Autorin und Influencerin Marlene Hellene: "Wir haben alle diese Kinder, die im Supermarkt am Boden liegen und nach Duplo schreien"
Neid, Angst, Wehmut, Wut, Liebe – und immer wieder ein schlechtes Gewissen: Viele Mütter stehen unter Druck und erleben täglich eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Die Autorin Marlene Hellene weiß, was dabei hilft.
Mit viel Witz und einer guten Prise Wut kommentiert die Influencerin und Autorin Marlene Hellene die Themen Elternschaft und Erziehung im Netz und in ihren Büchern. Ihr neuestes Buch handelt vom Spagat der Muttergefühle zwischen Liebe und Erschöpfung. Dem stern verrät sie, was ihr hilft, wenn das schlechte Gewissen plagt.
Warum braucht es denn ein Buch speziell über Muttergefühle?
Müttern wird nicht gern zugestanden, dass sie auch andere Gefühle haben außer Mutterliebe. Damit geht ein schlechtes Gewissen einher: Sobald man so etwas wie Neid, Müdigkeit oder auch Wehmut nach früher spürt, kommt irgendein Karlheinz und sagt: "Du hast es doch so gewollt, und das musst du jetzt jede Sekunde genießen!" Ich finde es wichtig, darüber zu reden und vielleicht sogar Absolution zu erteilen, dass jedes Muttergefühl normal ist und seine Daseinsberechtigung hat.
Kinderbuchautorin zu Kate und Krebs 20.15
Das heißt, diese Schuldgefühle kommen von außen?
Viel entsteht durch diesen Mutter-Mythos, der besagt, dass die Mutterliebe alles trägt. Mütter sollen gut gelaunt in der Küche stehen und den Kindern nur tolle Sachen bieten. Das ist total perfide, denn wenn Mütter nicht perfekt sind, sieht es gleich so aus, als würden sie nicht genug lieben. Das ist das Schlimmste, was du einer Mutter vorwerfen kannst, dass sie nicht genug für ihre Kinder tut. Mütter werden einfach knallhart bewertet.
Sie haben selbst zwei Kinder. Wann haben Sie den Druck zum ersten Mal gespürt?
Als meine Tochter erst wenige Wochen alt war, musste sie wegen einer Kleinigkeit zum Arzt, und mein Mann hat das übernommen. Er kam dann leicht erbost wieder und erzählte, dass die Arzthelferin wissen wollte, wo denn die Mutter sei und was er denn jetzt machen würde, wenn das Baby Hunger hat. Er war sauer, weil sie ihn als inkompetent angesehen hat, aber mich hat das wahnsinnig schockiert. Diese Frau hat mir suggeriert, dass ich mein Kind im Stich gelassen habe. Das hat mich unglaublich geschmerzt, und ich hab mir geschworen, dass mir das nicht wieder passiert. Also habe ich alles gegeben, war immer präsent, bis ich völlig erschöpft war. Und dann hab ich gemerkt: Der Fehler liegt doch gar nicht bei mir! Der Fehler liegt doch daran, wie die Gesellschaft Mütter sieht! Und dann bin ich so wütend geworden. Warum behandeln wir Mütter so, obwohl die gerade so viel für die Gesellschaft tun? Die sind völlig am Ende, hoch empfindsam und sorgen mit ihrer Arbeit dafür, dass es die Menschheit weiter gibt. Über diese Wut kam dann mein Schreiben.
Was hat Ihnen geholfen, sich davon frei zu machen?
Das zu verstehen, ist schon mal der erste Schritt. Die anderen machen es ja nicht besser! Wir haben alle diese Kinder, die im Supermarkt auf dem Boden liegen und nach Duplo schreien. Es gibt niemanden, der es perfekt macht.
In welchen Situationen bekommen Sie heute ein schlechtes Gewissen als Mutter?
Wenn ich mit meinen Kräften am Ende bin und mir nicht zum fünften Mal irgendeinen Witz anhören oder ein Brettspiel spielen möchte, weil ich keine Lust habe und meine Ruhe will. Dann befällt mich im Nachhinein oft ein schlechtes Gewissen. Andererseits bin ich mittlerweile echt weit gekommen, und kann mir innerlich sagen: So ist halt das Leben, und das gehört dazu, und wir können ja darüber sprechen. Meine Kinder kennen mich und wissen, dass das nichts an meiner Liebe zu ihnen ändert. Wir müssen keine perfekten Supermütter sein, unsere Kinder sollen wissen, dass wir halt auch mal keine gute Laune haben. Wir können nicht jeden Tag den Ponyhof bieten! Das müssen wir uns einfach auch erlauben.
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Viele Mütter stehen unter Druck, weil sie alles richtig machen wollen. Wie sieht denn eine richtige Erziehung Ihrer Meinung nach aus?
Das ist eben das Schwierige, dass alles so wahnsinnig schwammig ist. Es gibt, glaube ich, kein offizielles Richtig und Falsch, weil man da bei sich bleiben und überlegen muss: Was tut mir und meiner Familie gut? Vielleicht ist es in anderen Familien super, wenn die keinen Fernseher besitzen, aber für unsere Familie passt das nicht. Kinder sind totale Individuen, das lässt sich schwer vergleichen. Wichtig ist, dass wir Kindern auf Augenhöhe begegnen und sie als vollwertige Menschen behandeln. Wenn wir ihnen klar machen: Hier ist dein Zuhause, ich liebe dich, und bei mir bist du richtig, dann ist das schon mal ein sehr, sehr guter Weg.
Wie schaffen Sie das im Alltag?
Ich kommuniziere ziemlich viel mit meinen Kindern, auch schon als sie kleiner waren. Sie sollen wissen, wenn ich zum Beispiel gestresst bin oder wenn ich schlechte Laune habe. Das gehört zu einer Beziehung dazu. Ich entschuldige mich dann, und wir überlegen gemeinsam, wie es in Zukunft besser laufen könnte.
Der Titel Ihres Buches spielt auf diese Zwiegespaltenheit an: Die Liebe zu den Kindern einerseits und die Herausforderungen der Erziehung andererseits. Wie gehen Sie damit um?
Bevor ich Mutter wurde, konnte ich mir nicht vorstellen, wie komplex das alles ist, und was das emotional mit einem macht. Mir hat mal jemand gesagt: "Du musst akzeptieren, dass es die Gleichzeitigkeit der Gefühle gibt." Und das hat mir schon wahnsinnig geholfen. Einfach, dass ich mir klar mache, dass das so sein darf. Man darf gleichzeitig alles scheiße und alles wunderbar finden. Das ist möglich und es ist erlaubt. Ich wünsche mir, dass mein Buch für Mütter ein Stück Erleichterung bietet.