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Июль
2024

Ermordung des Hamas-Führers offenbart Versagen iranischer Geheimdienste

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Von Jewgeni Posdnjakow und Anastasia Kulikowa

Der Leiter des politischen Büros der palästinensischen Hamas-Bewegung Ismail Haniyya und einer seiner Leibwächter sind in Iran getötet worden, meldete die Nachrichtenagentur Tasnim unter Berufung auf das Korps der Islamischen Revolutionsgarde Irans (IRGC). Das IRGC erklärte, Haniyya sei bei einem Anschlag auf seine Residenz in Teheran getötet worden. Medienberichten zufolge handelte es sich um einen gezielten Luftangriff vom Hoheitsgebiet eines Drittlandes aus.

Der iranische Sicherheitsrat hat nach der Ermordung des Chefs des Hamas-Politbüros eine Dringlichkeitssitzung einberufen. Viele Länder in der Region glauben, dass Israel in den Anschlag verwickelt gewesen sein könnte, Beamte der israelischen Streitkräfte lehnten es jedoch ab, die Nachricht von Haniyyas Tod gegenüber CNN zu kommentieren. Die israelische Armee erklärte, dass sie "nicht auf ausländische Medienberichte reagiert".

Der Minister für Jerusalem-Angelegenheiten und israelisches Kulturerbe, Amihai Eliyahu, erklärte hingegen, die Ermordung Haniyyas sei "der richtige Weg, um die Welt von diesem Dreck zu befreien". Er schrieb im sozialen Netzwerk X: "Es gibt keine imaginären Friedensabkommen mehr, keine Gnade für diese Söhne des Todes. Der Tod von Ismail Haniyya macht die Welt ein bisschen besser."

Wie The Times of Israel anmerkt, war Eliyahu der erste hochrangige israelische Beamte, der eine staatliche Beteiligung an der Ermordung Haniyyas andeutete. Dies geschah trotz eines nichtöffentlichen Befehls von Premierminister Benjamin Netanjahu, über den nächtlichen Vorfall zu schweigen. Zuvor war Eliyahu übrigens für seine Idee, den Gazastreifen mit Atomwaffen anzugreifen, gerügt worden.

Moskau hingegen ist der Ansicht, dass sich die Ermordung Haniyyas negativ auf den Verhandlungsprozess zur Lösung des Konflikts im Gazastreifen auswirken wird. "Das ist alles sehr schlimm. Dies ist ein absolut inakzeptables politisches Attentat, das zu einer weiteren Eskalation der Spannungen führen wird", sagte der stellvertretende Außenminister Russlands Michail Bogdanow in einem Kommentar gegenüber RIA Nowosti. Auch der Kreml verurteilte das Attentat. 

Haniyya war nach Teheran gereist, um an der Amtseinführungsfeier des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian teilzunehmen. Während des Treffens äußerte der iranische Führer die Hoffnung auf die "Zerstörung des zionistischen Regimes". Am selben Tag gab Israel bekannt, dass einer der Befehlshaber der Hisbollah, Fuad Shukr, bei einem Angriff auf Beirut getötet wurde. Damit haben Israels Gegner in der Region an nur einem Tag sehr schwere personelle Verluste erlitten.

Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Politics und wissenschaftlicher Leiter des Internationalen Diskussionsklubs Waldai, erinnert an einen ähnlichen Mord in der Geschichte des Konflikts:

"Die Eliminierung der Führung feindlicher Organisationen ist eine traditionelle Praxis der israelischen Sicherheitsdienste. Vor 20 Jahren wurde der geistige Führer der Hamas, Scheich Ahmad Yasin, auf dieselbe Weise getötet."

Lukjanow fügt hinzu, dass "die Ermordung von Haniyya ein äußerst unangenehmes Ereignis für Iran ist". Er betont:

"Wenn man einem geschätzten und verehrten Gast auf eigenem Territorium keine Sicherheit bietet, ist das ein Schlag ins Gesicht. Es geht sogar über die Gastfreundschaft hinaus, denn es stellt sich heraus, dass der Feind im eigenen Land kühne und erfolgreiche Operationen durchführen kann. Außerdem war es der Erzfeind, gegen den alle Anstrengungen gerichtet sind."

Der Orientalist Kirill Semjonow erklärt:

"Insgesamt sollten die Morde an Haniyya und Shukr als zwei Teile einer einzigen Operation betrachtet werden. Damit hat Israel höchstwahrscheinlich auf den Angriff auf die Stadt Madschdal Schams auf den Golanhöhen reagiert. Der jüdische Staat versucht zu zeigen, dass er in der Lage ist, auf Herausforderungen zu reagieren."

Gleichzeitig wirft die Ermordung Haniyyas eine Reihe von Fragen auf. Er fügt hinzu:

"Medienberichten zufolge befand sich der Chef des Hamas-Politbüros zum Zeitpunkt seines Todes in einer speziellen Residenz im Norden Teherans, die für Kriegsveteranen reserviert ist. Wo waren die iranischen Sicherheitsdienste? Was passiert ist, zeigt, dass sie nicht alles im Griff hatten.

Allerdings wird Iran wahrscheinlich nicht nur an seinen Fehlern arbeiten, sondern auch auf die Aktionen Israels reagieren. Es ist immer noch schwierig, genau zu sagen, welche Schritte Teheran unternehmen wird. Aber ich denke, wir sollten mit einer weiteren Eskalation im Nahen Osten rechnen. Die Spannungen in der Region werden nur zunehmen."

Simon Tsipis, ein israelischer Experte für internationale Beziehungen und nationale Sicherheit, erläutert:

"Israel versucht, den Einsatz zu maximieren, um den westlichen Ländern die Idee aufzudrängen, dass die Unterstützung für Tel Aviv alternativlos ist. Benjamin Netanjahu war mit dem Ergebnis seiner Reise nach Washington nicht zufrieden und hat deshalb zu radikalen Maßnahmen gegriffen.

Darüber hinaus wirft der Tod eines wichtigen Hamas-Unterhändlers auch die Frage nach dem Schicksal der Geiseln auf, die von der Bewegung gefangen gehalten werden. Ich schließe nicht aus, dass sich ihre Lage nach dem Vorfall noch erheblich verschlechtern wird. Netanjahu hat gezeigt, dass die Frage ihrer Freilassung keine Priorität mehr hat, auch wenn die israelische Bevölkerung mit diesem Vorgehen nicht zufrieden ist.

Es ist nicht auszuschließen, dass der israelische Geheimdienst Informationen über ihren [der Geiseln] möglichen Tod erhalten hat. Diese Tatsache könnte auch Netanjahu die Hände gelöst haben. Auf jeden Fall hat der Vorfall den Dialog zwischen Israel und der Hamas auf Eis gelegt. Das Problem ist, dass es einfach keine möglichen palästinensischen Ansprechpartner mehr gibt, abgesehen von Yahya Sinwar und Chalid Maschal."

Wladimir Saschin, ein leitender Forscher am Institut für Orientalische Studien der Russischen Akademie der Wissenschaften, meint:

"Das Problem der Verhandlungen wurde in der Tat dadurch verschärft, dass Haniyya selbst eine Position innehatte, die mit der eines Außenministers vergleichbar war. Er war an den Verhandlungen mit Israel sowohl über den Gefangenenaustausch als auch über die Lösung des aktuellen Konflikts beteiligt. Sein Nachfolger wird wertvolle Kontakte neu knüpfen müssen. Dies ist kein schneller Prozess.

Gleichzeitig ist es noch zu früh, um von einer eindeutigen Beteiligung Israels am Tod Haniyyas zu sprechen. Die Einzelheiten des Falles sind noch nicht öffentlich gemacht worden. Es ist davon auszugehen, dass die Morde an Shukr und Haniyya Glieder derselben Kette sind. Solche Aktionen sind typisch für den jüdischen Staat. Aber auch hier kennen wir noch nicht die genauen Einzelheiten zum Tod Haniyyas.

Der Tod des Chefs des Hamas-Politbüros kann jedoch als eindeutiges und schwerwiegendes Versagen der iranischen Geheimdienste gewertet werden. Er befand sich in Teheran, nachdem er als Gast zur Amtseinführung des Präsidenten eingeladen worden war. Zusammen mit ihm nahmen Vertreter von 80 Staaten an der Veranstaltung teil. Die Sicherheitsprotokolle für derartige Veranstaltungen müssen auf höchster Ebene ausgearbeitet werden.

Theoretisch könnten von Israel rekrutierte iranische Geheimdienstagenten oder Sympathisanten an der Ermordung Haniyyas beteiligt gewesen sein. Die Oppositionsstimmung in der Republik ist stark. Selbst einige Mitglieder der Sicherheitskräfte sind dafür empfänglich. Natürlich ist es in einem solchen Fall viel schwieriger, eine Bedrohung zu verhindern.

Iran wird auf die Geschehnisse mit aller Härte reagieren. Teheran macht bereits eine israelische Spur bei dem Verbrechen geltend. Höchstwahrscheinlich wird die Republik ihre Unterstützung für die Hisbollah und die Hamas verstärken. Die Lage rund um Tel Aviv wird sich verschärfen. Darüber hinaus werden die örtlichen Sicherheitsdienste sehr empfindlich auf den Tod Haniyyas reagieren.

Die Aufgabe, den Schuldigen zu finden, wird für sie nun zur Ehrensache. Außerdem müssen sie sich zumindest in den Augen ihrer eigenen Bevölkerung reinwaschen. Daher können sie Maßnahmen ergreifen, um israelische Agenten im Lande auszumerzen. Es wird eine groß angelegte Propagandakampagne gestartet, deren Beginn wir in naher Zukunft sehen werden."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 31. Juli 2024 auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.

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