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Inside Charité: "Ja, wir haben ein Problem"

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Stern 

Nachdem stern und RTL Missstände an der Charité aufgedeckt hatten, musste deren Chef nun Fragen der Berliner Politik beantworten. Er sieht kaum ein Problem – der Ärztevertreter schon.

Am Anfang ist ein Wort: Kritik. Kritik, sagt Heyo Kroemer, sei "wichtig und willkommen". Es ist noch früh am Morgen in der Hauptstadt. Und Kritik, auch aus den eigenen Reihen, ist der Grund, warum der Vorstandschef von Deutschlands berühmtester Klinik, der Charité, an diesem Tag im Berliner Abgeordnetenhaus Fragen beantworten soll. Der Ausschuss für Wissenschaft will ihn hören. 

Ernst-Heilmann-Saal, Tagesordnungspunkt 3: die Charité. Die Linke, SPD und CDU hatten es beantragt. 

Anlass waren Recherchen von stern und RTL. Ein Rechercheteam mit drei Undercover-Reporterinnen hatte mit verdeckter Kamera auf mehreren Stationen Szenen gefilmt.

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Die Bilder und die Recherchen haben eine Debatte in Berlin und darüber hinaus entfacht. Ein fiebernder Patient, kaum noch ansprechbar, wartete blutend stundenlang auf eine Fachärztin. Eine Pflegerin verabreichte einem Baby versehentlich eine Überdosis eines Medikaments. Eine Ärztin sprach offen aus, was viele Kolleginnen und Kollegen zu denken scheinen: "Ich bin kurz vorm Zusammenbrechen." 

Neben dramatischen Fallbeispielen zeigten die Recherchen strukturelle Missstände auf: überlastete Ärzte, zu wenig Ausbildung der Studierenden. Zwei Umfragen, unter insgesamt mehr als 300 Ärzten und Studenten, bekräftigten, dass es sich nicht um Einzelfälle handelte.

"Betroffen gemacht"

Der stern und RTL hatten die Charité vor der Veröffentlichung ausführlich mit den Ergebnissen ihrer Recherchen konfrontiert. Doch die Klinik wies alle Vorwürfe zurück. Die zarte Andeutung einer Einsicht zeigte sich nach Ausstrahlung der RTL-Dokumentation: Die Aufnahmen hätten "betroffen gemacht", würden "die Einhaltung unserer hohen Qualitätsstandards in Einzelfällen infrage stellen". Man versprach, "Ausnahmefälle" gegebenenfalls zu prüfen. 

Doch das reichte nicht, um die öffentliche Diskussion verstummen zu lassen. 

Schließlich schaltete sich die Berliner Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) ein und versprach Aufklärung. 

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Der Charité-Vorstand sei "sehr intensiv beschäftigt, diese Vorwürfe aufzuklären". Patientinnen und Patienten versicherte sie, dass sie in Deutschlands bester Klinik bestmöglich und auf allerhöchstem Niveau versorgt würden. Czyborra ist auch Aufsichtsratsvorsitzende der Charité.

Manche Probleme der Charité waren "bekannt"

Im Ausschuss sagt Charité-Chef Kroemer nun: Die Berichterstattung von stern und RTL über die Patienten in seinem Haus sei "irreführend, überzogen oder falsch". 

Nicht alle Abgeordneten schien das zu überzeugen. Auch den obersten Vertreter der Berliner Ärzteschaft nicht.

Abgeordnete von CDU, SPD, Grünen und AfD äußerten Verständnis für die Klinik. 

Wer in den vergangenen Jahren zugehört habe, sei von den Recherchen nicht überrascht, sagte dagegen Tobias Schulze von der Linken. 

Die Probleme im Gesundheitswesen seien "bekannt", gab auch Bettina König (SPD) zu, eine Parteifreundin der Gesundheitssenatorin. 

Und Peter Bobbert, der Präsident des Marburger Bundes in Berlin/Brandenburg, sagte zur Charité: "Ja, wir haben ein Problem." 

So beispielsweise mit der Personalknappheit. In einigen Bereichen sei der Mangel so groß, dass Ärzte ihre Überstunden nicht mehr in Freizeitausgleich umwandeln könnten. Das verschärfe die Situation zusätzlich. Und Heyo Kroemers Antworten auf die Frage, wie er konkret rechtlich gegen die Berichterstattung vorgehen wollte, blieben wolkig.

Muss ein Krankenhaus Gewinn machen?, fragt Schulze noch. 

Und das ist an diesem Tag im Abgeordnetenhaus so etwas wie der gemeinsame Nenner. Das Problem, da sind sich die meisten einig, ist wohl größer als die Charité.

Geld für Studierende im Praktischen Jahr?

Wie schwierig es sein wird, Strukturen zu verändern, offenbarte die Diskussion um eine Vergütung der Medizinstudierenden im letzten Ausbildungsabschnitt, dem "Praktischen Jahr". 

Die Charité ist das einzige Hochschulkrankenhaus in Deutschland, das hierfür keine Aufwandsentschädigung zahlt. Auch das hatten stern und RTL berichtet.

Es wäre doch schön, wenn die "PJ-ler" nun auch an der Charité bezahlt würden, war man sich im Ausschuss einig. Überlastete angehende Ärzte sollten nicht noch nebenher jobben müssen, um ihre Miete zahlen zu können.

Wenn es um Geld geht, beginnt das "Schwarzer Peter"-Spiel

Der Krankenhaus-Vorstand erinnerte daran, wie vor rund zwanzig Jahren der Landeszuschuss um rund ein Drittel gesenkt worden sei. Das fehlende Geld sei "nie wieder dazugekommen". 

Längst habe man einen solchen Antrag eingebracht, warf Adrian Grasse von der CDU ein und schalt die Linke und die Grünen, die den Antrag abgelehnt hätten. 

Die Senatorin von der SPD wiederum rechnete vor, dass eine Vergütung für die "PJ-ler" an der Charité den Landeshaushalt rund sieben Millionen Euro im Jahr kosten würde. Das sei "defiziterhöhend" – und verweist auf den Bund. Denn eigentlich sei doch für die Finanzierung der Studierenden das Bafög-Amt zuständig. 

Alexandra Archodoulakis, die lange Vertreterin der Medizinstudierenden war und heute approbierte Charité-Ärztin ist, wiederum erklärte, dass viele Medizin-Studierende sowieso keinen Anspruch auf Bafög hätten. 

"Unzufriedenstellend, aber das ist die Realität"

Es fehlt Geld. Nur bei der Frage, wo es herkommen soll, damit Patienten sicherer behandelt werden können und Ärzte entlastet – dafür findet der Ausschuss auch an diesem Tag keine Lösung. 

Als die Diskussion am späten Vormittag auf ihr Ende zutreibt, äußert die Ärztin Alexandra Archodoulakis noch ihren "Unmut", dass man eine RTL-Reportage gebraucht habe, um sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Und: Es sei "gut, dass wir jetzt an einem Tisch sitzen".

Und die Berliner Gesundheitssenatorin sagt, die Situation sei "unzufriedenstellend, aber das ist die Realität". Der Satz ist so etwas wie das Motto dieses Tages.