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Май
2024

Mehrarbeit-Diskussion: Wie werden Überstunden bezahlt? Eine Juristin erklärt die Rechtslage

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Deutsche haben vergangenes Jahr 1,3 Milliarden Überstunden gemacht, die meisten unbezahlt. Doch wie ist Mehrarbeit für Arbeitnehmer überhaupt geregelt? In vielen Verträgen steht eine Klausel, die nicht rechtskräftig ist.

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Frau Oberthür, Finanzminister Christian Lindner und seine FDP wollen "Lust auf Überstunden machen", indem diese steuerlich begünstigt werden. Wie regelt der Staat Überstunden bisher?
Im Gesetz sind sie im Detail gar nicht geregelt, sondern nur in Tarifverträgen oder im jeweiligen Arbeitsvertrag. Dort muss stehen, dass jemand verpflichtet ist, Überstunden zu machen, sonst muss er das nicht. Und dann müsste auch im Arbeitsvertrag aufgeführt sein, wie sie vergütet werden. 

Oft findet sich aber in Verträgen die Formulierung "Überstunden sind mit dem Gehalt abgegolten".
Genau, das steht in vielen Verträgen. Diese Regelung ist aber unwirksam, weil sie völlig intransparent ist. Arbeitnehmer können auf Paragraf 612 BGB verweisen. Der besagt, dass eine Vergütung notwendig ist, wenn die Dienstleistung üblicherweise nur gegen Vergütung erwartet werden kann. Und diese Vergütungserwartung sieht die Rechtsprechung bei den allermeisten Arbeitnehmern als gegeben an.

Also keine Überstunden zum Nulltarif?
Naja. Eine Ausnahme gibt es für Mitarbeiter, die ein Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung von 7550 Euro haben. Sie haben ohne Vereinbarung im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag keinen Anspruch auf Vergütung der Überstunden; Mitarbeiter, die ein niedrigeres Gehalt bekommen, schon.

Müssen Überstunden denn mit Zuschlag bezahlt werden?
Nein, es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, Überstundenzuschläge zu zahlen. In Tarifverträgen findet man zwar oft solch einen Passus, in einzelnen Arbeitsverträgen seltener. 

Kann der Arbeitgeber die Beschäftigten zu unbezahlten Überstunden zwingen und wenn ja, wie viele muss man maximal leisten?
Etwa 10 bis 15 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit können Arbeitgeber bei entsprechender Vereinbarung ohne Vergütung als Überstunden leisten lassen. Bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche sind das maximal sechs Stunden. Die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit liegt in Deutschland bei 48 Stunden in der Woche. Man kann also eine Regelung treffen, die da lautet: Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, Überstunden zu leisten. Mit dem Gehalt sind bis zu zwei Überstunden pro Woche abgegolten.

Was bedeutet die Formulierung in Verträgen, dass man zur Mehrarbeit verpflichtet werden kann?
Unter Mehrarbeit versteht man üblicherweise die Arbeitszeit, die über die gesetzliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden täglich hinaus geleistet wird. Das kann verlängert werden auf zehn Stunden. Der Begriff Mehrarbeit wird aber häufig synonym auch für Überstunden benutzt. Sinnvollerweise stellt der Arbeitgeber im Vertrag klar, wie viel Mehrarbeit und beziehungsweise oder Überstunden geleistet werden muss. Nach dem überwiegenden Verständnis sind Überstunden das, was über die individuell vereinbarte Arbeitszeit hinausgeht. Also wenn man sechs Stunden am Tag vereinbart hat, sind die Stunden ab der siebten Stunde Überstunden.

Wenn Überstunden gesetzlich nicht geregelt sind – könnte das der Grund für den FDP-Vorschlag sein, diese durch Steueranreize zu fördern?
Es könnte sein, dass der Grund in der Debatte über weniger Arbeit und die Vier-Tage-Woche liegt. Mit einer steuerlichen Privilegierung von Überstunden könnte man eine Wochenarbeitszeit von 30 Stunden vereinbaren und Überstunden dann günstiger gestalten. Das hängt aber davon ab, welche gesetzliche Regelung konkret vorgeschlagen werden soll.

Vorausgesetzt, die Überstunden werden steuerlich privilegiert. Drohen da nicht massenhaft unbezahlte Überstunden und die Unternehmen machen am Ende ein gutes Geschäft?
In diesem Fall wären die Überstunden ja nicht unbezahlt, sondern gerade steuerlich begünstigt. Der Kampf gegen unbezahlte Überstunden läuft über die Arbeitszeiterfassung. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Arbeitgeber die Arbeitszeiten erfassen müssen. Und wenn sie erfasst werden, werden sie in der Regel auch bezahlt.

STERN PAID Gespräch Arbeitssucht 14.35

Obwohl kein prinzipieller Anspruch darauf besteht, dass Überstunden bezahlt werden?
In den meisten Fällen besteht ja ein Vergütungsanspruch. Wenn für Überstunden keine Vergütung bezahlt wird, fällt auf die fehlende Vergütung natürlich auch keine Steuer an. Die Idee ist ja, Überstunden zu vergüten und steuerlich zu privilegieren, um damit einen wirtschaftlichen Anreiz zu mehr Arbeit zu setzen. 

Wie würde so etwas dann in der Lohnabrechnung ausgewiesen?
Als zusätzliche Zeile in der Lohnabrechnung, ähnlich wie bei Nachtarbeits- oder Feiertagszuschlägen. Die sind ja teilweise auch steuerbegünstigt.

Was ist aus rechtlicher Sicht eine angemessene Bezahlung einer Überstunde?
Einen vorgegebenen Wert gibt es da nicht, weil die Angemessenheit von Vergütung – oberhalb des Mindestlohns – nichts ist, was der Gesetzgeber vorgibt. In der Regel werden Überstunden mit der vereinbarten Vergütung für eine Arbeitsstunde vergütet. Wenn Überstunden unbezahlt bleiben, darf dies aber nicht zu einer Verzerrung des angemessenen Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung führen.

Lohnen sich Überstunden denn jetzt unterm Strich finanziell?
Nach meiner Wahrnehmung werden Überstunden in den meisten Unternehmen vergütet, jedenfalls in den größeren. Allein schon, weil viele Arbeitnehmer unbezahlte Überstunden heute nicht mehr akzeptieren würden.