"Es geht nicht um mich" – Habecks Einschätzungen zum Aus der Ampel
Die RND-Redaktion beginnt ihren Interview-Artikel mit der Nebensächlichkeit, dass man trotz Habecks Rückkehr vor dem Gespräch aus Baku von der UN-Klimaschutzkonferenz dem ambitionierten Grünen-Politiker "den fehlenden Schlaf nicht anmerkt". Der Vizekanzler wirke "putzmunter", die in Wiesbaden beim Grünen-Parteitag erfahrene Zustimmung von 96,5 Prozent gebe "ihm offenbar Rückenwind".
Der Kinderbuchautor möchte dann auch gleich einen "Sportvergleich" nutzen, um den Status quo im politischen Berlin zu erklären, wo er zuvor im Sommer laut RND zu seiner "Bereitschaft für eine Kanzlerkandidatur" von einem "0:4-Rückstand gegen die Grünen" sprach. Nun laute die Situation:
"Ich habe mir vorgenommen, das mit den Fußballvergleichen zu lassen, mein Lieblingssport ist Handball. Gemeint hatte ich, dass die gesellschaftliche Stimmung in weiten Teilen gegen die Ampelkoalition und auch die Grünen gerichtet war. Jetzt haben wir eine noch immer schwierige, aber andere Ausgangslage: Die Koalition mit der FDP gibt es nicht mehr, wir starten in eine neue Phase. Wenn es noch mal ein Sportvergleich sein soll, dann würde ich sagen: Das alte Spiel ist abgepfiffen worden, ein neues hat begonnen, und wir gehen da mit neuer Kraft rein."
Zu dem Widerspruch zwischen seiner Kanzlerambition und Grünen-Umfragewerten zwischen zwölf und 14 Prozent führt Habeck aus:
"Träumen ist das falsche Wort. Kanzler zu sein, ist härteste Arbeit. Ich habe das in den vergangenen drei Jahren aus nächster Nähe beobachtet und weiß sehr gut, was dieses Amt seinem Inhaber abverlangt. Wer glaubt, das sei ein Traum, weiß nicht, wovon er redet."
Er möchte sich nicht "im Unterschied zu anderen" definieren, sondern demgegenüber "ein eigenes Angebot machen". Es folgen bekannte Politphrasen angestrebter politischer Ziele "für Deutschland", so die "europäische Einigkeit", "Klimaschutz und wirtschaftliche Erholung zusammendenken" oder der vermeintlichen Notwendigkeit, "eine neue Sicherheitsarchitektur" zu schaffen.
Auf die Bitte um etwas konkretere Darlegungen erklärt der Minister – weiterhin voller Phrasen:
"Ein zentraler Punkt, an dem sich die Sozial-, Wirtschafts- und Klimapolitik treffen, ist der Strompreis. Wir haben die Energieversorgung in dieser Legislatur gesichert und daran gearbeitet, dass sie sauber wird. Der nächste Schritt ist, dass Strom günstiger werden muss. Davon profitieren alle: Unternehmen und Verbraucher."
Steuern und Abgaben für Ökostrom seien "zu hoch", und "die müssen weiter runter". Zum eingeforderten Ausbau von Wind- und Sonnenkraft könne er berichten, dass es "zunächst einmal viele Projekte gibt, die hoch erfolgreich sind". Die RND-Redakteure erinnerten den verantwortlichen Minister zuvor an "die gefloppten Chipfabriken in Magdeburg und dem Saarland, das wackelnde Batteriewerk in Heide oder die Fragezeichen hinter der grünen Stahlproduktion in Duisburg".
Habeck erläutert:
"Bei den problembehafteten Projekten gibt es individuelle Gründe wie die Restrukturierung von Thyssenkrupp oder die Schwierigkeiten im Gesamtkonzern bei Intel. Und Northvolt hat jetzt mit der Restrukturierung eine neue Chance; das Investitionsvorhaben in Schleswig-Holstein geht weiter.
Wir müssen grundsätzlich entscheiden, ob wir energieintensive Industrie mit ihren wertvollen Arbeitsplätzen in Deutschland behalten wollen. Meine Antwort ist: Ja, ich will, dass wir bestimmte Produktionsfähigkeiten allein schon aus Gründen der Wirtschaftssicherheit hier im Land und in Europa halten. Deshalb unterstützt der Staat die Unternehmen bei der Transformation."
Er werbe als Kanzlerkandidat "für mehr Investitionen, ich werbe für mehr Gerechtigkeit". Dazu müsse man "Steuerschlupflöcher schließen, darauf hat das Finanzministerium unter FDP-Führung nicht den allergrößten Fokus gelegt".
Habeck ist sich sicher:
"Die Klimapolitik von CDU und CSU ist kurzsichtig. Konservativ zu sein, bedeutet doch nicht, Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen, sondern die Lebensgrundlagen zu erhalten und zu schützen. Friedrich Merz und Markus Söder scheinen das vergessen zu haben. Dabei sind Wetter-Jahrhundertkatastrophen inzwischen beinahe Monatsereignisse geworden. Menschen sterben wegen der globalen Erwärmung."
Des Weiteren sei er sich sicher, "viele spüren, dass die Klimakrise unser Leben verändert hat, auch jetzt schon". Seine Einschätzung dazu lautet:
"Manche bezweifeln, dass Klimaschutz gelingen kann, andere fühlen sich überfordert, und ein Teil sagt, ihr macht zu wenig. Deshalb ist es erstens so wichtig, dass Klimaschutz im Alltag funktioniert. Und zweitens zu sehen: Wir haben den letzten drei Jahren richtig was geschafft. Wir haben Klimaschutz vom Papier in die Wirklichkeit gebracht – allem voran beim Ausbau der Erneuerbaren. Davon profitiert das Land."
Zu Donald Trump und dessen nahender Vereidigung zum kommenden US-Präsidenten im Januar 2025 führt Habeck aus:
"Wir sind vorbereitet. Das gilt sowohl für die Bundesregierung als auch für die grüne Partei. Meine Antwort auf Trump lautet nicht Duckmäusertum, sondern Vertrauen in die eigene Stärke. Deutschland ist stark, Europa ist stark. Wir setzen auf Kooperation mit den USA, weil hiervon beide Seiten profitieren."
Die Erfahrung zu Aussagen, auch zu jenen, über die Zollpolitik und Einfuhrbestimmungen, zeigten, dass man Trump "ernst nehmen muss". Der Sportvergleich hierzu lautet:
"Ich sage, dass ich mit den USA weiter eng zusammenarbeiten muss und will. Aber wenn die neue US-Administration Hardball spielt, werden wir gemeinsam als Europäische Union selbstbewusst returnieren."
Die RND-Autoren behaupten dann, den argumentativen Spielball für Habeck einsetzend, dass "weltweit Politiker großen Zulauf erhalten, die Strukturen zerstören wollen, anstatt sie weiterzuentwickeln". Habeck antwortet auf die Frage nach diesbezüglichen Sorgen seinerseits:
"Ich bin besorgt, aber entschlossen. Autoritäre Regime sind auf dem Vormarsch, Freiheit und Selbstbestimmung stehen unter Druck. Es ist keineswegs sicher, dass liberale Demokratien garantiert sind. Das ist kein Spiel, die Sache ist zu ernst."
Zur aktuellen Causa Schwachkopf und gesellschaftlichen Wahrnehmungen – "bei einigen Menschen stoßen Sie auf Ablehnung oder gar Hass" – führt der Grünen-Politiker aus:
"Das ist schlecht für unsere Demokratie. Klar muss ich als Politiker Kritik und Zorn aushalten. Aber die immer stärkere Entgrenzung will ich nicht akzeptieren. 'Dreckspack', 'Missgeburt', 'an die Wand stellen', Adolf-Hitler-Vergleiche, Drohungen an meine Familie gehören zum Beispiel zum Repertoire. Sicher gibt es Wörter, über die man streiten kann. Aber wir dürfen die Debatten auch nicht verkehren. Beleidigungen und Drohungen sind keine Normalität, und ich will sie auch nicht als Normalität hinnehmen.
Zum Vorgehen der Behörden: Wir leben in einem Rechtsstaat, in dem Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte in eigener Verantwortung entscheiden. Sie entscheiden, ob sie zum Beispiel eine Hausdurchsuchung für verhältnismäßig halten oder nicht."
Zu möglichen Szenarien nach den Neuwahlen, sollte das gesteckte Ziel des Kanzlerdaseins verpasst werden – "werden Sie dann Oppositionsführer, oder endet dann die politische Karriere des Robert Habeck?" –, möchte der Karrierist folgendermaßen wahrgenommen werden:
"Es geht nicht um mich. Wir befinden uns in einer historisch herausfordernden Situation, in der ich viel Verantwortung trage und bereit bin, sie noch ein Stück weiterzutragen. Wenn die Wählerinnen und Wähler zu dem Schluss kommen, dass andere das besser können und ich nicht mehr gebraucht werde, dann ist das für mich in Ordnung."
Er werde daher in den nächsten Wochen "mit allem, was ich habe, dafür kämpfen, dass mein Angebot erfolgreich wird".
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