die 20 Länder mit dem höchsten Bevölkerungswachstum weltweit liegen allesamt in diesen Weltregionen, vom Jemen bis Angola. Leben heute noch 1,5 Milliarden Menschen in Afrika, werden es 2050 bereits 2,5 Milliarden sein. Allein Nigerias Einwohnerzahl hat sich in den vergangenen zehn Jahren um 50 Millionen Menschen erhöht. In 25 Jahren wird das Land nach Berechnungen der Vereinten Nationen die drittgrößte Bevölkerung weltweit aufweisen: 400 Millionen Einwohner. Viele dieser Menschen finden in ihrer Heimat kein Auskommen mehr. Die Klimakrise verödet ganze Regionen, Milizen versetzen Städte in Angst und Schrecken, Korruption erstickt vielerorts unternehmerische Eigeninitiativen. Daran trägt der Westen ein gerütteltes Maß Mitschuld, aber die Lage ist, wie sie ist. Vor einiger Zeit konnte ich mir vor Ort ein Bild machen und habe meine Eindrücke hier beschrieben. Der Krisensturm hat Folgen: Der Weltbank zufolge könnte allein die Erderhitzung bis zum Jahr 2050 mehr als 100 Millionen Afrikaner zur Migration zwingen. Die meisten werden innerhalb des Kontinents vertrieben. Wer es sich leisten kann und zudem furchtlos (oder verzweifelt genug) ist, wird jedoch die riskante Fahrt übers Mittelmeer wagen. Man muss kein Mathematiker sein, um zu erkennen, dass künftig mehr Menschen nach Europa streben als heute. Sehr viel mehr. Auf diese Entwicklung braucht Deutschland eine Antwort, die aus mehr besteht als rituellen Beschwörungen der EU-Solidarität. Weil die Bundesregierungen von Angela Merkel und Olaf Scholz eine schlüssige Antwort verweigerten, weil viele deutsche Kommunen am Anschlag sind und weil brutale Gewalttaten von Migranten das Land erschüttert haben, stehen wir nun, wo wir stehen: Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich effektive Taten, um die ungeregelte Einwanderung zu stoppen. Und zwar schnell. Das ist weder fremdenfeindlich noch rassistisch, sondern verständlich. Und eine dringende Aufgabe für das nächste Bundeskabinett. Hoffentlich ist es mit pragmatischen Demokraten besetzt. Trumps Handelskrieg Ab heute sollten sie eigentlich gelten, die am Wochenende verhängten Strafzölle des Dekret-Präsidenten Donald Trump: Der Kraftprotz im Weißen Haus scheint jedoch zu ahnen, dass seine Attacke auf den Freihandel auch negative Folgen für die Amerikaner selbst haben wird: Mit Mexiko, dem größten Handelspartner der USA, fand er in letzter Minute einen Kompromiss. Auch das ursprünglich ebenfalls bedrohte Kanada konnte kurz vor Mitternacht noch eine Gnadenfrist aushandeln. Nach der plötzlichen Einigung stellen sich nun viele in Washington die Frage: Wer hat diesen Zollstreit wirklich für sich entschieden? Unser Korrespondent Bastian Brauns geht dieser Frage nach und beleuchtet dabei auch die Rolle von Kanadas Premier Justin Trudeau und Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum. Auch mit China will Trump diese Woche noch verhandeln. Auf sämtliche US-Einfuhren aus dem Land werden ab heute Gebühren in Höhe von zehn Prozent fällig. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: China will vor der Welthandelsorganisation klagen. Und wann ist die EU an der Reihe? Dass er auch die Europäer mit Strafzöllen belegen will, hat Trump schon geäußert, aber noch keinen Zeitpunkt benannt. Die Folgen für deutsche Unternehmen, die Kanada als strategischen Produktionsstandort für den nordamerikanischen Markt nutzen, sind allerdings auch so schon gravierend, wie Bastian Brauns berichtet. Heute empfängt Trump erst einmal Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, um "das Nahostproblem zu lösen". Seine nächste Zoll-Salve hat er für den 18. Februar in Aussicht gestellt: Dann will er sich Computerchips, Stahl, Medikamente, Aluminium, Kupfer und Öl vorknöpfen. Höchste Zeit, dass man in Brüssel, Berlin und Paris eine Abwehrstrategie beschließt. Ohrenschmaus Schau ich mir an, was gerade in Amerika los ist, fällt mir ein besonderer Song ein. Mit einem besonderen Video. Lesetipps Uli Hoeneß nimmt den Mund gern voll. So hat er es auch im Exklusiv-Interview mit unserem Reporter Julian Buhl gehalten. Was der Patriarch des FC Bayern über seine Kicker denkt und warum er "eine völlig neue Ära in der deutschen Politik" erwartet, lesen Sie heute Vormittag auf t-online. Zur Abschreckung Russlands setzt die Nato auf moderne Hightech-Waffen. Warum das eine eigene Gefahr mit sich bringt, erklärt der Militäranalyst Franz-Stefan Gady im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke. Die FDP hadert nach der Migrationsschlacht im Bundestag mit dem Bild, das sie abgegeben hat. Plötzlich scheinen selbst lange vergessene Flügelkämpfe wieder möglich, berichtet unser Reporter Florian Schmidt. Wahlkampf mal anders: Meine Kollegen von Watson.de haben junge Bundestagsabgeordnete zum Blind Date eingeladen. Hier trifft eine Grüne auf einen Liberalen – und dann geht’s los … Zum Schluss Man sollte stets aufs Kleingedruckte achten. Ich wünsche Ihnen einen frohen Tag. Morgen kommt der Tagesanbruch von Christine Holthoff. Herzliche Grüße Ihr Florian Harms Chefredakteur t-online E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de Gefällt Ihnen der Tagesanbruch? Dann leiten Sie diesen Newsletter an Ihre Freunde weiter. Haben Sie diesen Newsletter von einem Freund erhalten? 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