Bahnstreik: Weselsky hat recht – auch wenn er nervt und das Land lahmlegt
Claus Weselsky muss sich anhören, er wolle ein "Schlaraffenland". Nein, die Bahnvorstände leben im Schlaraffenland. Eine weitere Stunde weniger Arbeit bei vollem Lohnausgleich ist nicht zu viel verlangt. Arbeitskampf muss wehtun.
Vor Corona hätte mir Herr Weselsky mit seinem Streik das Leben schwer gemacht. Ich wäre nicht zur Arbeit gekommen. Und von der Arbeit nicht nach Hause. 15 Jahre war ich Berufspendlerin. Gut 60 Kilometer morgens mit dem Regionalexpress zur Arbeit. Abends zurück. Vor Jahren harrte ich vier Stunden in der Lounge aus, wartete darauf, dass ein Zug fuhr. Die Bahn streikte. Ob es 2007 oder 2011 war, weiß ich nicht mehr. Am Ende mietete ich mich in einem Hotel ein. Es wurden teure Tage.
Dank "Teams", "Big Blue Button" und wie die Programme alle heißen, sind viele Pendler nicht mehr auf die Bahn angewiesen. Streikt mal schön. Wir arbeiten derweil im Homeoffice. Ärgerlich an diesem Streik ist nur, dass Weselsky ihn nicht mehr ankündigen will, sodass sich die Bahn keinen Notfallplan mehr einfallen lassen kann. Die Bahn solle "kein zuverlässiges Verkehrsmittel" mehr sein, droht Weselsky. Mit Verlaub: Das ist die Bahn schon lange nicht mehr.
Diskussion um Claus Weselsky: Bahnleute schlafen oft nicht im eigenen Bett
Trotzdem hat er in der Sache recht. Inzwischen geht es ja – Weselskys Denkfehler mit eingerechnet – um eine strittige Arbeitsstunde. Eine 35-Stunden-Woche ist den Bahnleuten, die nach einem langen, anstrengenden Tag keine Garantie haben, im eigenen Bett zu schlafen, zu gönnen. Auch bei vollem Lohnausgleich. Nur eine faktische Vier-Tage-Woche gibt den Bahnleuten die Chance, mal ein bisschen Zeit mit ihrer Familie zu verbringen.
Reportage Lokführer
Weselsky muss sich nun anhören, er wolle ein "Schlaraffenland". Er sei "unfair" und "rücksichtslos". Warum sagt das niemand den Bahnvorständen? Die Vorstandsetage der Bahn ist ein echtes Schlaraffenland. Ihr Chef Richard Lutz erhielt 2022 satte 1,2 Millionen Boni – so viel wie viele Arbeitnehmer in diesem Land ein Arbeitsleben lang nicht verdienen. Die anderen Bahnvorstände kassierten sechs- bis siebenstellige Summen. Wofür eigentlich? Dafür, dass die Bahn immer unpünktlicher wird? Im realen Arbeitsleben müssen Minderleister mit Abmahnung und Kündigung rechnen. Selbst Leute, die brav und gut ihren Job machen, bekommen im normalen Arbeitsleben nie auch nur einen Cent Boni.
Diskussion um Bahnstreik: Arbeitnehmer sind am Drücker
Deshalb: Ja. Weselsky nervt. Aber er hat recht. Jahrzehnte hatten in diesem Land die Arbeitgeber die Macht. Es gab zu viele Arbeitskräfte. Die viel gescholtene Boomer-Generation hatte es nicht so gut, wie Generation Z glaubt. Wir waren viele, entsprechend konnten die Arbeitgeber die Arbeitnehmer über Jahrzehnte ausbeuten. Deshalb verdienen zum Beispiel Pflegekräfte (die meisten sind Frauen) heute noch viel zu wenig. Die Masse hat die Preise verdorben. Damit ist jetzt Schluss. Die Arbeitnehmer sind am Drücker. Der demografische Wandel besorgt die Revolution.
Das gilt auch für die Bahn. In den nächsten zehn Jahren geht dort 60 Prozent der Belegschaft in den Ruhestand – also über die Hälfte der Leute. Neue Kräfte müssen her, die Loks steuern, Fahrkarten kontrollieren oder im Bistro den Kaffee servieren. Der Job ist hart. Am Ende kommt die Bahn nicht darum herum, die Arbeitsplätze attraktiver zu machen. Eisenbahner sollten wieder ausnahmslos Beamte werden, dann dürfen sie auch nicht mehr streiken.
Für Leute, die auf die Bahn angewiesen sind, weil sie nicht im Homeoffice arbeiten können, ist der Streik ärgerlich. Er wird dazu führen, dass noch mehr Menschen ins Auto steigen, weil sie von der Bahn die Nase voll haben. Das ist schlecht für das Klima. Aber das steht auf einem anderen Blatt.