Wahlergebnisse: Unternehmerin zur AfD: "Ich mache mir um Thüringen schon Gedanken"
Carletta Heinz führt das Familienunternehmen Heinz Glas. Die AfD sieht sie als großes wirtschaftliches Risiko. Wegen rassistischer Konflikte entließ sie bereits Mitarbeiter.
Capital: Frau Heinz, die AfD ist bei der Landtagswahl in Thüringen am Sonntag stärkste Kraft geworden. Im Wahlkreis Sonneberg II, in dem Ihre Glashütte in Piesau liegt, hat sie 41,6 Prozent erreicht. Macht Ihnen dieses Ergebnis Sorgen?
CARLETTA HEINZ: Es war ja zu erwarten. Ich finde es trotzdem sehr bedauerlich, dass es jetzt tatsächlich so gekommen ist. Ich mache mir um Thüringen schon Gedanken. Noch ist ja unklar, was für eine Regierung gebildet wird. Mit der AfD will niemand in eine Koalition. Die CDU mit BSW und der Linken hätte zwar ausreichend Sitze, wäre aber eigentlich nicht regierungsfähig, weil sie sich sicher in vielen Bereichen nicht einigen könnten.
Was löst so ein Ergebnis bei Ihnen als Unternehmerin aus?
Wir überlegen uns jetzt schon: Wie wird sich das Bundesland entwickeln? Wie werden die Rahmenbedingungen sein und wie gehen wir damit um? Wenn manche Vorstellungen von der AfD umgesetzt würden, wäre Thüringen sicher kein Land, in dem wir noch viel investieren können, weil wir dann gar nicht mehr überlebensfähig wären.
Was meinen Sie konkret?
Wenn die grünen Energien wie Windkraft und Solarenergie nicht so schnell wie möglich ausgebaut werden, gefährdet das für uns die Versorgungssicherheit. Wir sind als Glashersteller ja ein energieintensives Unternehmen.
Sie beschäftigen rund 4000 Menschen in 13 Ländern, machten zuletzt knapp 500 Mio. Euro Umsatz. Ist die AfD für Sie ein Standortrisiko?
In Piesau in Thüringen befindet sich unser erstes Werk. Daran wollen wir natürlich festhalten. Wir haben gerade eine Förderung vom Bund bekommen und wollen insgesamt 50 bis 60 Mio. Euro in eine elektrische Glaswanne investieren, die mit grünem Strom betrieben werden soll. Da überlegen wir schon, ob das woanders sinnvoller wäre. Wir müssen jetzt einfach sehen, wie sich das Umfeld weiterentwickelt. Es wäre ja unternehmerischer Selbstmord, wenn ich eine Anlage aufstelle, die ich dann nicht betreiben kann, weil Gas oder andere fossile Brennstoffe zur Energieerzeugung begrenzt sind und erneuerbare Energien nicht schnell genug ausgebaut werden. Und wenn die Zuwanderung so stark gedrosselt würde, wie die AfD sich das vorstellt, hätten wir nicht mehr genug Arbeitskräfte.
Wie wichtig ist Zuwanderung für Heinz Glas?
Ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland hätten wir unser Unternehmen gar nicht aufbauen können. Vor der Wende waren wir in unserem Werk in Oberfranken in Kleintettau von drei Seiten eingekesselt, und es war wirklich schwer, als Arbeitgeber hier zu bestehen. Dann kamen ab den 60er Jahren zuerst Italiener, Griechen und Türken. Viele von diesen Gastarbeitern sind geblieben. Inzwischen arbeiten ihre Kinder und Enkel bei uns.
Und heute?
Wir sind weiter auf Zuwanderung angewiesen: In unseren drei Werken in Deutschland sind 25 Prozent der Mitarbeiter keine deutschen Staatsbürger. Von den Leuten, die wir den letzten zwei Jahren eingestellt haben, hat die Hälfte keinen deutschen Pass. Wenn wir diese Menschen nicht hätten, könnten wir unsere Anlagen nicht mehr betreiben. So viel automatisieren kann man gar nicht. Gerade in der Schwerindustrie brauchen wir diese Leute. Und mal ganz im Ernst: Diese Arbeit möchte hier sonst auch keiner machen. Es ist laut und heiß, es gibt Nacht- und Wochenendschichten. Wir sind dankbar, dass wir überhaupt Facharbeiter und Personal aus anderen Ländern finden, die das übernehmen. Die Forderungen der AfD, die Zuwanderung so extrem zu begrenzen, wie sie sich das vorstellt, finde ich gefährlich und furchtbar. Ich weiß nicht, wie man die Industrie in Deutschland so aufrechterhalten soll.
Gibt es bei Heinz Glas viele AfD-Anhänger?
Wenn im Wahlkreis Sonneberg über 40 Prozent die AfD gewählt haben, wird es in unserem Piesauer Werk nicht anders aussehen.
Wie gehen Sie mit Politik im Unternehmen um?
Wir leben in einer Demokratie und jeder hat seine eigene freie Wahl. Wir machen unseren Standpunkt klar und versuchen, ihn den Leuten zu erklären. Es gibt ja auch Unternehmer, die öffentlich gesagt haben, sie möchten nicht, dass Leute, die die AfD wählen oder mit ihr sympathisieren, bei ihnen arbeiten. Das halte ich für total daneben. Was wir aber natürlich nicht akzeptieren, ist, wenn sich Rassismus im Unternehmen breit macht und Leute angegriffen werden. Es ist leider auch schon in Einzelfällen vorgekommen, dass ausländische Kollegen angespuckt wurden. Leute, die so etwas tun, entlassen wir fristlos.
Ihre Mitarbeiter schicken Sie in Werte- und Demokratieworkshops.
Das liegt an der aktuellen Stimmungslage. Und weil ich es wichtig finde, dass wir unsere Werte und unsere Meinung den Leuten vermitteln. Da wir in Piesau gerade einen Umbau haben und die Produktion stillsteht, kann sich die ganze Belegschaft das mal anhören.
Viele Unternehmerinnen und Unternehmer halten sich traditionell mit politischen Äußerungen zurück, um Kunden und Mitarbeiter nicht zu verschrecken. Die meisten haben lange zum Thema AfD geschwiegen.
Ich finde es total schade und auch falsch, dass so wenige Unternehmer etwas zu dem Thema sagen. Als ich vor einigen Wochen von einer Reporterin angefragt wurde, hat sie im Umkreis von 150 Kilometern, von Nürnberg bis Tettau, genau zwei Leute gefunden, die überhaupt ein Interview zu dem Thema mit ihr geführt haben. Das ist doch traurig.
Was hat Sie dazu bewogen, aus der Deckung zu kommen?
Ich komme nicht aus der Deckung. Ich war noch nie in der Deckung. Ich sage grundsätzlich meine Meinung. Genauso wie ich die Leute nicht verteufle oder aus der Firma schmeiße, die mit der AfD sympathisieren, hoffe ich darauf, dass meine Meinung von diesen Leuten auch akzeptiert wird. Wenn nicht, ist mir das auch Wurscht. Wer jetzt meint, dass er seinen Job hinschmeißt, weil die Chefin ein Problem hat mit der Partei, der soll halt woanders arbeiten. Deswegen halte ich meinen Mund nicht. Und zum Glück sind zuletzt ja auch andere Stimmen aus der Wirtschaft lauter geworden. In der Gemeinschaft laut zu werden, ist immer einfacher. Man kann nicht immer einer Meinung sein, aber die Meinung der anderen anhören und akzeptieren sollte man immer.
STERN Afd und die Folgen für die Wirtschaft
Die Unternehmen vereint vermutlich die Empörung über Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke, der Familienunternehmen, die sich im Bündnis „Made in Germany. Made by Vielfalt“ zusammengeschlossen haben, „schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen“ wünscht.
Das geht gar nicht. Wie kann man denn einem Unternehmen quasi den Untergang wünschen, nur weil es nicht der eigenen Meinung ist?
Sie hatten selbst schon unfreiwillig mit der AfD zu tun: Von einer Mahnwache zum Erhalt der Arbeitsplätze in der Glasindustrie, zu der die AfD aufgerufen hatte, haben Sie sich öffentlich distanziert.
Weil wir das wirklich eine Frechheit fanden. Da hat die AfD versucht, sich in der Gaskrise an unser Energieproblem dran zu hängen. Mit uns hatte aber niemand gesprochen. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn jemand sich „Wir retten die Glasindustrie“ auf die Fahne schreibt, aber überhaupt nichts mit der Industrie zu tun hat.
Wie nehmen Sie das gesellschaftliche Klima wahr?
Fachkräfte, die aus dem Ausland kommen, werden sich wahrscheinlich einen anderen Wohnort suchen als ausgerechnet Thüringen oder Sachsen. Ich erlebe das im engsten Bekannten- und Familienkreis: Meine Cousine ist die Tochter eines afroamerikanischen Soldaten. Sie wohnt in Franken direkt an der Landesgrenze und traut sich nicht mehr, mit ihren Kindern in Thüringen einkaufen zu gehen. Ich habe Freunde mit türkischem Hintergrund, die hier in der dritten Generation leben. Sie haben Angst.