Joe Biden: Ist Kamala Harris nach Rückzug die Hoffnungsträgerin?
Erste schwarze Generalstaatsanwältin, erste Vizepräsidentin, demokratische Hoffnungsträgerin, aber auch drei schwache Jahre im Weißen Haus – wer ist die wahrscheinliche Biden-Nachfolgerin Kamala Harris? "Wir haben es geschafft, wir haben es geschafft, Joe!", ruft Kamala Harris ins Handy. "Du wirst der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein." Sie lacht laut, ansteckend. Es ist November 2019, das Team Biden-Harris hat soeben die Präsidentschaftswahl gegen Donald Trump gewonnen. Er, der erfahrene Staatsmann, der sich als Übergangskandidat sah und sich die Zusammenführung eines gespaltenen Landes zum Ziel gesetzt hat. Sie, die 20 Jahre jüngere ehemalige Generalstaatsanwältin, die als Vizepräsidentin ein Versprechen für die Zukunft war. Allerdings blieb Harris über weite Strecken blass, Umfragen von Anfang 2022 wiesen sie gar als bisher unbeliebteste Person im Vizepräsidentenamt aus. Doch nun der Paukenschlag: Biden verkündet am Sonntagabend deutscher Zeit, dass er nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren werde. Und er empfiehlt seiner Partei eine Nachfolgerin: seine Vizepräsidentin Kamala Harris. Doch kann sie das? Und wer ist Kamala Harris überhaupt? Die junge Kamala Harris Kamala Devi Harris wurde am 20. Oktober 1964 in Oakland im Bundesstaat Kalifornien als Tochter einer indischen Biologin und eines jamaikanisch-amerikanischen Universitätsprofessors geboren. Bereits in ihrer Kindheit habe sie Erfahrungen mit Rassismus gemacht, erzählt Harris später: Selbst im liberalen Kalifornien sei ihr Jahrgang erst der zweite gewesen, bei dem weiße und nicht weiße Kinder gemeinsam Bus fahren durften. Harris' Eltern ließen sich früh scheiden. In einem Gespräch mit der "Los Angeles Times" aus dem Jahr 2015 erinnert sich die damalige Senatskandidatin an Besuche beim Vater: "Die Nachbarskinder spielten nicht mit uns, weil wir schwarz waren. Und das in Palo Alto, der Heimat von Google!" Später studierte Harris Jura. Der Schutz von Mädchen und Frauen vor häuslicher und sexualisierter Gewalt sei ihr schon zu Schulzeiten ein Anliegen gewesen, erklärte Wanda Kagan, eine ehemalige Schulfreundin, vor einigen Jahren dem US-Sender CBC. Kagan erzählte, sie selbst sei von ihrem Stiefvater missbraucht worden und habe sich Harris anvertraut, deren Familie sie schließlich monatelang bei sich aufgenommen habe. Harris' Hochzeit und Zeit als Staatsanwältin Im Jahr 2004 gewann Harris den Wahlkampf um den Posten als Bezirksstaatsanwältin in San Francisco . Sie ging ihren Vorgänger Terence Hallinan hart an und warf ihm offen Inkompetenz vor. Besonders Hallinans Bereitschaft, in Fällen häuslicher Gewalt Deals mit der Verteidigung abzuschließen anstatt Verurteilungen anzustreben, erzürnte Harris. Ihr knapper Wahlsieg machte sie zur ersten nicht weißen Bezirksstaatsanwältin San Franciscos. Trotz politischen Drucks blieb Harris während ihrer Amtszeit bei ihrer im Wahlkampf angekündigten Position, lebenslange Haftstrafen statt Todesstrafen in Mordfällen zu beantragen. Interview mit Harris-Experten: "Sie hat alle besiegt" Sechs Jahre nach ihrer Wahl zur Bezirksstaatsanwältin nahm Harris den nächsten Karriereschritt: Sie gewann die Wahl zur Generalstaatsanwältin Kaliforniens, auch mit der Unterstützung demokratischer Schwergewichte wie der inzwischen verstorbenen Senatorin Diane Feinstein und Ex-Kongresssprecherin Nancy Pelosi. Auch diese Wahl war historisch: Harris war die erste Frau, erste Afroamerikanerin und erste Amerikanerin mit südasiatischen Wurzeln im Amt. Während ihrer Amtszeit schaffte sie unter anderem die sogenannte "Gay Panic"-Regelung ab. Diese Verteidigungsstrategie klassifizierte Gewalt gegen homosexuelle und trans Personen als Notwehr und machte diese damit quasi straffrei, wenn der Angreifer erklärte, er habe Angst vor nicht heterosexuellen Menschen. Noch heute spricht Harris oft davon, dass sie Sexualstraftäter und Mörder strafrechtlich verfolgt und ins Gefängnis gebracht habe. Während ihrer Zeit als Generalstaatsanwältin lernte Harris ihren heutigen Ehemann Douglas Emhoff kennen. Die beiden heirateten im August 2014. Harris ist die Stiefmutter von Emhoffs Töchtern Cole und Ella. US-Senatorin für Kalifornien: "Ihre Fragen machen mich nervös" Als Harris schließlich im Jahr 2016 die Nachfolge der langjährigen US-Senatorin Barbara Boxer anstrebte, fand sie prominente Unterstützer: Sowohl der damalige Präsident Barack Obama als auch dessen Vize Joe Biden sprachen sich für die damals 52-Jährige aus und bezeichneten Harris als "eine furchtlose Kämpferin für alle Kalifornier". Harris gewann auch diese Wahl – unter anderem, weil sie sich klar gegen Donald Trump positionierte: Sie werde Immigranten mit aller Kraft gegen dessen Politik verteidigen, kündigte Harris damals an. Trump hatte damals wie heute angekündigt, massenhafte Abschiebungen durchzuführen. Im Senat machte Harris besonders durch ihr konsequentes Auftreten gegenüber Trump-Verbündeten von sich reden. Harris setzte sich auch nachhaltig für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump selbst ein. Während einer Befragung des damaligen Justizministers Jeff Sessions erklärte der Republikaner, die Fragen der ehemaligen Staatsanwältin "machen mich nervös". Wie Kamala Harris Joe Biden aus der Fassung brachte Am 27. Januar 2019 erklärte Harris offiziell ihre Bewerbung für die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten. Sie bestätigte den Eindruck aus ihrer Zeit als Senatorin: Rhetorisch ist Harris eine Waffe. Bereits in der ersten Debatte konfrontierte sie Joe Biden, der sich in seiner Zeit als Senator noch für nach Hautfarbe getrennte Schulbusse eingesetzt hatte. "Ich glaube nicht, dass sie ein Rassist sind", sagte Harris an Biden gewandt. Der blickte zunächst nach unten, dann nervös zur Seite, während er sich an sein Rednerpult klammerte. "Und doch", führte Harris aus, "ist es schmerzhaft zu sehen, dass Sie Senatoren loben, die ihre Karrieren auf der Basis von Rassentrennung aufgebaut haben." "Es gab da ein kleines Mädchen in Kalifornien, das Teil des zweiten Jahrgangs war, der gemeinsam mit dem Bus zur Schule fahren durfte. Dieses Mädchen war ich." Biden, der auf diesen Angriff nicht vorbereitet wirkte, stammelte: "Ich habe keine Rassisten gelobt. Das ist nicht wahr." Der Moment aus dem Wahlkampf 2019 wirkt im Nachhinein wie ein Vorbote des katastrophalen Auftritts, den Biden in seiner Debatte mit Trump im Frühsommer dieses Jahres ablieferte. Vizepräsidentin: Die erste Frau im Amt Harris legte nach ihrer TV-Debatte mit Biden in den Umfragen zu, konnte sich aber letztendlich nicht durchsetzen. Biden machte sie im August 2020 zu seiner Kandidatin auf die Vizepräsidentschaft. Harris war damit die erste Afroamerikanerin und die erste Amerikanerin mit indischen Wurzeln, die als Vizepräsidentin kandidierte. Am 20. Januar 2021 wurde Harris als Vizepräsidentin vereidigt. Harris ist aktuell die mächtigste Frau in der politischen Geschichte der USA . Drei blasse Jahre im Weißen Haus In den vergangenen dreieinhalb Jahren als Vizepräsidentin blieb Harris allerdings weitestgehend blass. Immer wieder traten enge Mitarbeiter zurück, Gerüchte über chaotische Arbeitsbedingungen hielten sich hartnäckig. Ähnlich wie Biden neigte sie zeitweise zu Aussetzern und schwer nachvollziehbaren Vorträgen – besonders angesichts ihrer Reden im Senat und ihrer Auftritte in den Vorwahlen 2020 ist das verwunderlich. Eine ihrer Reden über "das Leben im Kontext von allem, was vor euch kam" wurde besonders durch einen Kokosnuss-Vergleich zum Running Gag. Ihre Beliebtheitswerte gingen in den Keller. Das Versprechen für die Zukunft, das mit Harris Nominierung als Vizepräsidentin einherging, schien gebrochen. Bidens Schwäche – Harris' Chance? Doch dann folgte Bidens schwacher Auftritt im TV-Duell mit Donald Trump. Die Rufe nach einer Alternative wurden lauter. Öffentlich gab sich die Vizepräsidentin bis zuletzt als loyale Verteidigerin Bidens. Der dankt es ihr nun – indem er sie als seine Nachfolgerin für die Kandidatur vorschlägt. Fit, präsidentiell, beliebt: Warum Biden sich für Harris ausspricht Vieles spricht dafür, dass die Partei Biden folgt und Harris nominiert. Würde sie tatsächlich die Kandidatur übernehmen, wäre Harris die erste schwarze Frau, die sich für das mächtigste politische Amt der USA bewirbt. Im Falle eines Wahlsieges kämen weitere erste Male hinzu: Harris wäre nicht nur die erste Afroamerikanerin im Oval Office, sondern auch die erste Frau überhaupt.