Mercedes in der Absatzkrise: "Stückzahlen sind eine Katastrophe"
Mercedes in Schieflage: Die teuren Autos will kaum jemand haben, die Verkäufer schimpfen über Gier der Konzernleitung. So reagiert das Unternehmen jetzt. Ausgerechnet die S-Klasse: Das Flaggschiff von Mercedes-Benz steht unter massivem Erfolgsdruck. Das Luxusauto, das dem Unternehmen bisher traumhafte Margen bescherte und einen wesentlichen Beitrag zur Profitabilität des Pkw-Geschäfts leistete, erlebt einen drastischen Absatzrückgang. Was steckt dahinter? Und wie reagiert der Hersteller? Mercedes fährt die Produktion herunter Allein im zweiten Quartal dieses Jahres sanken die Verkaufszahlen im Premiumsegment – dazu gehören die S-Klasse, der EQS, der EQS SUV und der GLS – um fast 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Von April bis Juni wurden nur noch 33.400 Fahrzeuge verkauft, im Vorjahreszeitraum waren es noch 44.200 Einheiten. Im gesamten ersten Halbjahr brach der S-Klasse-Absatz in Europa um fast 30 Prozent ein. Die Folge: Mercedes muss die Produktion in seinem Werk "Factory 56" in Sindelfingen drosseln. Ab dem vierten Quartal wird dort nur noch im Einschichtbetrieb gearbeitet. In dem Vorzeigewerk produziert der Hersteller unter anderem die S-Klasse und den elektrischen EQS. Diese Luxusmodelle und ihre hohen Margen von über 20 Prozent bringen dem Unternehmen gewaltige Gewinne ein. Normalerweise jedenfalls. Allerdings: Ohne hohe Rabatte lassen sie sich offenbar kaum verkaufen. Ein Mercedes-Händler berichtet der "Automobilwoche", er habe im vergangenen Herbst die letzte S-Klasse verkauft. Ein anderer bietet einen EQS-Vorführwagen mit nur 5.000 Kilometern für knapp 82.000 Euro an. Der Neupreis lag bei über 130.000 Euro. Auswirkungen auf Zulieferer und Beschäftigte Die sinkenden Produktionszahlen bekommen auch die Lieferanten zu spüren. "Die Stückzahlen in den vergangenen Wochen waren eine Katastrophe", sagt der Vertriebschef eines großen Zulieferers der Zeitschrift. Für die Stammbelegschaft in Sindelfingen gibt es zunächst keine unmittelbaren Konsequenzen. Viele von ihnen sollen in anderen Bereichen des Werks weiterbeschäftigt werden, wo zum Beispiel die E-Klasse und der GLC weiterhin im Dreischichtbetrieb produziert werden. Unsicher ist dagegen die Zukunft der Leiharbeiter, deren Verträge möglicherweise nicht verlängert werden. Herausforderungen auf dem chinesischen Markt Minus 19 Prozent in den USA , minus 27 Prozent in Europa – besonders problematisch ist der Einbruch aber in China , dem größten Markt für Luxusautos. Dort lässt die anhaltende Immobilienkrise selbst wohlhabende Kunden vor Investitionen zurückschrecken. Und dabei dürfte es erst mal bleiben. Mercedes-Chef Ola Källenius rechnet für die Zukunft mit einer "Seitwärtsbewegung". Im Klartext: Es wird nicht besser. Wann die Produktion wieder hochgefahren wird, ist deshalb vollkommen unklar. Üblicherweise steigen die Verkaufszahlen mit einem Facelift-Modell wieder an, das für das Jahr 2025 geplant ist. Ob sich dann auch beim EQS eine Erholung abzeichnet, bleibt abzuwarten. Kritik an Luxusstrategie wird lauter Mercedes verfolgt seit einigen Jahren eine Strategie, die sich stark auf den Verkauf von teureren Autos konzentriert, während kleinere und günstigere Modelle in den Hintergrund treten. "Fokussierung auf begehrenswerte Pkw und Vans" nennt es der Konzern. Diese Ausrichtung hat bisher zu hohen Gewinnen geführt (Unternehmensgewinn 2023: 14,5 Mrd. Euro), da der Hersteller seine Preise kontinuierlich erhöht hat. So stieg der durchschnittliche Verkaufspreis eines Mercedes von 51.000 Euro (2019) über 67.100 Euro (2021) auf 74.600 Euro im dritten Quartal 2023. Doch der Kurs von Konzernchef Ola Källenius gerät zunehmend in die Kritik. Bereits im Juli vergangenen Jahres schrieben Mercedes-Verkäufer einen Brandbrief an die Stuttgarter Zentrale, in dem sie die Luxusstrategie als "gierig" bezeichneten und vor Kapitalvernichtung warnten. Viele Kunden seien nicht mehr bereit, die drastischen Preiserhöhungen mitzutragen und wechselten vermehrt zu Konkurrenzmarken wie Audi und BMW . Allerdings: Bescheiden sind auch die Rivalen nicht . Zudem seien die Elektroautos der EQ-Reihe schlicht zu teuer, um sie erfolgreich zu verkaufen. Mercedes wiederum glaubt, für dieses Problem eine Lösung gefunden zu haben : Die Luxusmarke verrät ihren Interessenten einfach nicht mehr, wie viel ein Auto wirklich kostet.