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2024

Regierung in der Krise: Hält die Ampel bis zum Ende? Acht Experten und Expertinnen wagen eine Prognose

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Die Regierungskoalition taumelt von einem Streit zum nächsten. Hält sie oder zerbricht sie vor dem Ende der Legislatur? Der stern hat acht Politikwissenschaftler befragt.

Kein Blatt Papier sollte zwischen SPD, Grüne und FDP mehr passen. Das schworen sich die Koalitionäre bei ihrer Klausur in Meseberg im vergangenen Spätsommer. Doch die ausgerufene Harmonie hielt nicht. Inzwischen wirken die Ampelpartner zerstrittener denn je. Es kursieren Vorwürfe, Papiere, politische Fremdgehfantasien. Wie lange geht das noch gut? Hält diese Regierung wirklich durch bis zur Bundestagswahl im Herbst 2025? Eine Umfrage unter acht Polit-Profis zeigt: Die Einschätzungen gehen auseinander.

"Das gebietet schon die Staatsräson"

Andrea Römmele (56) ist Professorin für Politikwissenschaft an der Hertie School in Berlin:

"Ja, die Ampel hält bis 2025. Das gebietet schon die Staatsräson – auf die auch Herr Steinmeier schon hingewiesen hat (mich hat das übrigens an 2017 erinnert …). Ein Ende der Koalition würde auch der AfD in die Hände spielen nach dem Motto: Seht, sie kriegen es wirklich nicht hin. Für die SPD bietet diese Koalition die einzige Machtoption, die FDP bangt gerade um die parlamentarische Existenz, die Grünen müssen daran arbeiten, das (unberechtigte) Image der Verbotspartei loszuwerden. Jeder hat also noch seine eigenen Motive."

Andrea Römmele
© Imago Images

"Es mangelt an Alternativen"

Hans Vorländer ist Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der TU Dresden:

"Alle Beteiligten verlieren, wenn die Koalition jetzt zerbrechen würde. Sie verlieren auch, wenn sie bis zum Ende durchhalten. So etwas nennt man Dilemma. Die Partei mit den größten Existenzsorgen ist dabei die FDP. Lässt sie jetzt die Koalition platzen, begeht sie Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Macht sie weiter, droht ihr das gleiche Schicksal wie 2013, als sie bei der Bundestagswahl aus dem Parlament flog.

Die SPD steckt in einer ähnlich schwierigen Lage. Gäbe sie jetzt die Ampel auf, stünde sie vor massivem Stimmenverlust. Hielte sie durch, verliert sie das, was Scholz ihr 2021 brachte: einen überraschenden Erfolg. Denn Scholz zieht nicht mehr. Daher quält die SPD die Frage, ob sie noch in dieser Legislatur den Kanzler austauscht. Das ist aber unwahrscheinlich, weil Boris Pistorius als Kandidat der Umfragesympathien nicht von allen Strömungen in der Partei getragen wird. Die SPD ist durch Scholz groß geworden, jetzt wird sie durch ihn auch wieder klein. 

Deshalb ist nicht zu erwarten, dass es zum vorzeitigen Ende kommt. Zumal es an Alternativen mangelt: Die Union wird nicht als Juniorpartner in eine Große Koalition gehen. Und Jamaika, da müssten die Grünen mitmachen, sehe ich nicht. Also kann nur ein wirklicher Relaunch der Ampel allen Beteiligten helfen. 

Übrigens: Die Grünen kämen wohl relativ unbeschadet aus der Koalition, ihre Wählerschaft bliebe ihnen treu verbunden."

Hans Vorländer

"Die Untergangsängste der FDP nehmen zu"

Ursula Münch (63) ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München sowie Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing am Starnberger See: 

"Vor wenigen Wochen noch hätte ich gesagt: die Ampel hält bis zum Ende der Legislatur. Inzwischen sehe ich das anders. Sie wird voraussichtlich nicht halten. Begründung: Die Untergangsängste der FDP nehmen hörbar immer weiter zu, die Dissonanzen in der Regierung werden immer vielfältiger.

Aber: Die FDP wird meines Erachtens die Ampel nur dann verlassen, wenn sie nicht mit einer Auflösung des Bundestages (Vertrauensfrage) rechnen muss – also sich keine Sorgen um bald anstehende Neuwahlen machen muss. Und das setzt voraus, dass die SPD einen anderen Koalitionspartner sucht und findet, nämlich die Union. Also ein bedingungsvolles Nein meinerseits."

Ursula Münch
© Sven Simon/Imago

"Die Ampel wird auf einen Aufbruch im Frühjahr setzen"

Karl-Rudolf Korte (65) ist Professor an der Universität Duisburg-Essen am Campus Duisburg und seit 2006 Direktor der NRW School of Governance:

"Die Ampel hält, weil auch das Grundgesetz stabilitätsfanatisch ausgelegt ist. Vorzeitige Auflösungen von Regierungsbündnissen waren bislang sehr selten, weil es grundgesetzlich sehr voraussetzungsvoll ist.

Außerdem: Die Ampel wird auf einen Aufbruch im Frühjahr 2025 setzen – kaum Inflation, steigende Wirtschaftsdaten, das Klimageld wird an jeden Haushalt ausgezahlt, jeder Beschäftigte freut sich über höhere Löhne, die ausgehandelt wurden. Die internationale Sicherheit ist noch mehr im Zentrum als zur Zeit. Und auch das stabilisiert automatisch jede Exekutive."

Karl-Rudolf Korte
© Imago Images

"Die FDP wäre in ihrer Existenz gefährdet"

Constantin Wurthmann (31) ist Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg: 

"Die Ampel hält, weil die Mehrheiten durch eine Neuwahl nicht einfacher werden und die FDP in ihrer Existenz gefährdet wäre. Anstatt immer nur aufeinander einzuschlagen, braucht die Ampel nur langsam mal eine Erzählung dessen, was sie wirklich gut macht."

Constantin Wurthmann

"Halte ein baldiges Ende für möglich"

Albrecht von Lucke (57) ist Diplompolitologe und Journalist bei der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik":

"Unter normalen Umständen müsste der Kitt der Macht die Koalition bis zum Ende zusammenhalten, und zwar ganz besonders die FDP: Denn der mögliche Selbstmord (bei einer vorgezogenen Neuwahl) aus Angst vor dem Tode ist nicht besonders attraktiv. Mittlerweile ist allerdings der Druck aus der Wirtschaft auf die FDP so groß, genau so wie die Sehnsucht nach einem Ende der Ampel innerhalb der Partei, dass ich ein provoziertes, vielleicht sogar baldiges Ende aufgrund unvereinbarer ökonomischer Positionen durchaus für möglich halte."

Albrecht von Lucke
© Imago Images

"Keine der Parteien kann Interesse an Neuwahlen haben"

Julia Reuschenbach (36) ist Politikwissenschaftlerin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin:

"Ich gehe davon aus, dass die Koalition bis zur Bundestagswahl 2025 bestehen bleibt, denn keine der beteiligten Parteien kann in der aktuellen Situation ernsthaft Interesse an Neuwahlen haben. Allerdings muss sie – wie es schon vielfach angekündigt wurde – dringend ihre Zusammenarbeit verbessern. Es braucht untereinander und nach außen eine bessere Kommunikation und vor allem nachhaltige Geschlossenheit nach Entscheidungen. Ansonsten droht allen drei Parteien, vor allem aber SPD und FDP, dass sie für die Koalition an den Wahlurnen 2024 und 2025 einen hohen Preis bezahlen."

Julia Reuschenbach
© Imago Images

"Die Absage von Friedrich Merz war nicht klug"

Uwe Jun (61) ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier: 

"Die Unzufriedenheit in der FDP ist greifbar. Aber man muss den richtigen Zeitpunkt zum Ausstieg finden. Otto Graf Lambsdorff hat die SPD damals mit einem Papier so provoziert, dass sie die FDP aus der sozialliberalen Koalition herausschmeißen musste. So etwas wäre durchaus nochmal denkbar. Die Landtagswahlen im Herbst könnten da zum Moment werden, der die Diskussion neu belebt. Die Absage von Friedrich Merz an eine schwarzgelbe Koalition vor wenigen Tagen war vor diesem Hintergrund nicht klug. Damit trägt Merz eher dazu bei, dass sich die Ampel stabilisieren kann. Sollte er Kanzlerkandidat der Union werden, erhöht das die Chancen, dass die Ampel bis zum Ende durchhält."

Uwe Jun
© privat