Russland: Regime hat ein Problem – hat jemand Putin gründlich reingelegt?
Wladimir Putin wird älter und älter, eine Nachfolgeregelung gestaltet sich schwierig in einer Autokratie. Strebt Russlands Herrscher daher nach Unsterblichkeit? Fragt sich Wladimir Kaminer. Am vergangenen Montag feierte der russische Präsident Geburtstag. Er ist 72 Jahre alt geworden. Eine 200 Meter lange Lichtinstallation auf der Fassade des Siegesmuseums in Moskau leuchtete auf. Die riesigen Buchstaben strahlten in der Dämmerung: "Russland! Putin! Sieg!" Die Buchstaben leuchteten aber schon vor seinem Geburtstag, bereits bei seiner fünften oder sechsten Wiederwahl, die genaue Zahl seiner Präsidentschaften ist längst irrelevant geworden. Für die meisten gehört Putin inzwischen zur russischen Landschaft wie der Kreml. Seine Helfer und Bediensteten, seine Parlamentarier und Minister, seine Beamten und Richter sind austauschbar, unwichtig. Selbst wenn sie ab und zu mit wichtigen Aufgaben beehrt werden, agieren sie weit unten. Im politischen Garten Russlands blüht seit vielen Jahrzehnten nur eine Blume, nicht ohne Grund sagte vor vielen Jahren der Vorsitzende des Staatsparlaments: "Ohne Putin kein Russland ." Damals haben nicht wenige darüber gestaunt. Es hörte sich schon ein wenig bedrohlich an. Ein Staat, der sich auf einen einzigen Mann reduziert, macht sich leicht verwundbar. Was wird mit dem großen Land passieren, das auf einem solch dünnen Sockel steht, wenn ebendieser wegbricht? Die Macht des Präsidentenamtes wurde unter Putin immer weiter ausgebaut, sie ist heute grenzenlos, jedes Gesetz, jede Doktrin unterliegt seinen Wünschen. Auch die neue Doktrin zum Einsatz von Atomwaffen ist eine bloße Formalie. Sie wird gegen den Wunsch des Präsidenten niemals umgesetzt, auch wenn alle darin aufgezählten Voraussetzungen zutreffen würden. Entscheidend ist allein sein Wille. Anders als Monarchen der Vergangenheit kann Putin seine Macht nicht seinem Sprössling überlassen, er hat offiziell keine Familie, ist geschieden, seine Kinder werden vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt. Freunde? Verwandte? Nachfolger? Fehlanzeige. Ewig schleichen die Erben Eine solche Macht kann niemand einfach so weitervererben. Die Menschen aus Putins Umgebung, meist im gleichen greisen Alter, sind miteinander auf Heftigste zerstritten. Diese Zerstrittenheit half ihm früher, ein Gleichgewicht in der Machtvertikale zu halten, damit sie nicht zu heftig wackelt. Der von ihm angezettelte Krieg entfernt das Land nun immer weiter von der Außenwelt, die Last der Schuld wird mit jedem Kriegstag größer, die Regierung gibt sich große Mühe, die Verantwortung für die misslungene "Spezialoperation", die sich ewig weiterentwickelt, so breit wie möglich zu streuen. Die Nerven liegen blank. Jeder Nachfolger würde das Land sofort in die Hölle eines internen Konflikts stürzen, der in einem blutigen Bürgerkrieg endet. Die einzige Lösung wäre, den Status quo zu behalten und das Ende des Regimes hinauszuzögern. Dafür soll Putin so lange wie möglich im Amt bleiben, koste es, was es wolle. Im neuen Finanzplan der Russischen Föderation für das Jahr 2025 sind nicht nur die Militärausgaben auf einen Rekord von fast 30 Prozent des Staatsbudgets gewachsen, auch die Kosten für den Apparat des Präsidenten haben sich verdoppelt. Putin wird mit jedem Jahr teurer. Zusätzlich hat das Gesundheitsministerium kostspielige Programme ins Leben gerufen, die der Lebensverlängerung dienen sollen. Wenn nicht die Unsterblichkeit, dann mindestens eine nennenswerte Lebensverlängerung ist eines der Ziele der weltweiten Medizinforschung. Das ist nicht neu. Doch bis jetzt konzentrierten sich die Gerontologen, Neurologen und Biologen darauf, einen universellen Schlüssel zu entdecken, der allen Menschen die Perspektive eines gescheiten langen Lebens im Alter geben sollte. In Russland versucht man dagegen nicht, das Leben der Menschen allgemein zu verlängern, sondern das einer Person beziehungsweise einiger weiterer konkreter Leute, die dem Land besonders wichtig erschienen. Bereits das Politbüro der Kommunistischen Partei hatte mit der Problematik des Alters schwer zu kämpfen, aus verständlichem Grund. In autoritären Strukturen sind Austausch und Wechsel der politischen Führung formal nicht vorgesehen. Also haben die Greise im Politbüro Pillen ohne Ende geschluckt und lebensverlängernde Maßnahmen über sich ergehen lassen, die ihnen nicht wirklich geholfen haben. Nur eins hilft wirklich Aber heute, fünfzig Jahre später, ist die Medizin einige Schritte weiter und vielleicht klappt es besser. "The Times" hat pünktlich zu Putins Geburtstag einen Artikel veröffentlicht, in dem die umfangreichen Maßnahmen beschrieben werden, um dem Präsidenten das Leben zu verlängern: Es geht um 3D-Bioprinting, Zellenbehandlung und Steigerung der Funktionen des Immunsystems. Putins Kindheitsfreund, Akademiker Mikhail Kovalchuk (78), der an dem Thema ewiges Leben einen Narren gefressen hat, lief mit seinen Ideen Putin so lange hinterher, bis dieser einwilligte und seinem Freund das Kurschatow-Institut für Atomenergie, eine früher ehrwürdige wissenschaftliche Institution, zur Verfügung stellte. Dort sollte das neue Lebenselixier erschaffen werden, das teuerste Medikament aller Zeiten. Es sieht stark nach Betrug aus. Fakt ist: Mit dem Alter verschlechtern sich unsere kognitiven Fähigkeiten, die Menschen nach 70 neigen öfter zur Mystik und lassen sich leichter von Betrügern ausnutzen. Oft werden sie von inkompetenten Menschen, die sich als "Experten" ausgeben, zu Handlungen verleitet, die ihnen schaden. Sie treffen Entscheidungen, die nicht optimal für sie sind. Ich befürchte, genau das ist dem russischen Präsidenten bereits mehrmals passiert. Und niemand ist da, der ihm sagen könnte: "Entspann dich, ein Elixier der Unsterblichkeit wird es nicht geben." Was bei der Lebensverlängerung helfen kann, sind eine kalorienarme Ernährung, ein erholsamer Schlaf und jeden Tag 10.000 Schritte in Richtung Frieden.