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Январь
2024

Trend aus den USA: "Push Presents" als Lohn für die Geburt? "Kinderkriegen ist keine Dienstleistung"

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"Push Presents" sind teure Geschenke, die Frauen nach der Geburt erhalten. Das soll Wertschätzung ausdrücken. Jede Mutter hat Anerkennung verdient, meint Familienpsychologin Nina Grimm. Dazu braucht es aber ganz andere Dinge als einen Brillantring. 

"Nennt es meine Gebärmutterhals-Gebühr", schreibt eine schwangere Frau unter ihr TikTok-Video. Neben ihrem Babybauch, der sich unter dem rosafarbenen Kleid deutlich abzeichnet, zeigt sie auch ihr "Push Present": Als Dank dafür, dass sie ein Mädchen zur Welt bringen wird, hat ihr Partner ein Haus gekauft. Ein "Push Present" (auf Deutsch "Press-Geschenk") ist genau das, wonach es sich anhört: Ein Präsent, das der Mann seiner Partnerin macht, nachdem sie das Baby "herausgedrückt" hat. 

Die Geste – ein Trend aus den USA – soll Anerkennung und Wertschätzung für die Schwangerschaft ausdrücken. Eine großartige Idee, meint Familienpsychologin Nina Grimm: "Die Tatsache, dass Frauen dafür honoriert werden, dass sie ein Kind zu Welt gebracht haben, finde ich richtig und gut." Trotzdem seien "Push Presents" aus mehreren Gründen kritisch zu sehen. "Die Kommerzialisierung, die damit einhergeht, finde ich katastrophal", sagt Nina Grimm. 

Hauptsache teuer und luxuriös

Zwar sind Geburtsgeschenke in unserer Gesellschaft ein etablierter Brauch. Dabei dreht es sich aber eher um das Neugeborene, das von Verwandten und Freunden mit Strampelanzügen, Rasseln und Baby-Decken überschüttet wird. "Push Presents" hingegen sind glamouröse und teure Geschenke für die Mutter – ein Brillantring, Diamant-Ohrringe, eine Louis Vuitton-Tasche. 

Push Present TikTok

In extremeren Fällen, die die "New York Times" in einem Artikel über das Phänomen aufzählt, kann es auch ein Swimming Pool, eine eigens angefertigte Metallskulptur oder Brustimplantate sein. Prominente und reiche Influencer bekommen eher Autos oder Immobilien. Promis waren es auch, die den Trend verbreitet und populär gemacht haben. Bereits 2015 präsentierte Kim Kardashian auf Twitter ihre Millionen-Dollar-Halskette als "Push Present" – und animierte damit zahlreiche Schwangere, sich ebenfalls luxuriöse Präsente zu wünschen. #PushPresent wurde zum Social-Media-Phänomen. 

"Push Present" sind ein Social-Media-Phänomen

Soziale Medien spielen eine zentrale Rolle bei der Kommerzialisierung von Schwangerschaft, sagt Nina Grimm. Nahezu jede Frau, die sich ein Kind wünscht, recherchiert bei Instagram und TikTok über das Muttersein. Schwangere Influencerinnen stellen eine verzerrte Realität zur Schau und schaffen unrealistische Erwartungen an die Geburt. In diese Kategorie fällt auch das "Push Present". Die Familienpsychologin erklärt: "Wenn man auf Top-Influencerinnen stößt, die alle ein 'Push Present' bekommen, prägt das natürlich."

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Bei einer Umfrage des US-amerikanischen BabyCenter aus dem Jahr 2007 gaben 55 Prozent der 30.000 befragten Frauen an, dass sie ein "Push Present" erwarten. Darüber berichtete unter anderem die "New York Times". Der Anteil dürfte heute deutlich höher ausfallen. Ein Juwelier aus Philadelphia erzählte dem "Inquirer" vergangenes Jahr, dass 80 Prozent der Kunden, die Eheringe kaufen wegen eines "Push Presents" in seinen Laden zurückkehren. 

Hierzulande verhelfen Magazine und Online-Portale dem Konzept zu Beliebtheit. Zahlreiche Ratgeber-Artikel liefern Geschenkideen für "Push Presents" und geben Aufschluss über den besten Zeitpunkt für die Übergabe (wobei Uneinigkeit darüber herrscht, ob man der Mutter das Präsent noch im Kreißsaal oder in einem ruhigen Moment im Anschluss überreicht).

Mütter sehen sich nach Wertschätzung

"Bei jeder größeren Etappe im Leben – Geburtstag, Schulabschluss, Hochzeit – ist es üblich, eine Form von Geschenk zu erhalten. Das ist weit verbreitet in unserem Kulturkreis und wird jetzt auch auf dieses Ereignis übertragen", erklärt Nina Grimm. Viele Frauen, besonders Mütter, sehnen sich ungemein nach Anerkennung, sagt die Familienpsychologin: "Weil sie in einer Gesellschaft leben, die Elternschaft überhaupt nicht honoriert. Es hat auf sozialpolitischer Ebene nur Nachteile, wenn man ein Kind bekommt." Aus diesem Grund seien "Push Presents" so beliebt: "Der Brillantring ist eine Verkörperung dessen, wonach sich jede Mama sehnt." 

Paarberaterin und Familienpsychologin Nina Grimm ist selbst zweifache Mutter. Ihr Buch "Wie ihr euch NICHT umbringt, wenn ihr Kinder habt" erschein im März.
© Nina Grimm

Grundsätzlich sei es eine gute Idee, Wertschätzung für die Mutter auszudrücken. Der Geschenke-Trend deute auch darauf hin, dass in der Gesellschaft eine wachsende Sensibilität dafür besteht, was die Schwangerschaft für eine Frau bedeutet. "Dass es für eine extreme Belastung ist, dass man hart arbeiten muss und es ein Riesen-Erfolg ist, wenn man ein Kind zu Welt gebracht hat." Das zu würdigen sei die richtige Richtung. 

Ob es dazu aber ein teures "Push Present" braucht, ist fraglich. Allein schon wegen des Begriffs, der sich auf die letzte Phase der Geburt, auf das Pressen, beschränkt. "Was ist zum Beispiel mit einer Frau, die einen Kaiserschnitt hatte? Die das Kind nicht 'rausgepresst' hat? Darf sie kein 'Push Present' bekommen?", kritisiert Nina Grimm. Auch aus feministischer Sicht sei der Ausdruck problematisch. "Weil die Mutter reduziert wird auf eine Gebährmaschine, die vom gütigen Gönner dafür honoriert wird, dass sie ihre Arbeit gemacht hat". Der "Gönner" – der Mann, der sich die Gedanken gemacht und das Geschenk organisiert hat – stehe dabei automatisch gut da. 

Falscher Fokus vor und während der Geburt

Das, was wirklich wichtig ist – das Baby – droht in den Hintergrund zu geraten. "Alles, was es bräuchte, ist ein glückseliges Paar, das voller Liebe und Hingabe das Baby bestaunt", betont die Familienpsychologin. Stattdessen verschiebe sich der Fokus vom "Wunder, das gerade passiert ist" hin einem materiellen Gut. Oder wie es die "New York Times" ausdrückt: "Früher betrachteten frischgebackene Mütter ihre Babys als das größte Geschenk, das man sich vorstellen kann. Heute wünschen sie sich wahrscheinlich einen konkreten Bonus." Dabei entstehe "eine abstruse Beziehungsebene zu dem Kind", findet die Expertin.

Es kann die Mutter emotional von ihrem Neugeborenen trennen, wenn sie dieses als eine Dienstleistung betrachtet, für die sie bezahlt oder beschenkt wird. Die Erwartung eines Geschenkes kann außerdem eine zusätzliche Belastung für die Partnerschaft bedeuten. "Wenn man schwanger wird, ist man mit unfassbar vielen Fragen konfrontiert. Körperliche Veränderungen, Erstausstattung, Schwangerschaftskurs", zählt Nina Grimm auf. 

Das "Push Present" sei ein weiteres To-Do auf der langen Liste. Eine Erledigung, die in den Augen der Familienpsychologin eine komplett falsche Richtung einschlägt. "Wenn man ein Kind bekommt, sollte man sich mit ganz anderen Themen beschäftigen."

Stress ist das einzige, worauf man sich einstellen kann

Die vielen Sachen, die Eltern vor der Geburt kaufen, geben ihnen zwar das Gefühl, dass sie perfekt auf das Baby vorbereitet seien. In der Realität ist Kinderkriegen laut Nina Grimm eine Wundertüte: "Man weiß nie, was man bekommt". Lediglich auf zwei Dinge könne man sich ziemlich sicher einstellen: Stress und Schlafmangel. "Deswegen besteht die wichtigste Vorbereitung darin, dass man überlegt, wie man als Paar damit umgeht."

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Dass Geschenke Wertschätzung signalisieren, sei ohnehin eine Illusion. Ein teures "Push Present" ist eine große Geste, die aber keinen langfristigen Effekt hat, meint die Psychologin. Bedeutsamer für eine gelungene Paarbeziehung und das Leben als Familie sei der tägliche Umgang miteinander und die kleinen Gesten. Das kann ein Geschenk sein. Ein Präsent, über das sich der Partner ernsthafte Gedanken gemacht hat. "Etwas, das zeigt: Ich schätze das Wunder, das du gerade vollbracht hast. Ich sehe, dass eine besonders vulnerable Zeit auf dich zukommt. Und ich habe mir Gedanken gemacht, was wirklich hilft."

Dauerhafte Unterstützung ist wichtiger als ein Brillantring

Viel nötiger sei jedoch die Frage: "Wie kann ich dir in stressigen Alltagssituationen signalisieren, dass ich dich wertschätze?" Was Mütter nach der Geburt am meisten brauchen, seien Verschnaufpausen und Unterstützung. Sinnvoll wären deshalb pragmatische "Geschenke", etwa ein Abo für einen Essenslieferservice oder eine Haushaltshilfe für die ersten Wochen. Oder dass der Partner sich freinimmt und in den Alltag einbringt; kocht, putzt, Termine organisiert, das Baby nimmt, damit die Mutter duschen kann – und dass er aus ehrlichem Interesse nachfragt, wie es der Partnerin geht und womit er unterstützen kann. 

Im besten Fall wird daraus ein Dauerzustand. "Mental Load und Care Arbeit lasten normalerweise auf den Schultern der Mütter", sagt Nina Grimm. Dass Männer einen Teil davon abnehmen, sei das, was viele Frauen sich am meisten wünschen. "Wenn das täglich passiert, zahlt das viel mehr auf das Beziehungskonto ein und macht und langfristig glücklicher als ein Brillantring."

Quellen: "New York Times" (I), "New York Times" (II), "Philadelphia Inquirer"