Arbeitsmarkt: Experte zum 15 Euro Mindestlohn: "Scholz handelt geschickt"
Kanzler Scholz hat sein erstes Wahlversprechen abgegeben: Er will einen Mindestlohn von 15 Euro. Sein Problem: Darüber entscheidet nicht die Bundesregierung, sondern eine Kommission aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern.
"Mit Scholz' Forderung nach 15 Euro Mindestlohn will er Druck auf die Mindestlohnkommission aufbauen", sagt Christoph Schröder. Der Experte für Einkommenspolitik beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft erklärt dem stern, was der Kanzler bezwecken will.
"Eigentlich entscheidet die Mindestlohnkommission aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern über Änderungen. Die Regierung kann nicht ohne weiteres auf die Höhe des Mindestlohns einwirken." Im Gesetz steht: Die Kommission berät alle zwei Jahre über eine mögliche Anpassung. Die letzte Erhöhung erfolgte am 1. Januar 2024 von 12 Euro auf 12,41 Euro.
Der Mindestlohn kann aber auch außerplanmäßig steigen: Zur Bundestagswahl 2021 versprach Kandidat Scholz eine Erhöhung von 9,60 Euro auf schrittweise 12 Euro, was im Oktober 2022 dann auch passierte.
"Zu hoher politischer Preis für Scholz"
Diese Art außerplanmäßige und sprunghafte Erhöhung sollte einmalig stattfinden. Neben dem Recht der Kommission, den Mindestlohn anzupassen, gilt laut Verfassung zudem Tarifautonomie. Das bedeutet: Es obliegt Arbeitnehmern und Arbeitgebern – beziehungsweise Organisationen wie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden – Löhne und Arbeitsbedingungen eigenständig und ohne staatliche Einmischung durch Tarifverträge zu regeln.
Nun ist der staatliche Mindestlohn an sich aber bereits eine Einmischung in diese Tarifautonomie. Als er 2015 eingeführt wurde, war genau das die Kritik: Plötzlich legte der Gesetzgeber eine Mindesthöhe an Gehalt fest. Zumindest die weitere Entwicklung sollte deshalb von da an bei der Kommission liegen. Der Gedanke: Der Mindestlohn soll in etwa so bestimmt werden, wie auch Tariflöhne bestimmt werden, also in der Auseinandersetzung zwischen Gewerkschaften und Unternehmensvertretern.
Das Problem: Die eine Seite kann die andere Seite in der Kommission überstimmen, es gibt keinen Einigungsdruck. Die letzte Erhöhung auf 12,41 Euro erfolgte ohne Zustimmung der Arbeitnehmervertreter, die fanden, dass in Zeiten hoher Inflation ein größerer Sprung notwendig wäre. Deswegen war die Entscheidung politisch umstritten.
"Theoretisch kann der Kanzler den Mindestlohn trotzdem anpassen", erklärt Experte Schröder. "Dazu müsste die Regierung das Mindestlohngesetz ändern. Das kann sie jederzeit tun." Eine solche Entscheidung könne jedoch zu einem Vertrauensverlust gegenüber der Mindestlohnkommission führen, so Schröder.
"Gerade die Arbeitgeberseite könnte sich vor den Kopf gestoßen und übergangen fühlen. Im Extremfall könnte sie die Kommission sogar verlassen." Außerdem wäre dies ein Bruch des Koalitionsvertrags, was zu weiteren Unstimmigkeiten in der Ampel führen und von der Opposition möglicherweise ausgenutzt werden könnte. "Das alles hätte wahrscheinlich einen zu hohen politischen Preis für Scholz."
"Gesetzesänderung eher unwahrscheinlich"
Was will der Kanzler mit seiner Forderung also bezwecken? Scholz traf die Aussage im Interview mit dem stern. Seine genauen Worte: "Ich bin klar dafür, den Mindestlohn erst auf 14 Euro, dann im nächsten Schritt auf 15 Euro anzuheben." Einen Zeitpunkt für eine solche Erhöhung nannte er in dem Gespräch nicht.
"Scholz handelt geschickt, indem er vermeidet, einen Zeitpunkt zu nennen", sagt Experte Schröder. "Die nächste reguläre Erhöhung wäre zum 1. Januar 2026." Dann würden wir in jedem Fall einen größeren Sprung sehen, da die Tariflöhne in diesem und im vergangenen Jahr bereits stärker gestiegen sind, so Schröder. Die Entwicklung der Tariflöhne sei die wesentliche Richtschnur für die Mindestlohnkommission.
"So würde sich 2026 wahrscheinlich ohnehin schon ein Wert ergeben, der näher an den 14 Euro ist als an 13 Euro." Scholz' recht frühe Verankerung von 15 Euro bringe die Kommission aber unter Zugzwang. "Mir scheint es eher unwahrscheinlich, dass es tatsächlich zu einer Gesetzesänderung kommt. Stattdessen wird politischer Druck auf die Mindestlohnkommission aufgebaut, um am Ende einen höheren Wert zu erreichen."
Mindestlohn könnte Wahlkampfthema werden
Die Gesetzesänderung könnte aber auch wieder Teil des Wahlkampfs werden – dafür ist der Koalitionsvertrag schließlich egal. Auch andere Parteien wie Grüne und Linke haben sich bereits für einen höheren Mindestlohn ausgesprochen.
Die Effekte, die ein Mindestlohn von 15 Euro auf den Arbeitsmarkt haben könnte, betrachtet Schröder zwiespältig. "Ein weiterer deutlicher Anstieg des Mindestlohns würde die vereinbarten Tariflöhne in den unteren Lohngruppen in vielen Branchen überschreiben." Meist führt das zu steigenden Löhnen auch oberhalb der Mindestlohngrenze.