Bund-Länder-Treffen zur Migration: Scholz und die Länderchefs: Warum das nächste historische Kapitel eher dünn ausfällt
Die Länder sind noch uneins, der Bund recht selbstzufrieden. Kanzler Scholz und die Ministerpräsidenten treffen sich erneut zum Migrationsgipfel. Was ist zu erwarten?
Lange hat's gedauert, aber das hat Geschichtsschreibung wohl so an sich. Er glaube schon, sagte ein bettreifer, aber nicht weniger selbstsicherer Bundeskanzler Olaf Scholz um halb drei Uhr morgens, "dass das hier ein sehr historischer Moment ist".
Bund und Länder hatten sich in politischer Schwerstarbeit auf eine Verschärfung der Migrationspolitik verständigt, insgesamt 17 Stunden dauerten ihre Verhandlungen an. Am Ende des 7. Novembers 2023 standen eine Reihe von Einzelmaßnahmen, wie eine Bezahlkarte für Asylbewerber oder beschleunigte Rückführungen von Menschen ohne Bleiberecht. Und ein zufriedener Kanzler: Alle Ebenen des Staates hätten zusammengefunden, frohlockte der Regierungschef.
An diesem Mittwoch steht ihr nächstes Treffen zur Migration an, doch ein "sehr historischer Moment" ist nicht in Sicht. Dafür Ministerpräsidenten, die sich noch uneins zeigen, und ein Bundeskanzler, der seinen Teil der Abmachung als erfüllt betrachtet. Kommt es wieder zu einem Hauen und Stechen um das weitere Vorgehen?
Olaf Scholz sieht die Länder in der Pflicht
Ausgetragen wird der mögliche Showdown in der hessischen Landesvertretung in Berlin, auf Einladung von Ministerpräsident Boris Rhein, CDU, der seit Oktober der Ministerpräsidentenkonferenz vorsitzt. Für zwei Stunden stößt auch Kanzler Scholz zu den Beratungen der Länderchefs, um über die Migrationspolitik zu reden. Angesichts der lautstark vorgetragenen Erwartungen im Vorfeld des Treffens, insbesondere der unionsgeführten Länder, wirkt der Zeitplan ambitioniert.
Zu wenig, zu langsam, zu unwirksam: So ungefähr lässt sich das Klagelied der Christdemokraten zusammenfassen. Angestimmt hatte es unter anderem Gastgeber Boris Rhein. Der hessische Regierungschef will konkrete Ergebnisse sehen und "an alle Stellschrauben ran, um die irreguläre Migration zu begrenzen", sagte er der "Bild am Sonntag". Ihm reichen die bisherigen Maßnahmen offenbar nicht aus. Ebenfalls am Sonntag brachte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wiederholt seine Forderung nach einer "Integrationsgrenze" ein, die deutlich mache, "bis zu welchem Wert" Integration leistbar sei. Ansonsten bestehe die Gefahr von Parallelgesellschaften. Die öffentlichen Wortmeldungen sollen den Druck auf Kanzler Scholz in der Migrationspolitik offenkundig erhöhen.
Skepsis gegenüber Migration wächst7:21
Und der Kanzler? Lässt die Forderungen, die auch parteipolitisch motiviert sein dürften, abperlen. Am Montag teilte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfang Büchner unverblümt mit: "Aus Sicht des Bundeskanzlers sind alle Punkte, für die der Bund zuständig ist, auf den Weg gebracht." Der Kanzler freue sich, "wenn die Bundesländer jetzt nachziehen". Büchner könne "gerne noch ein bisschen aufzählen", was schon alles getan sei.
Übersetzt heißt das: Für weitere Beschlüsse besteht keine Notwendigkeit. Es liegt nicht am Instrumentenkasten, sondern an den Anwendern – also den Bundesländern.
Die sehen das, wenig überraschend, etwas anders. Aber wie genau? Dem Vernehmen nach sind sich die sogenannten A-Länder (von der SPD geführt, inklusive das linksregierte Thüringen) und B-Länder (Union und das grüne Baden-Württemberg) selbst noch uneins, welche konkreten Forderungen sie an den Bund haben. Am Dienstag waren jedenfalls mehrere Beschlussentwürfe im Umlauf, aber noch kein geeintes Papier. Das ist nicht ungewöhnlich, Positionspapiere entwickeln sich so dynamisch wie die Treffen selbst. Ein Beispiel:
In einem Beschlussentwurf vom 4. März, der dem stern vorliegt, wird gefordert, "gegebenenfalls weitere Maßnahmen konsequent umzusetzen", um irreguläre Migration nachhaltig zu begrenzen. Gegebenenfalls weitere Maßnahmen: Das liest sich schon wesentlich weniger bissig, als eine frühere Beschlussvorlage aus Länderkreisen. In einem Papier vom 26. Februar wurde noch eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen ausbuchstabiert, die es umzusetzen gelte. Unter anderem sollte die Liste der sicheren Herkunftsstaaten um Algerien, Armenien, Indien, Marokko und Tunesien erweitert werden. Dieser Punkt taucht in der Version von Montag nicht mehr auf.
Was nicht bedeutet, dass der Punkt in den Gesprächen nicht zur Sprache kommt oder wieder Einzug in ein Abschlussdokument finden könnte, möglicherweise auch als Protokollnotiz. Im Grunde genommen ist nichts in Stein gemeißelt, ebenso wenig, ob am Ende der Beratungen überhaupt ein einvernehmlicher Beschluss steht.
So zeichneten sich am Dienstag durchaus unterschiedliche Erwartungen der Länder an das Treffen ab. Vor allem Vertreter der SPD zeigen sich weniger forsch als die unionsgeführten Länder, schlagen deutlich versöhnlichere Töne an. Schließlich haben die Genossen kein Interesse daran, ihren eigenen Kanzler als untätig dastehen zu lassen.
"Immer nur harte Linien zu markieren, hilft nur den Populisten"
Zwar sei seit dem letzten Treffen vieles vorangegangen, lobte etwa Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. "Manche Entscheidungen müssen allerdings erst noch umgesetzt werden beziehungsweise noch greifen", sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Folglich sieht auch Weil noch gewissen Nachholbedarf, insbesondere bei der Sicherung der EU-Außengrenzen. Jedoch würden polarisierende Diskussionen "über neue Forderungen, bevor auch nur die Wirkung der getroffenen abschätzbar sind", nicht helfen. Das kann als Wink an die Union verstanden werden, einen Gang runterzuschalten.
Auch Thüringens Innenminister Georg Maier, SPD, mahnt mehr Sachlichkeit an. Seit der Ministerpräsidentenkonferenz im November seien in der Migrationspolitik viele Fortschritte erzielt worden, sagte Maier dem stern. So seien etwa weitere Migrationsvereinbarungen geschlossen und Binnengrenzkontrollen eingeführt worden. "Sich allein auf mehr Rückführungen zu versteifen, wie es vor allem die CDU-Länder tun, hilft uns hingegen nicht weiter."
Mehr als 1,1 Millionen Asylanträge in Europa8.30
Es sei genauso wichtig, dass die Reform des EU-Asylsystems endlich in Kraft trete oder Asylsuchende schnell in Arbeit kommen. "Ich rate allen Beteiligten, so sachlich wie möglich über die Migrationspolitik zu beraten", sagte Maier. "Immer nur harte Linien zu markieren, statt Lösungen zu präsentieren, hilft nur den Populisten."
Der eigentliche Konflikt besteht also darin, wie sich die Länder zum Bund in der Migrationspolitik positionieren. Welche Maßnahmen haben sich als wirksam erwiesen, wo muss nachgebessert werden? Wie zu hören ist, sind sich die Ministerpräsidenten aller Parteien über den Erfolg der Binnengrenzkontrollen weitestgehend einig.
Konfliktstoff könnte hingegen die Frage bergen, ob Asylverfahren künftig in Transit- oder Drittstaaten durchgeführt werden können. Die Union ist dafür, die SPD sehr skeptisch. Schon beim November-Treffen hatte das Thema für schwere Störungen im Betriebsablauf gesorgt. Die Präsentation der gemeinsamen Länder-Position musste um mehrere Stunden nach hinten verschoben werden. Schließlich einigte man sich darauf, dass die Bundesregierung entsprechende Verfahren prüfen werde – mit einem Ergebnis ist an diesem Mittwoch allerdings nicht zu rechnen.
Ein Vorzeichen für einen "historischen Moment", wie ihn Kanzler Scholz beim letzten Bund-Länder-Treffen zur Migration erlebt haben will? Eher nicht. Auch ein umnachteter Regierungschef ist nicht zu erwarten.
Ursprünglich sollte das Treffen der Ministerpräsidenten am Donnerstag ohne den Kanzler stattfinden. Durch die Terminverlegung kommt Scholz nun doch an den Konferenztisch, aber nur zum Tagesordnungspunkt "Gespräch der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder mit dem Bundeskanzler zur Flüchtlingspolitik". Für zwei Stunden. Das nächste gemeinsame Bund-Länder-Treffen ist für Juni vorgesehen.