Der Wordsplainer erklärt Anglizismen: Warum "Bullshit" gar nicht von Kuhmist kommt – und was der Papst damit zu tun hat
Wer es sagt, beklagt meistens den Mist der Anderen: Die Herkunft des Wortes Bullshit erscheint klar, gemeint ist die Scheiße der Kuh. Oder etwa doch nicht?
Achtung! Dieser Text könnte das sein, wovon er handelt: Effekthascherei mit Halbwissen, Fachgeschwurbel, Allgemeinplätzen – und mit englischen Wörtern wie Bullshit.
Kaum ein Word ist beliebter unter Besserwissern, die das Leben als Wettbewerb um Meinungen und Interpretationen betrachten und sich bemühen, geistreich zu punkten. Nur wenig Widerspruch ist mit derselben unflätigen Erregung okay: "That's bullshit" – das ist doch Bullshit!
Wer es sagt, beklagt meistens den Mist der Anderen: scheinheilige Ausreden, windige Argumentationen, leere Versprechungen – zu allem Überfluss oft großspurig und anmaßend vorgetragen.
Woher kommt Bullshit eigentlich?
Die Kritik mag berechtigt sein, doch ist auch Selbstkritik geboten! Je komplizierter und deutungshungriger die Welt wird, desto mehr wird Bullshit zum Mainstream. Jeder schwimmt irgendwann darin.
Dabei ist Bullshit keine Kuhscheiße, die irgendwann eine Umdeutung erlebte und als Lehnwort in die hybridsprachige Gegenwart gespült wurde.
Die Suche nach dem Ursprung führt nicht unbedingt zu den Exkrementen von Rindviechern. Wahrscheinlicher ist die Abstammung vom englischen Wort bull, das im 16. Jahrhundert aufkam – und ohne shit auskam. Bull könnte wiederum altfranzösischer Herkunft sein, um "Fehler", "Unsinn" und "Widersprüche", "Prahlerei“, "Lüge", "Betrug", "Hohn" und andere Gaunereien zu beschreiben. Oder es könnte der Verspottung offizieller Briefe (mit Siegel) gedient haben, sogenannter bulls.
Steht Bull für päpstliche Bullen?
Diese Lesart würde ins protestantische England passen, wo die Bullen des katholischen Papstes unbeliebt waren. Auch gibt es seit dem Ersten Weltkrieg Hinweise, dass britische Offiziere das perfekte Erscheinungsbild der Uniform meinten, wenn sie von Soldaten bull verlangten. Bullshit könnte also militärischer Jargon für übertriebenen Ordnungssinn, für ein unverhältnismäßiges Zeremoniell und für die Führung im Allgemeinen entwickelt haben. Doch so verlockend das alles klingt, es sind Spekulationen – und womöglich Bullshit.
Belegt ist eine andere Geschichte. Sie stammt aus Nordamerika, wo gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein dickflüssiger Brei als bullshit bezeichnet – und schon mit "B.S." abgekürzt – wurde. Er quoll während der Ölgewinnung aus den Fässern.
Belegt ist auch, dass der in den USA geborene und später in England lebende Autor T. S. Eliot 1915 das Gedicht "The Triumph of Bullshit" schrieb. Der englische Autor Wyndham Lewis schickte es dem US-amerikanischen Autor Ezra Pound, der längst mit dem Iren James Joyce über "bullshit" korrespondierte.
Ein Prozess in der Kommunikation
Bullshit diente also der englischsprachigen Elite als kräftiger Fluch. Anzüglich reimend und vorzüglich selbstironisch riet T.S. Eliot den Damen, sie sollten sich sein "impotentes, affektiertes und wahrscheinlich nachgeplappertes Geschwafel in den Arsch schieben".
Sucht man nach der heutigen Bedeutung von Bullshit, ist mehr zu diskutieren, als die Redaktion des Duden notiert: "Unsinn, etwas Dummes, Ärgerliches, Abzulehnendes".
Brauchbarer ist das Oxford English Dictionary, das über das Verb to bullshit schreibt: "sich durchmogeln, indem man Unsinn vor-/von sich gibt". Das Cambridge Dictionary geht weiter: Bullshit diene dazu, "bewundert zu werden". Es wird nicht von einem einzelnen Wort ausgegangen, sondern von einem Prozess. Bullshit ist Form der Kommunikation.
Dieser Prozess erfordert einen Sender und einen Empfänger: der eine produziert Bullshit, der andere muss ihn entlarven. Bleibt der Bullshit unerkannt, wird er arglos verbreitet – exponentiell versteht sich. Es ist schließlich ein viraler Prozess.
Wie Boot Camps ohne Boots
Es war der US-amerikanische Philosoph Harry Frankfurt, der die Weltöffentlichkeit im Jahr 1986 vor den pandemischen Konsequenzen warnte: "Ein bemerkenswertes Merkmal unserer Kultur besteht darin, dass es so viel Bullshit gibt. Jeder weiß es. Jeder trägt seinen Teil dazu bei. Aber wir nehmen es hin."
Um dem geistigen Mist nicht auf den Leim zu gehen, sind dieselben mündigen Menschen gefordert, die den Gehalt von Politik oder die Qualität von Waren beurteilen, bevor sie sich als Wähler oder Konsumenten entscheiden. Sie wissen, dass Bullshit dort lauert, wo man ihnen etwas weismachen oder verkaufen will. Und sie verstehen, dass Worte oft nur ein Trick sind. Er besteht darin, die Wahrheit mit phantasievollen Sprachbildern zu dramatisieren, um Spannung erzeugen, wo keine ist, und Lust zu machen, wo sonst keine wäre. Denken wir an "Boot Camps" ohne Boots, "Sorry" ohne Reue oder an eine Konferenz, die sich "Online Marketing Rockstars" nennt, weil "Online Marketing" alleine furchtbar langweilig wäre.
Wer die Wahrheit nicht kennt, kann gar nicht lügen
Die Moral des Senders betreffend, hat Frankfurt zwischen Lüge und Bullshit unterschieden. Kennen Lügner die Wahrheit, die sie absichtlich unterschlagen, ist sie dem Bullshitter fremd. Und wer die Wahrheit nicht kennt, kann gar nicht lügen. Er erfindet sie.
So wie ein Schüler ohne Kenntnis, der in einer Prüfung irgendetwas sagt. Er hofft, dass Bullshit besser bewertet wird als – nichts! Aus Angst zu schweigen oder ein leeres Blatt abzugeben, bedient er sich einer Form der Selbstverteidigung, die Harry Frankfurt "ausweichenden Bullshit" nennt. Weil der Schüler darüber hinaus eine optimale Note bekommen will, wird er außerdem "überzeugenden Bullshit" fabrizieren: unaufrichtige Behauptungen, um zu punkten.
Wieviel Bullshit jeder einzelne Mensch im Leben von sich gibt, lässt sich freilich nicht pauschal beantworten. Kamen einst nur Götter und ihre selbstherrlichen Stellvertreter auf Erden ungestraft davon, können herausragende Schüler des Bullshit in unserer Welt reich und mit demokratischer Mehrheit gewählt werden. Irgendwo regiert immer irgendeiner von ihnen. Einer, der Angst vor der Leere hat.