Andreas Brehme ist tot: Als Lothar Matthäus kniff, wurde er zum Helden
Andreas Brehme ist tot. Fußball-Deutschland trauert um eins seiner prägenden Gesichter und den Siegtorschützen im WM-Finale 1990 gegen Argentinien. Für den größten Moment seines Fußballerlebens brauchte Andreas Brehme nur fünf Schritte Anlauf: Es ist die 85. Minute im Stadio Olimpico di Roma. Elfmeter für Deutschland. Zwischen seinem ersten Schritt und dem erlösenden zweistimmigen "Jaaaaaaaaa" der Kommentatoren Gerd Rubenbauer und Karl-Heinz Rummenigge steht die Zeit still. Zwischen seinen strammen Rechtsschuss und den Pfosten passt keine Zeitung. Ein paar Momente später ist Deutschland Weltmeister, und der Fußballer Andreas Brehme geht in die Geschichte ein. Mit den Begriffen "Held" und "Legende" soll man vorsichtig umgehen. Bei ihm sind sie erlaubt, denn um diesen Elfmeter und seinen Schützen ranken sich Geschichten, die Fußballfans bis heute an ihre Kinder weitergeben. Damals 1990 in Argentinien steht es kurz vor Schluss 0:0. Die Verlängerung droht. Das Tor der giftigen Argentinier scheint wie vernagelt zu sein. Das Endspiel steht auf der Kippe. Jede Sekunde kann der göttliche Diego Maradona zuschlagen und Deutschlands Traum vom Titel mit einem Geniestreich beenden. Als Rudi Völler im Strafraum über ein argentinisches Bein fällt und Schiedsrichter Méndez aus Mexiko auf den Punkt zeigt, muss sich jemand diesen Ball nehmen. Und die ganze Last. Vor dem Spiel hatte Teamchef Franz Beckenbauer drei mögliche Schützen festgelegt: Rudi Völler, aber der Gefoulte soll – alter Fußballer-Aberglaube – nicht selbst schießen. Lothar Matthäus , aber der wollte nicht. Er kniff, behaupten die einen bis heute. Der neue Schuh drückte, sagen die anderen. Andreas Brehme hat die Geschichte immer so erzählt: "Der Lothar hat sich nicht wohlgefühlt." Er selbst hat sich in diesem Moment vermutlich auch nur so mittelmäßig gefühlt, als die Hoffnungen eines gesamten Landes auf seinen recht schmalen Schultern lasteten. Rudi Völler soll ihm vor dem Strafstoß noch zugeraunt haben: "Andi, wenn Du den reinmachst, sind wir Weltmeister". Man merkt: Mentaltrainer gab es damals beim DFB noch nicht. Und Brehme brauchte auch keinen. Der Rest ist Geschichte. Schon bevor Brehme an diesem 8. Juli in Rom zum Helden wird, ist er ein Star. Allerdings auf Umwegen. Geboren in Hamburg, träumt er 1980 natürlich von einer Karriere beim HSV , doch nach dem Probetraining bietet ihm Manager Günter Netzer nur einen Job im Reserveteam an. Brehme sagt ab, Felix Magath vermittelt ihn in die 2. Bundesliga zum 1. FC Saarbrücken. Dort bleibt er nur ein Jahr. Es ist zu deutlich, dass Verein und Spielklasse zu klein für sein riesiges Talent sind. Er ist technisch außerordentlich, kann in der Abwehr jede Position spielen und ist schon beidfüßig, als das Wort noch nicht erfunden war. In Kaiserslautern wird er Aushängeschild und Nationalspieler, sehnt sich aber zurück nach Hamburg. Es wird wieder nichts für den Jungen aus Barmbek. 1986 wollen ihn die Münchner Bayern und bezahlen zwei Millionen Mark Ablöse für ihn – damals der teuerste Transfer der Bundesliga-Geschichte. In München wird er Deutscher Meister und zieht zwei Jahre später weiter über die Alpen. Bei Inter Mailand bildet er gemeinsam mit Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann den deutschen Kern einer Mannschaft, von der die Stadt bis heute schwärmt. Er wird Italiens Fußballer des Jahres und gewinnt den Uefa-Cup. Nach einem glücklosen Gastspiel in Saragossa kehrt er 1993 im Herbst seiner Karriere zurück nach Kaiserslautern, steigt mit der Mannschaft ab, verschiebt deshalb sein Karriereende, um wieder aufzusteigen. 1997 wird er sensationell mit den Lauterern noch einmal Deutscher Meister. 1998 tritt er ab, und formuliert das so: "Ja gut, ich sach ma, es war eine schöne Zeit. Und jetzt, ich sach ma, ist Schluss." Ein echter Brehme. Der gelernte Maschinenschlosser erlebt nach der Karriere nicht nur gute Zeiten. Das Geld aus den fetten Münchner und Mailänder Jahren fließt in mehrere Firmenbeteiligungen. Nicht alle sind erfolgreich. Sein Sohn Ricardo bricht 2009 mit 16 Jahren in der Schule zusammen: Herzstillstand. Er überlebt knapp, die Angst um ihn prägt Andreas Brehme, erzählen Freunde. Die Ehe mit seiner Frau Pilar zerbricht kurz darauf. Es wird stiller um den Star von Rom, und was sie noch von ihm hören, macht seine Fans nicht glücklich: Brehme verdingt sich für ein Videoportal, das für ein paar Euro Grußbotschaften von Prominenten verhökert. Er macht Schlagzeilen, als er in einem der Schnipsel einem "Alfred" zum 80. Geburtstag gratuliert und nicht bemerkt, dass seine Lebensgefährtin hinter ihm halbnackt durchs Bild huscht. Die traurige Aufnahme geht viral. Freunde sorgen sich immer mehr um ihn. Bei der Trauerfeier für Franz Beckenbauer wirkt er ungesund aufgedunsen. Über das Thema Alkohol hatte Brehme recht offen gesprochen, seit er 2010 mit 1,75 Promille am Steuer erwischt worden war. In der Nacht zu Dienstag ist Andreas Brehme gestorben. Herzstillstand, so ist zu hören, ganz plötzlich. Über Franz Beckenbauer hat Brehme nach dessen Tod gesagt: "Ich denke, im Himmel wird er mit Pelé und Maradona ein magisches Dreieck gründen." Sollten die drei einen Elfmeter zugesprochen bekommen, wissen sie ja jetzt, wer ihn schießen kann.