Pandemie: Fünf Jahre Corona - Müssen wir uns noch Sorgen machen?
Das wird nicht wieder verschwinden, warnten Fachleute früh. Auch aktuell sind viele Menschen mit Corona infiziert. Ist das noch ein Grund zu größerer Besorgnis? Gibt es weitere Folgen, die nachwirken?
Schon im November 2019 muss es in China Fälle jener mysteriösen Lungenerkrankung gegeben haben, die später den Namen Covid-19 erhielt. Erste Infektionen wurden Anfang Dezember in der Metropole Wuhan offiziell erfasst, in Deutschland wurde der erste Fall am 27. Januar 2020 bekannt. Was auf Deutschland zukam, ahnte damals wohl kaum jemand. Wie sieht die Lage heute aus, fünf Jahre später?
Muss man sich noch Sorgen machen?
"Covid ist immer noch keine normale Erkältung", sagt der Berliner Virologe Christian Drosten. "Viele Patienten fühlen sich sehr krank, wenn sie infiziert sind." Die Sterblichkeit habe sich aber aufgrund der Immunität durch Impfungen und überstandene Infektionen deutlich verringert, sie sei nun etwa so hoch wie bei der Grippe.
Laut Robert Koch-Institut (RKI) gibt es deutlich seltener schwere Covid-19-Verläufe als noch 2020 und 2021. Betroffen sind laut Carsten Watzl von der TU Dortmund meist Menschen, die wegen einer Vorerkrankung oder einer Organtransplantation ein schwaches Immunsystem haben.
Ist Impfen gegen Corona noch nötig?
Wie bei der Grippe wird vor allem bestimmten Gruppen dazu geraten. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt Menschen ab 60 Jahren und Erwachsenen mit Grunderkrankungen, sich jeweils im Herbst eine Corona-Auffrischungsimpfung zu holen. "Wer jünger ist, sollte wissen: Der Hausarzt hat einen großen Ermessensspielraum bei der Impfentscheidung", so Drosten.
Die Impfstoffe werden regelmäßig an neu auftretende Varianten angepasst - die es bei Sars-CoV-2 immer noch häufiger gibt als bei anderen Coronaviren, wie Watzl erläutert. "Evolutionär ist das Virus noch ein Baby", erklärt der Immunologe. "Seine optimale Anpassung hat es noch nicht gefunden."
"Ich kann mir gut vorstellen, dass auch dieser Erreger sich nach einigen weiteren Jahren beruhigt", ergänzt Drosten. "Aber vielleicht sind es auch Jahrzehnte." Dass noch einmal eine Variante entsteht, die deutlich schlimmere Krankheitsverläufe mit höherem Sterberisiko hervorruft, hält der Direktor des Instituts für Virologie der Charité Berlin für unwahrscheinlich. "Die Bevölkerungsimmunität, die wir jetzt durch Impfung und überstandene Infektionen erreicht haben, ist robust und wird insgesamt noch stärker."
Wie steht es mit dem Risiko für Long Covid?
Langzeitfolgen treten bei den seit einiger Zeit kursierenden Omikron-Varianten deutlich seltener auf als bei den anfangs vorhandenen, wie Watzl sagt. Impfungen und überstandene Infektionen verminderten das Risiko dafür. Womöglich träten solche Nachwirkungen künftig ähnlich selten auf wie bei anderen Infektionen.
Viele Viruserkrankungen können Probleme wie Herzmuskelentzündungen, Erschöpfungszustände, Depressionen oder Nervenschäden verursachen. Nach einer Grippe zum Beispiel können langanhaltende gesundheitliche Probleme ähnlich denen bei Long Covid auftreten. Bei Covid sind Langzeitfolgen laut Drosten aber derzeit noch deutlich häufiger.
Drosten verweist auf eine aktuelle Auswertung, der zufolge etwa sechs Prozent der Corona-Infizierten mit Symptomen Long Covid bekommen. Sie zeigten drei Monate nach der Erkrankung noch mindestens einen von drei Symptomkomplexen: schmerzbegleitete Erschöpfungszustände, reduzierte geistige Leistungsfähigkeit oder deutliche Atemwegs- und Covid-Symptome.
Als Long Covid definieren die deutschen Patientenleitlinien Beschwerden, die länger als vier Wochen nach der Corona-Infektion bestehen, als Unterform Post Covid Syndrom dauern sie länger als zwölf Wochen an. Die genauen Ursachen sind noch immer unklar.
Die Behandlung von Long Covid bleibt wegen der von Patient zu Patient sehr unterschiedlichen Symptome eine Herausforderung. Eine standardisierte Therapie oder spezifische Medikamente gibt es nicht, sehr wohl aber spezialisierte Long-Covid-Ambulanzen und Reha-Einrichtungen.
Sind Menschen nun häufiger erkältet als vor der Pandemie?
Tatsächlich scheint es so, als würde Covid-19 sich nicht eingliedern, sondern die Zahl der Atemwegsinfekte insgesamt steigen lassen. Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigen eine vergleichsweise hohe Zahl akuter Atemwegserkrankungen. In der Zeit vor Covid-19 seien die Werte kleiner gewesen, sagt Watzl. Es sei davon auszugehen, dass man sich auch in Zukunft auf höhere Erkältungszahlen im Herbst und Winter als vor der Pandemie einstellen muss.
Wie oft jemand von Sars-CoV-2 erwischt wird, ist individuell sehr unterschiedlich. "Manche hatten es erst einmal, manche schon fünfmal", sagt Watzl. Daten zu anderen unter Menschen kursierenden Coronaviren zeigen demnach einen mittleren Abstand von etwa zweieinhalb bis vier Jahren bis zur nächsten Erkrankung.
Gibt es weitere Folgen, die nachwirken?
Besonders große Auswirkungen hatte die Pandemie in Deutschland auf Heranwachsende. Während der Lockdowns und Schulschließungen tauchten viele Jungen und Mädchen stärker in digitale Welten weg.
Auch nach der Corona-Krise haben viele weiter eine problematisch hohe Nutzung, wie eine im vorigen Februar vorgestellte Untersuchung ergab. Knapp ein Viertel der 10- bis 17-Jährigen (24,5 Prozent) nutzt demnach Social-Media-Dienste wie Tiktok, Instagram oder WhatsApp riskant viel. Hochgerechnet seien es aktuell 1,3 Millionen Jungen und Mädchen - dreimal so viele wie im Vor-Corona-Jahr 2019, hieß es.
Eine im März im Fachblatt "Journal of Health Monitoring" vorgestellte Umfrage ergab bei Schulkindern zudem ein deutliches Plus an psychosomatischen Beschwerden wie Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen.
Eine starke Abnahme gab es hingegen bei der körperlichen Aktivität - die bisher nicht wieder das vorpandemische Niveau erreichte, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) mitgeteilt hat. "Die Gefahr besteht, dass die Verhaltensweisen aus der Pandemie zum Teil dauerhaft beibehalten werden", sagte BiB-Forschungsdirektor Martin Bujard.
Weil viele Kinder zudem anfingen, mehr Süßigkeiten und Knabbereien zu naschen, legten gerade Mädchen und Jungen mit schon bestehendem Übergewicht noch einmal Kilos zu, vor allem solche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien. Fachleute warnen vor langfristigen Folgen wie Bluthochdruck, Fettleber und Diabetes.
Ist die Welt durch Covid-19 eine andere geworden?
Seuchen seien in europäischen Staaten auch in früheren Jahrhunderten stets eine Herausforderung für die Politik gewesen, erklärt Karl-Heinz Leven von der Universität Erlangen-Nürnberg. Unter anderem, weil Maßnahmen wie Kontaktsperren und die Isolation von Kranken stets nur behördlich unter anderem mit Strafen bei Übertretung durchgesetzt werden konnten.
Es liege der menschlichen Natur zugrunde, dass eine Krise ungünstige Entwicklungen hervorrufe, schrieb Leven im Fachblatt "Geschichte in Wissenschaft und Unterricht". Dazu zähle das Streuen von Gerüchten, die bei Ausbrüchen der Pest zu Lynchmorden führten. "Im 19. Jahrhundert wurden im Zuge der Cholera-Epidemien in einigen europäischen Städten Ärzte und Apotheker gelyncht, da es gerüchteweise hieß, sie vergifteten die Armen."
Auch während der Corona-Pandemie hätten sich Gerüchte massiv verbreitet. Das Stichwort "Corona-Verschwörung" bringe bei einer Google-Suche zig Millionen Treffer, so Medizinhistoriker Leven. Zugleich habe sich im Gegenzug eine Art allergische Reaktion entwickelt, kritische Positionen Andersdenkender automatisch mit Verschwörungserzählungen gleichzusetzen.
Haben wir gelernt aus der Pandemie?
Das darf bezweifelt werden. Zwar wurden in etlichen Ländern Pandemie-Pläne entstaubt oder erst geschaffen. Doch ein aktuelles Beispiel zeigt, dass im Zweifelsfall weiterhin zu wenig geschieht, um die Ausbreitung gefährlicher Erreger früh zu stoppen: die Vogelgrippe H5N1 in US-Milchviehbetrieben. Seit den ersten Nachweisen im März wurden dem US-Landwirtschaftsministerium zufolge H5N1-Fälle in hunderten Betrieben vieler Bundesstaaten erfasst.
Es sei leider nicht zu erkennen, dass Maßnahmen ergriffen werden, die das Geschehen schnell stoppen würden, sagt Martin Beer, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) auf der Insel Riems bei Greifswald. Den Eindruck, dass in den USA mehr Wert darauf gelegt wird, kurzfristig wirtschaftlichen Schaden zu vermeiden als eine mögliche weitere Zoonose zu unterbinden, bestätigt auch Drosten: "Es ist schon frappierend, wie wenig Dateneinsicht und gezielte Infektionsüberwachung stattfindet, sowohl bei Tieren als auch beim Menschen."