Die russische Flugzeugindustrie: Im Alleinflug
Die grandiosen Pläne
Im Juni 2022 genehmigte die russische Regierung ein Programm für die Entwicklung der Luftverkehrsbranche bis 2030. Für seine Umsetzung sollten laut Premierminister Michail Mischustin mehr als 770 Milliarden Rubel (damals 12,8 Milliarden Euro) bereitgestellt werden. Die Mittel sollten zur Subventionierung von Inlandsflügen und zur Unterstützung des Flugzeugbaus verwendet werden.
Die Flotte russischer Fluggesellschaften für den kommerziellen Betrieb belief sich im April 2022 auf insgesamt 1287 Einheiten, von denen 1101 Passagierflugzeuge waren. Der Anteil der im Ausland hergestellten Flugzeuge lag bei 67 Prozent und machte etwa 95 Prozent des gesamten Passagierverkehrs aus. Im Rahmen der Sanktionen, die die Lieferung neuer und die Wartung gebrauchter ausländischer Maschinen untersagt haben, war die russische Luftfahrtindustrie gezwungen, den Anteil der inländischen Flugzeuge von damals 33 Prozent auf 81 Prozent zu erhöhen. „Unter Berücksichtigung der erfolgreichen Umsetzung der Importsubstitutionsprogramme im Zeitraum von 2022 bis 2030 ist die Lieferung von 1036 Flugzeugen für den Bedarf der Zivilluftfahrt vorgesehen“, hieß es in dem Dokument.
Zum ersten Mal seit hundert Jahren
Auf einer Pressekonferenz im vergangenen Dezember wiederholte Präsident Wladimir Putin die genannten Zahlen. „Wir müssen unseren eigenen Flugzeugbau entwickeln. Ich hoffe, dass alle Pläne – wir wollen bis 2030 mehr als eintausend eigene Flugzeuge produzieren – verwirklicht werden“, sagte er. Und das, obwohl die russische Industrie im Jahr 2023 zum ersten Mal in den letzten 100 Jahren kein einziges Passagierflugzeug produzierte. Laut dem staatlichen Programm sollte die Industrie im Jahr 2023 nur drei Tu-214 und zwei Sukhoi Superjet 100 produzieren. Aufgrund der Sanktionen wurden die Lieferungen von importierten Triebwerken und Komponenten für die Sukhoi Superjet 100 eingestellt. Dementsprechend wurde auch die Produktion eingestellt. Es konnten auch keine Tu-214-Flugzeuge montiert werden.
Im Januar dieses Jahres nannte Miсhail Misсhustin bescheidenere Zahlen. Ihm zufolge sollen in den nächsten sechs Jahren insgesamt mehr als 600 Verkehrsflugzeuge im Inland gebaut werden. „Unter den Bedingungen der Sanktionen ist unsere eigene moderne Luftflotte entscheidend für die Anbindung der Regionen unseres großen Landes“, betonte Mischustin.
Kein vergleichbares Beispiel
Ende Februar gab die Vereinigte Flugzeugbau-Holding OAK bekannt, dass die Auslieferung neuer russischer Zivilflugzeuge verschoben wird: Die Auslieferung der MC-21 wurde auf 2025 verschoben, die Auslieferung des regionalen Superjet 100 auf 2026. Das Ministerium für Industrie und Handel erklärte diese Entwicklung wie folgt: „Die Programme zur Importsubstitution in der Zivilluftfahrt werden in einem im Weltmaßstab beispiellosen Zeitrahmen umgesetzt. In der modernen Weltluftfahrt gibt es kein vergleichbares Beispiel für eine umfassende Importsubstitution aller Systeme und Einheiten … Alle weltweit tätigen Flugzeughersteller sind auf eine umfassende internationale Zusammenarbeit mit Lieferanten aus mehreren Dutzend Ländern angewiesen. Russland wird allein damit fertig werden müssen“.
Die Verschiebung der Flugzeugauslieferungen wurde von Sergej Tschemesow, dem Leiter der Staatsgesellschaft Rostec, bekannt gegeben. Der Pressedienst von Rostec fügte hinzu, dass die Übergabe von 30 neuen Superjet-100-Flugzeugen an Unternehmen im Jahr 2026 geplant sei. Was die MC-21 anbelangt, so wurde erklärt, dass selbst das endgültige Aussehen des Flugzeugs noch nicht feststehe. „Im Zuge des Austauschs ausländischer Komponenten durch inländische verändern sich die Gewichtseigenschaften der MC-21. Die endgültige Form des vollständig einheimischen Flugzeugs wird sich in der zweiten Hälfte dieses Jahres herausbilden“, so der Pressedienst damals.
Die kommerzielle Nachfrage muss berücksichtigt werden
Wie die Zeitung „Kommersant“ Anfang August unter Berufung auf Quellen in der Flugzeugindustrie berichtete, könnten die Pläne für die Produktion von fast 1000 zivilen Flugzeugen, die im Programm für die Entwicklung der russischen Luftfahrtindustrie bis 2030 festgelegt sind, nach unten korrigiert werden. Die Empfehlung, die quantitativen Indikatoren zu überarbeiten und die „wirtschaftlich begründete Nachfrage und die Pläne für die Flugzeugproduktion“ in Einklang zu bringen, wurde im Rahmen eines externen Audits in den Werken der Vereinigten Flugzeugbau-Holding OAK ausgesprochen. Nach Angaben der Zeitung wurde eine solche Prüfung im Frühjahr von einer Gruppe von Beratern der Sberbank und Gazprom Neft im Auftrag der Regierung durchgeführt.
Nach Beratungen mit Vertretern der Vereinigten Flugzeugbau-Holding OAK kamen die Prüfer zu dem Schluss, dass es ein Ungleichgewicht zwischen der Nachfrage nach Lufttransporten und der Produktion im Rahmen des Staatsprogramms, das nicht der kommerziellen Nachfrage entsprich, gibt. Bei einer geplanten Produktion von 140 bis 270 Flugzeugen pro Jahr schätzen die Prüfer den tatsächlichen Bedarf lediglich auf 50–60 Flugzeuge.
Von Alexej Karelski
Запись Die russische Flugzeugindustrie: Im Alleinflug впервые появилась Moskauer Deutsche Zeitung.