Top-Ökonomen: Neue Konjunkturprognose: Die Wirtschaftsweisen kämpfen mit Differenzen
Die Wirtschaftsweisen haben ihre Konjunkturprognose vorgestellt. Es ist der erste gemeinsame Auftritt des Sachverständigenrats für Wirtschaft nach einem öffentlichen Krach.
Als an diesem Mittwochnachmittag der Sachverständigenrat Wirtschaft zusammenkommt, um seine Konjunkturprognose vorzustellen, scheint in Berlin die Frühlingssonne. Für die wirtschaftliche Entwicklung ist die Aussicht dagegen eher trübe: Weiterhin präge eine schwache gesamtwirtschaftliche Nachfrage Deutschlands Konjunktur, urteilen die sogenannten Wirtschaftsweisen. "Die privaten Haushalte konsumieren aktuell noch zurückhaltend, die Industrie und die Baubranche verzeichnen nur geringfügig neue Aufträge", erklärte Ratsmitglied Martin Werding.
Das fünfköpfige Gremium senkt deshalb seine Erwartungen: Für dieses Jahr sagt der Sachverständigenrat nur ein geringes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,2 Prozent voraus – statt der erwarteten 0,7 Prozent. "Das sind schlechte Zahlen", so Werding. Man erwarte allerdings, dass die deutsche Wirtschaft im Jahresverlauf etwas an Fahrt aufnehme. Im kommenden Jahr soll die deutsche Volkswirtschaft dann um 0,9 Prozent wachsen. Damit weicht die Prognose geringfügig von der Vorhersage der Regierung ab, die die Wachstumserwartung für Deutschland im Jahr 2024 moderat auf 0,3 Prozent erhöht hat und das Wachstum des BIP für 2025 auf ein Prozent einschätzt.
Der Sachverständigenrat Wirtschaft rechne außerdem damit, dass sich die Teuerung in Deutschland verlangsamt und die deutsche Inflation weiter zurückgeht. Nach 2,4 Prozent in diesem Jahr dürfte die Inflationsrate im Jahr 2025 bei 2,1 Prozent liegen. "Wir gehen davon aus, dass die EZB noch in diesem Sommer die Leitzinsen senken wird. Die damit verbesserten Finanzierungsbedingungen für Unternehmen werden die privaten Investitionen ankurbeln", sagte Ratsmitglied Ulrike Malmendier.
Alle gegen eine, eine gegen alle
Doch neben der Lage der deutschen Wirtschaft stand vor allem die Stimmung im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – so der vollständige Name des Gremiums – auf der Tagesordnung der Pressekonferenz. Denn bei den fünf Weisen hängt der Haussegen seit Monaten schief. Anfang Februar hatten sich vier Ratsmitglieder öffentlich gegen ihre Kollegin Veronika Grimm positioniert, weil diese in den Aufsichtsrat von Siemens Energy wollte.Exklusiv: Spahn greift Scholz an
Achim Truger, Ulrike Malmendier, Monika Schnitzer und Martin Werding warfen ihrer Kollegin Grimm Interessenkonflikte vor – man könne nicht als Energieexpertin den Sachverständigenrat beraten und gleichzeitig als Aufsichtsrätin eines Energieunternehmens agieren. Im "Capital"-Interview hatte Veronika Grimm ihren Plan jedoch bis zuletzt verteidigt, und zog kurz darauf in den Aufsichtsrat von Siemens Energy ein. Die Vorstellung des Frühjahrsgutachtens wurde deshalb mit Spannung erwartet, es war der erste gemeinsame Auftritt der fünf Weisen nach dem öffentlich ausgetragenen Machtkampf.
Wirtschaftsweise Grimm gibt Minderheitsvotum ab
Ganz unkompliziert scheint die Arbeit am Frühjahrsgutachten jedenfalls nicht gewesen zu sein, Energieexpertin Grimm hat darin ein Minderheitsvotum abgegeben. In einem wirtschaftspolitischen Kapitel beschäftigt sich der Sachverständigenrat mit der Frage, wie der Güterverkehr in Deutschland nachhaltiger werden kann. Dieser erfolgt bisher größtenteils über die Straße und verursacht dabei 98 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen im Güterverkehr. Transporte auf Schiene und Wasser zu verlagern, gelingt bisher nicht.
Die Wirtschaftsweisen empfehlen deshalb, die Elektrifizierung der Straßengüterverkehrs voranzutreiben. Batterieelektrische LKW wiesen "die höchste Marktreife auf und dürften daher bis auf Weiteres die dominierende emissionsarme Antriebstechnologie sein", heißt es im Gutachten. Der Aufbau einer Ladeinfrastruktur müsse daher im Fokus staatlichen Handelns stehen.
Diesen Handlungsempfehlungen schloss sich Ratsmitglied Grimm nicht uneingeschränkt an. Im entsprechenden Minderheitsvotum setzt sich die Energieexpertin stattdessen für eine Vielfalt von Technologieoptionen ein und plädiert dafür, auch die Verwendung von Wasserstoff im Straßengüterverkehr zu fördern. Damit scheint die Abweichlerin für neuen Ärger im Gremium gesorgt zu haben.
Siemens Energy: Teil der Energietransformation
Die Krux bei der Sache ist weniger das Minderheitsvotum der Wirtschaftsweisen Grimm – erst im Jahr 2022 habe der Wirtschaftsrat zum ersten Mal seit über 20 Jahren ein Gutachten ohne Minderheitenvotum veröffentlicht, sagte der Wirtschaftsweise Achim Truger kürzlich zu Capital.
Kritischer ist, dass das Streitthema Wasserstoff ausgerechnet eine Technologie ist, an der auch das von Veronika Grimm beaufsichtigte Dax-Unternehmen tüftelt: Siemens-Energy produziert Fertigungsanlagen für die Wasserstoffwirtschaft. Die sogenannten Elektrolyseure spalten Wasser mithilfe von Strom und speziellen Membranen in Sauerstoff und Wasserstoff auf. Außerdem gehört Grimm dem Vorstand des Zentrums Wasserstoff.Bayern (H2.B) an, zu dessen Partnern Unternehmen wie Audi, BMW, Bosch, MAN und auch Siemens zählen.IV Bafa Präsident Lieferkettengesetz
Dass damit der Interessenskonflikt eingetreten sei, vor dem die anderen Ratsmitglieder gewarnt hatten, wies Grimm am Mittwoch zurück. Es gebe lediglich einen inhaltlichen Dissens, pflichtete ihr Kollege Truger bei. Doch diese Meinungsverschiedenheit trugen die Beteiligten auch bei der Vorstellung ihres Gutachtens weiter öffentlich aus: Deutschland sei bei Brennstoffzellen technologieführend, sagte Grimm. Diese Position dürfe man nicht aufgeben und müsse den Optionsraum möglichst groß lassen.
Schnitzer erlaubt sich Schnitzer
Die Vorsitzende des Sachverständigenrats Monika Schnitzer ließ Grimm allerdings auflaufen: "Technologieoffenheit heißt nicht, dass der Staat alles finanzieren muss, was möglich ist. Wir weisen darauf hin, wie man priorisieren könnte, und auch sollte." Schon in der Vergangenheit war Schnitzer Grimms lauteste Kritikerin, als diese den Aufsichtsratsposten bei Siemens Energy anstrebe. "Nicht alles, was legal ist, ist legitim. Sie muss sich für ein Mandat entscheiden", sagte Schnitzer damals gegenüber dem Portal "TableMedia".
Mit einem Versuch, die weitere Diskussion abzuwürgen, scheiterte Schnitzer bei den anwesenden Journalisten. Auf die Frage, wie der Rat denn ein für das Gremium so heikles Thema in den Brennpunkt nehmen konnte, reagierte Schnitzer wortkarg. Das habe man im letzten Sommer nicht absehen können, als man beschlossen habe, das Thema Straßengüterverkehr anzugehen. Grimm entgegnet, auch damals sei klar gewesen, dass es in der Sache zu "divergierenden Meinungen" kommen werde.
Es scheint, als werde der Konflikt im Rat der Top-Ökonomen – inhaltlich wie persönlich – wohl weiter schwelen. Für die künftige Arbeit im Sachverständigenrat kündigte Schnitzer einen Verhaltenskodex an. Wann man sich darauf einigen könne, ließ die Ratsvorsitzende allerdings offen.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst bei Capital.de.