Jan-Niclas Gesenhues: "Wir müssen wieder mehr junge Menschen für den Naturschutz begeistern"
Was unterscheidet den Klima- vom Naturschutz? Bei dem einen geht es um den Kampf gegen die vom Menschen verursachte Erderwärmung. Beim anderen um den Schutz der Ökosysteme. Und beide sind nur erfolgreich, wenn sie zusammen umgesetzt werden.
Der Klimaschutz ist in aller Munde, aber über den Naturschutz spricht kaum jemand. Noch schlimmer: Beides wird gegeneinander ausgespielt, findet Jan-Niclas Gesenhues, ehemaliger Naturschützer und heute parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium. Das muss sich ändern, sagt er im Gespräch mit dem stern. Warum, darüber hat er ein Buch geschrieben. "Offensiver Klimaschutz" ist ein Plädoyer für den Umweltschutz in Zeiten, in denen der Klimaschutz scheinbar über allem steht. Und ein bisschen ist es auch eine Abrechnung mit seiner eigenen Partei, deren Fokus sich durch Kriege und Energiekrise verschoben hat. Dabei kann Klimaschutz nur gelingen, wenn wir unsere Umwelt bewahren, ist der Grünen-Politiker überzeugt.
In Ihrem Buch kritisieren Sie, dass Umwelt- und Klimaschutz gegeneinander ausgespielt werden. Warum, Herr Gesenhues?
Beim Klimaschutz wurde unheimlich viel erreicht, aber die ökologische Krise ist mehr als das. Der Naturschutz ist in der öffentlichen Aufmerksamkeit zuletzt etwas zu kurz gekommen. Das ist bedauerlich, denn wir erleben ein dramatisches Aussterben von Arten, Ökosysteme kollabieren und die Umwelt wird weiter verschmutzt. Allein in Deutschland sind über 90 Prozent der Moore und Feuchtgebiete zerstört. Dadurch werden jährlich 50 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich freigesetzt. Unsere Klimaziele werden wir deshalb niemals nur durch technische Lösungen erreichen, sondern wir brauchen Moore, Wälder und Flussauen, um CO2 zu speichern. Durch die Energiekrise und populistische Kampagnen werden Umwelt- und Naturschutz als Bremsklötze verunglimpft. Das ist gefährlich. Denn die Natur ist das Fundament unseres Wohlstandes.IV Können wir unseren Planeten noch retten? 10.59
Das müssen Sie erklären.
Die Europäische Zentralbank hat vor Kurzem eine Studie über die Abhängigkeit der Wirtschaft im Euroraum von Natur und Umwelt herausgegeben. 70 Prozent der Firmen sind von Leistungen der Natur abhängig. Laut Weltwirtschaftsforum sind ökologische Krisen unter den Top Fünf der größten Risiken für unsere Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren. Deshalb müssen Klima- und Naturschutz gleichrangig auf der politischen Agenda stehen. Investitionen in unsere Natur sind immer auch Investitionen in unseren Wohlstand.
Sie sind Umwelt- oder Klimaschützer?
Man kann nur beides gleichzeitig sein. Naturschutz ist ohne Klimaschutz unmöglich. Umgekehrt gilt dasselbe.
Wie wurde das politisch bisher umgesetzt?
Bei der Offshore-Windenergie müssen die Betreiber beispielsweise einen Beitrag für den Meeresnaturschutz zahlen. Dabei ist bisher eine dreistellige Millionensumme für unsere Meere zusammengekommen. Beim Ausbau der Windenergie gibt es gezielte Hilfsprogramme zum Schutz bestimmter Vogelarten. Beim Solarpaket haben wir finanzielle Anreize gesetzt, um Solarausbau mit Naturschutzprojekten zu kombinieren. Das sind gute Ansätze, die wir ausbauen und ergänzen müssen, hin zu einer umfassenden Offensive zur Rettung der Natur. Wir müssen Klima- und Umweltschutz zusammendenken und ernst nehmen.
Ernst genommen hat Habeck zuletzt vor allem den russischen Angriffskrieg. Da fiel es manchmal schwer, die Fahne für den Klimaschutz hochzuhalten.
Wir hatten eine akute Energiekrise und mussten schnell handeln. Wir haben die Erneuerbaren massiv ausgebaut, sind stabil durch die Energiekrise gekommen und haben zugleich beim Klimaschutz große Schritte nach vorne gemacht. Robert Habeck hat dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet. Und ja, auch der Naturschutz hat einen erheblichen Beitrag geleistet, um die Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren zu ermöglichen. Jetzt kommt es darauf an, Natur- und Klimaschutz gemeinsam ganz oben auf die politische Agenda zu setzen. Das erwarte ich aber von allen Parteien. Naturschutz kann nicht nur bei einer einzigen Partei Thema sein. Dafür ist die ökologische Krise zu groß.
Ohne den Druck der Zivilgesellschaft hätten wir viele Meilensteine für den Umwelt- und Klimaschutz niemals geschafft.
Dass jetzt das Klimaschutzgesetz aufgeweicht wurde, passt aber nicht in dieses Bild. Warum haben die Grünen kampflos aufgegeben?
Das war ein Kompromiss mit unseren Koalitionspartnern.
Wir haben noch Zeit für Kompromisse?
Wir haben mit vielen konkreten Maßnahmen für den Klimaschutz mehr auf den Weg gebracht als jede andere Koalition zuvor. Auch das ist das Ergebnis von Verhandlungen und Kompromissen, ohne die eine Demokratie nicht funktioniert.
Trotzdem ist das neue Klimaschutzgesetz Augenwischerei. Sektoren mit hohen Emissionen haben keine Anreize, diese zu senken, weil die Werte mit den niedrigeren aus anderen Bereichen verrechnet werden.
Die Bundesregierung hat es geschafft, dass das Klimaziel 2030 wieder erreichbar ist. Auch wenn der Verkehrsbereich deutlich hinterherhinkt. Wir bringen vieles auf den Weg, aber es braucht eine breite gesellschaftliche Bewegung, nicht nur für den Klimaschutz, sondern eben auch für Umwelt- und Naturschutz.
Ihr Vertrauen in die Zivilgesellschaft in allen Ehren, aber auch die Klimaaktivisten konnten nicht verhindern, dass das Klimaschutzgesetz verwässert wurde. Die Umweltschutzbewegung wäre davor auch nicht gefeit.
Ohne den Druck aus einer starken Zivilgesellschaft hätten wir viele Meilensteine für den Umwelt- und Klimaschutz niemals geschafft. Natürlich fordern einige in der Zivilgesellschaft noch mehr ein. Und genau das ist auch wichtig, damit die Politik weiter angetrieben wird und Regelungen auf Kosten der Natur verhindert werden.
In Brandenburg, wo auch die Grünen regieren, hat das aber nicht so gut funkioniert. Das Bundesland ist so trocken wie sonst keine Region in Deutschland – trotzdem wurde dort die Tesla-Fabrik genehmigt.
Die rechtliche und fachliche Bewertung der Wasserverfügbarkeit machen die Behörden in der Region. Grundsätzlich ist der Schutz unseres Grundwassers eine große Herausforderung. In den vergangenen 20 Jahren haben wir in Deutschland so viel Wasser verloren wie in den Bodensee passt. Wir müssen also dringend nachhaltiger mit unseren Wasserressourcen umgehen. Mit dem Beschluss der Nationalen Wasserstrategie durch die Bundesregierung haben wir hier einen ganz wichtigen Schritt nach vorne gemacht.Tesla Umweltunfälle 11.00
Woran denken Sie?
Das beste Wassersparprogramm ist der Atom- und Kohleausstieg – diese Industrien braucht enorm viel Wasser. Wir müssen darüber hinaus gezielt Vorsorge betreiben, wie Wasser in Dürrezeiten genutzt werden kann. Das wird wegen des Klimawandels in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ein immer drängenderes Thema werden. Auch damit die Folgen der Klimakrise und die notwendigen Anpassungen stärker ins Bewusstsein rücken, werbe ich für ein Engagement im Umwelt- und Naturschutz, gerade auch unter jüngeren Menschen.
Warum geht dem Naturschutz der Nachwuchs aus?
Der Generationswechsel ist auf jeden Fall eine große Herausforderung für die Umweltbewegung und die Umweltbehörden. Ich möchte dazu beitragen, dass wir wieder mehr junge Menschen für ein Engagement und eine Karriere im Naturschutz begeistern. Die Klimaschutzbewegung hat gezeigt, wie es gehen kann. Sie hat Millionen junge Menschen für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen motiviert.
Wir brauchen sie alle: Rampensäue und Nerds.
Was haben Fridays for Future, die Letzte Generation und Co. anders, vielleicht sogar besser gemacht?
Naja, diese beiden Bewegungen sind ja schon sehr unterschiedlich … Fridays for Future haben eine starke Kampagnenfähigkeit gezeigt, sie werben nicht mit langfristigem Engagement, sondern bieten aktivistische Formate. Sie sind vielfältig, offen und breit aufgestellt. Außerdem geht es bei ihnen sehr stark um globale Klimagerechtigkeit und die Rettung der Welt. Die Klimabewegung ist getragen von jüngeren Menschen, insbesondere Frauen. All das spricht jüngere Menschen an.
Gibt es bei den Umweltschützern auch Ikonen wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer?
Zumindest solche, die dazu werden könnten. In den Naturschutzorganisationen aber auch in den sozialen Medien gibt es echte Naturschutz-Influencer, die mit ihren Inhalten sehr viele Menschen erreichen. Wir brauchen sie alle: Menschen, die Aktivismus können und Personen, die schon seit Jahrzehnten Feldvögel kartieren, Rampensäue und Nerds, alt und jung. Aber bisher gibt es nicht die eine Galionsfigur, sondern viele engagierte Menschen, vor allem in den Verbänden. Wer weiß, vielleicht ist die Luisa Neubauer des Naturschutzes schon dabei.