Band auf Deutschland-Tour: Ein Jahr danach: Ich bin Rammstein-Fan – aber will ich es auch bleiben?
Vor einem Jahr wurden die Missbrauchsvorwürfe gegen Rammstein publik. Nun hat die Gruppe ihren Tourauftakt in Deutschland gefeiert – und alles ist wie immer. Unser Autor, selbst lange Fan der Band, ringt mit sich.
"Ich bin das Mädchen, das bei Rammstein gespiked wurde."
Es waren nur neun Worte, die im vergangenen Jahr einen der größten Musikskandale der vergangenen Jahrzehnte auslösten. Die Irin Shelby Lynn hatte behauptet, auf einer Rammstein-Aftershowparty mit einem Getränkegemisch betäubt worden zu sein. Immer mehr Frauen meldeten sich und schilderten ähnliche Erlebnisse. Sie seien auf Partys eingeladen worden, teilweise sei viel Alkohol geflossen. Einige berichteten, dass sie sich mit Bandmitgliedern, vor allem mit Sänger Till Lindemann, in Situationen wiederfanden, die sie nicht mehr hätten kontrollieren können. Gegen sexuelle Handlungen hätten sie sich nicht gewehrt. Sie seien einvernehmlich gewesen – soweit man das so sagen kann.
Gestern hat die Band nun das erste Konzert ihrer Tour in Deutschland gespielt, drei weitere folgen ab heute. Und man kann jetzt schon feststellen, dass die Geschichten der Frauen in Dresden keine Rolle spielen. Die Rinne am Elbufer ist voll und wird voll sein. Knapp 200.000 Menschen wollen das sehen, wofür Rammstein bekannt ist: Lindemanns rollendes Rrrr, die Pyrotechnik, die Peniskanone, die Lichter – Shows, die mehr Musical als Konzert sind.
Wenn der Mythos läutet, kommen die Gläubigen. Gottesdienst.
The show must go on.
Ein Jahr nach dem Rammstein-Skandal: Noch immer das ungute Gefühl, nicht alles zu wissen
Das ist reichlich seltsam, denn natürlich hat der Skandal, der verdammte Berg an Anschuldigungen nicht nur die Musikbranche gezwungen, sich zu verhalten, zu positionieren, vielleicht gar zu entgiften – die Anhängerschaft der Band musste das gleichsam tun.
Und während die allermeisten treu zu Lindemann und Rammstein stehen, merke ich doch, dass in mir als Fan etwas kaputt gegangen ist. Ich höre noch immer ihre Musik, das Grundvertrauen in die Band ist aber zerstört. "Warum sollten Megastars wie Rammstein es nötig haben, ein so fragwürdiges Verhalten an den Tag zu legen?", hatte ich zu Beginn noch gedacht. Dann kamen immer neue Vorwürfe dazu, noch krassere Anschuldigungen.
Es fühlte sich an wie ein Riss, ein Ziehen im Fanmagen, das ungute Gefühl, nicht zu wissen, was genau geschehen ist auf den Partys der "Row Zero", in den Hotelzimmern. Alles nur ein Missverständnis von Frauen, die sich ungerecht behandelt fühlten, weil ihnen etwas anderes versprochen worden war beim sogenannten Casting? Hatten die Bandmitglieder um Lindemann einfach kein Gespür dafür gehabt, dass sich eine Abhängigkeit schon konstruiert, wenn man junge Frauen zu "Partys" einlädt? Oder wurden diese Abhängigkeiten bewusst ausgenutzt?
Die Erzählung schlug einige Volten, das Narrativ drehte sich mehrfach. Von Missbrauch war anfangs die Rede, dann von Machtmissbrauch, später von Verantwortung, die man als knapp 60-jähriger Rockstar gegenüber kaum volljährigen Frauen haben sollte. Verschiedene Medien schoben neue Geschichten mit neuen mutmaßlichen Opfern nach, auch der stern. Und die Erzählungen glichen sich – zu sehr, als dass man sich als Fan noch hinter dem Gedanken hätte verstecken können, dass da rein gar nichts dran sei. Rammstein Erfahrungsbericht Monique 16.05
Ich wehre mich zwar immer noch gegen Darstellungen, die nicht unterscheiden zwischen dem lyrischen Ich in den Songs und Gedichten, und Lindemann selbst. Ich wehre mich gegen den billigen Trick, wenn Songtexte als "Kontext" herangezogen werden, um angeblich zu beweisen, dass sexueller Missbrauch, Nekrophilie oder Gewalt zur Gedankenwelt der Band gehören. "Wer so denkt, textet und singt, der ist sicherlich auch bereit so zu handeln" – nein, eben nicht! Das ist falsch, tendenziös und unterkomplex. Nicht jeder Gangster-Rapper handelt mit Drogen, nicht jeder Punk-Rocker will den Kapitalismus stürzen. Wenn man Songtexte als Maßstab nimmt, müssten Künstler wie Roland Kaiser längst im Giftschrank verschwunden sein.
Nur die Band hat es in der Hand, alles aufzuklären
Aber mich ärgert, wie Rammstein mit Kritikern umgegangen ist. Da wurden Presseanfragen, wenn überhaupt, von Anwälten beantwortet, und auch mutmaßlich Betroffene mussten fürchten, von den Juristen Post zu bekommen, sobald sie sich öffentlich äußerten. Was fehlte, war eine ausführliche Erklärung, die auch uns Fans das Gewissen hätte erleichtern können. Ein Entschuldigung, vielleicht sogar Reue, selbst wenn nichts strafrechtlich Relevantes vorgefallen sein sollte.
Statt ihre Sicht der Dinge klar zu machen und mögliche Missverständnisse auszuräumen, hat sich die Band hinter kryptischen Instagram-Posts und weiteren Provokationen während einiger Konzerte versteckt. Rammstein FS 16.11
So bleiben viele Fragen unbeantwortet, wenn auch heute Abend wieder das Rammstein-Logo auf der Videoleinwand in der Dresdner Rinne erscheint und die Bühne in Funken aufgeht. Es sticht bei dem Gedanken, einfach weiterzumachen, als habe es die Anschuldigungen nie gegeben.
Die Band selbst könnte den Stachel ziehen.
Sie hat es leider nicht vor.