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Август
2024

Landesaufnahmebehörde an Polizei: Keine Abschiebung bei Widerstand

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Es liest sich zunächst unfassbar: Eine Landesbehörde gibt der Polizei Anweisung, eine Abschiebung abzubrechen, wenn der Abzuschiebende sich wehrt. Es ist aber ein Missverständnis – an dem die Behörde selbst schuld ist. Ein Schreiben der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde an die Bundespolizei macht viele Menschen fassungslos: Es liest sich so, dass nicht abgeschoben wird, wer sich wehrt. Mit der Praxis bei Abschiebungen in Deutschland hat das wenig zu tun. Die Behörde in Braunschweig hat dann einen ganzen Tag gebraucht, um ihr skandalträchtiges Schreiben an die Bundespolizei am Düsseldorfer Flughafen zu erklären – und ist nun sehr kleinlaut: "Leider ausgesprochen missverständlich und unpräzise formuliert" nennt es eine Sprecherin. Und: "ein bedauerlicher Einzelfall". Wie kann so ein Brief verschickt werden und wann wird abgeschoben? Wörtlich stand im Brief: "Wenn sich der Betroffene weigert, in das Flugzeug zu steigen bzw. auf eine andere Art versucht, sich der Abschiebung zu widersetzen (aktiver/passiver Widerstand), kann dieser auf freien Fuß gesetzt werden und eigenständig zu der ihm zugewiesenen Unterkunft zurückreisen." Freibrief für abgelehnte Asylbewerber, Asyl-Irrsinn? So nannte es die "Bild". Im Brief nicht mal "Bundespolizei" richtig abgekürzt Der Brief strotzt vor Ungereimtheiten, über die Beschäftigte im öffentlichen Dienst eigentlich stolpern. Gerichtet ist das Schreiben einfach an die "Bundespolizei Flughafen Düsseldorf" statt an die Dienststelle Bundespolizeiinspektion Flughafen Düsseldorf . Im Text wird als Grundlage eine Nummer der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz angegeben. Dabei wird allerdings ein Paragrafenzeichen genutzt wie bei dem Gesetz selbst. Das ist die falsche Zitierweise. Außerdem wird von der "BUPOL am Flughafen" geschrieben, wo die Kurzform der Bundespolizei "BPol" lautet. Zudem finden sich mehrere Kommafehler. Ein Polizist aus dem Verwaltungsbereich, mit dem t-online gesprochen hat, wollte deshalb zuerst gar nicht glauben, dass das Schreiben tatsächlich echt ist. "In der Coronazeit haben wir oft erlebt, wie mit gefälschten angeblichen Behördenschreiben Unruhe gestiftet werden sollte." Das Schreiben sei "sehr schlampig, und eigentlich schaut da auch noch jemand drauf." Ihn irritierte auch, dass der Brief mit dem Kopf "Landesaufnahmebehörde – Der Präsident" verschickt wurde. Dies sei allerdings das allgemein genutzte Briefpapier der Behörde, so eine Sprecherin der Behörde. Die sonstigen Ungereimtheiten in dem Brief wollte sie nicht kommentieren, stellt aber klar: "Das Schreiben wurde in dieser Form in der Regel nicht verwendet und wird ab sofort überhaupt nicht mehr genutzt." Der Brief sei auch keine Weisung: Die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen ist dazu gar nicht befugt, die Bundespolizei anzuweisen, Personen auf freien Fuß zu setzen, die sich gegen ihre Abschiebung wehren. Die "Bild" hatte zuvor geschrieben, es handele sich um eine "Dienstanweisung". Überhaupt kommt es eher selten vor, dass bei der Bundespolizei Abschiebungen von Menschen scheitern, deren Ausweisung das Land Niedersachsen betreibt: 2023 waren es 59 gescheiterte Rückführungen, nachdem die Person bereits in der Obhut der Bundespolizei war. Dann stellt sich dort die Frage: Was tun mit der Person? Dies ist Anlass des Briefes. Wenn eine ausreisepflichtige Person in Freiheit gelebt hat, darf sie beim Scheitern der Abschiebung auch nur dann in Haft genommen werden, wenn dafür ein richterlicher Beschluss vorliegt. Das Schreiben an die Bundespolizei war demnach als Erklärung gedacht, wie es weitergeht, wenn die Abschiebung scheitern sollte. Eine Behördensprecherin zu t-online: "Dafür werden unmittelbar alle nötigen Informationen mitgeteilt. Dieser Sachverhalt ist der Gegenstand und der eigentliche Grund für das Schreiben an die Bundespolizei." Was als "Falls"-Schilderung gedacht sei, war so schlecht formuliert, dass man es als Handlungsanweisung lesen kann. Nach abgebrochener Abschiebung kommt nächster Versuch Allerdings wissen das die Beamten auch selbst sehr genau und brauchen keine Belehrung aus der Aufnahmebehörde. Sie haben auch andere Möglichkeiten, als die Person einfach laufen zu lassen. Im konkreten Fall brachten die Beamten den Mann vom Flughafen zum Haftrichter. Er landete prompt hinter Gitter, berichtete Gewerkschaftler Manuel Ostermann von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPol). Es sei bereits der zweite gescheiterte Versuch gewesen, sagte Ostermann der "Bild". Und das könnte auch der Grund für den seltsamen Beipack-Zettel gewesen sein. Das Verhalten der abzuschiebenden Person, das zum Scheitern der Maßnahme beim ersten Abschiebungsversuch geführt hat, wird bei der Planung der erneuten Maßnahme berücksichtigt. Und: "Die Person ist weiterhin ausreisepflichtig und die Abschiebung wird erneut eingeleitet." Ostermann behauptete dagegen, die Polizei habe ihn "auf Weisung der Ausländerbehörde absurderweise wieder freilassen" müssen. Wenn Abschiebungen am Flughafen tatsächlich scheitern, ist aktiver Widerstand sehr selten der Grund: 56 solcher Fälle gab es 2023 nach Auskunft der Bundesregierung – ausschließlich bei Linien- und nie bei Charterflügen. Bei Linienflügen kommt es aber häufiger vor, dass die Airline oder der Pilot verweigern, die Person mitzunehmen (230 Fälle). Passiver Widerstand wird in 239 Fällen als Hinderungsgrund für die Abschiebung angegeben, auch ausschließlich bei Linienflügen. Zwei von drei Abschiebeversuchen scheitern Es ist nicht neu, dass viele Abschiebungen scheitern. 47.760 waren im vergangenen Jahr insgesamt angesetzt, und in 31.330 Fällen wurde daraus nichts. Umgesetzt wurden Abschiebungen von 16.430 Ausländern – teils auch gut integrierte Menschen, deren Umfeld dann wenig Verständnis aufbringt. Aktuell läuft etwa eine Petition eines Malermeisters, der um seinen Betrieb fürchtet, weil er seinen aus Nordmazedonien stammenden einzigen Mitarbeiter nach dem Willen der Behörden fristlos kündigen und der Mann abgeschoben werden soll. Dass die Bundespolizei das Problem hatte, jemand in ihrer Obhut zu haben, der dann doch nicht abgeschoben wird, kam im vergangenen Jahr 1.054 Mal vor. Zugleich setzte die Bundespolizei bei 1.040 Personen körperliche Gewalt ein, um die Abschiebung durchzusetzen. Wenn die Abschiebung platzt, dann nur in einem Bruchteil der Fälle im allerletzten Moment. Meist ist das der Fall, bevor die Person überhaupt der Bundespolizei übergeben werden kann. Häufigster Grund nicht erfolgter Abschiebungen sind Stornierungen bei der Bundespolizei vor dem geplanten Termin durch die Landespolizei (15.798 Fälle) und das Fehlen der angekündigten Person: Der betroffene Ausländer ist nicht unter denen, die an den Flughafen gebracht werden sollten. Die Person kann dann noch Rechtsschutz bekommen haben oder – der häufigere Fall – sie war nicht auffindbar.