ZDF-Dauerbrenner: "Nord Nord Mord" ist ein Quotenhit: Oliver Wnuk und Regisseur Sven Nagel verraten das Erfolgsgeheimnis
Die Krimireihe "Nord Nord Mord" läuft seit knapp 14 Jahren im ZDF und hat sich zu einem Quotenhit auf dem Sendeplatz am Montagabend entwickelt. Warum schalten so viele ein?
Ein Mann sitzt im Autozug nach Sylt und öffnet das Handschuhfach. Die Hintergrundmusik lässt schon vermuten, dass darin kein Matjesbrötchen liegt. Stattdessen … eine Pistole. Davor auf dem Sitz: ein Foto von einem älteren Herrn, der, das weiß jeder, der schon mal "Nord Nord Mord" geguckt hat, kein Unbekannter ist. Es ist Hauptkommissar Sievers! Wie bitte? Was hat der Mann mit der Pistole bloß mit dem beliebten Kripomann aus Westerland zu tun?
Viele Fragen, die böse Ahnung, dass es demnächst eine Leiche gibt und hübsche Bilder von der Insel Sylt: Fertig sind die Grundzutaten für die ersten Minuten einer der erfolgreichsten TV-Serien des ZDF. Seit fast 14 Jahren ist die Krimireihe "Nord Nord Mord" mittlerweile erfolgreich. Die letzte Folge am 18. Dezember schalteten mehr als 8,57 Millionen Zuschauer ein. Der Marktanteil lag bei 30,7 Prozent. Und das in Zeiten, in denen es auf Streamingdiensten wie Netflix oder Amazon Prime Filme und Serien im Überfluss gibt. Es scheint fast so, als wollten die TV-Zuschauer lieber bei betulichen Küsten-Krimis miträtseln, als dabei zuzuschauen, wie in internationalen Formaten à la "Squid Game" einer nach dem anderen abgeknallt wird.
Dass das Morden im Norden eine nahezu magnetische Anziehungskraft auf die Zuschauer ausübt, ist nicht neu. In der ARD läuft "Nord bei Nordwest" mit ähnlichem Erfolg, in den dritten Programmen sorgen etwa "Morden im Norden" oder der Dauerbrenner "Großstadtrevier" für solide Quoten. Doch anders als vermutet sind es bei "Nord Nord Mord" nicht nur die Älteren, die sich die Krimis ansehen. Selbst in der Altersklasse der 14-49-Jährigen schalteten zuletzt immerhin 10, 2 Prozent ein. Warum ist "Nord Nord Mord" so erfolgreich?
Keine zerstückelten Leichen, kein Maschinengewehr, kein Alkohol
Eine Frage, die man sich inzwischen auch am Set stellt. Sven Nagel hat bei zwei der Krimis Regie geführt, auch die aktuelle Folge mit dem mysteriösen Sievers-Foto, die am 8. Januar ausgestrahlt wird, hat er in Szene gesetzt. Eine seiner Erklärungen für den Quotenerfolg: die Familientauglichkeit. "Bei uns werden keine zerstückelten Körperteile im Koffer gefunden oder Menschen mit einem Maschinengewehr durchsiebt", sagt er. "Außerdem wird so gut wie gar nicht mehr geraucht und kaum Alkohol getrunken."
Doch das allein kann es nicht sein. Wer sich freundliche Ermittler ohne Maschinengewehre mit alkoholfreiem Bier ansehen will, kann es sich auch bei den "Rosenheimcops" gemütlich machen oder einen Starnbergkrimi anschauen. Warum also gerade "Nord Nord Mord"?
Die vierte Hauptdarstellerin heißt Sylt
Womöglich liegt es daran, dass es neben den drei Hauptakteuren Peter Heinrich Brix, Oliver Wnuk und Julia Brendler noch eine vierte Hauptdarstellerin gibt: die Insel Sylt. Die Reetdachhäuser und Dünenlandschaften gehören zu "Nord Nord Mord" wie der meist als Fiasko inszenierte Flirt zwischen den Kommissaren Hinnerk Feldmann (Wnuk) und Ina Behrendsen (Brendler). Es ist zu vermuten, dass sich unter dem ZDF-Publikum jede Menge Sylt-Liebhaber befinden, die den Krimi in Wahrheit vor allem wegen der Landschaft angucken.
Nagel stört das nicht. Im Gegenteil, die Begeisterung für die Reihe ist dem Regisseur durchs Telefon anzuhören. Er findet es "charmant", wie viele Schaulustige sich bei den Dreharbeiten auf Sylt tummeln. "Aus Köln bin ich es gewohnt, dass Passanten mittlerweile eher genervt von Filmteams sind, weil in der Stadt so viel gedreht wird", sagt er. Ein Mord auf Sylt sieht eben auch einfach schöner aus als in Köln.
Auch Hauptdarsteller Oliver Wnuk schwärmt von dem Format. Die Kollegen nennt er seine "Familie". Und er ist nach wie vor begeistert von der "vierten Hauptdarstellerin". Er könne immer noch nicht glauben, wie schön die Nordseeinsel sei, obwohl er mittlerweile schon seit so vielen Jahren auf Sylt dreht.
Klischees, die man sehen möchte
Neben der Familienfreundlichkeit und der Landschaft sorgt auch das Personal und seine liebenswerten Marotten zuverlässig für Wohlfühlatmosphäre vorm Fernseher. Die Konstellation ist gut durchdacht. Die drei Kommissare ergänzen sich perfekt und liefern die Klischees, die Zuschauer erwarten. Da ist zum einen der Boss Sievers , gespielt von Peter Heinrich Brix. Er gibt sich so, wie man sich einen Hauptkommissar an der Nordsee vorstellt: rau und verschlossen. Gefühlsausbrüche zählen nicht zu seinen Kernkompetenzen. Für das Lachen ist sein Kollege Feldmann zuständig. Wnuk spielt den Tollpatsch, dem das Eis aus der Waffel fällt oder die Hose runterrutscht, und der, wie könnte es anders sein, heimlich in seine kluge Kollegin Ina Behrendsen verliebt ist. Feldmann und Behrendsen wollen sich nicht eingestehen, dass sie etwas füreinander empfinden oder sind sich unsicher, ob sie es sich eingestehen sollten. Und so kabbeln sie sich Folge für Folge.
Man kennt das. Das Paar, das sich eigentlich will, aber nie oder sehr, sehr lange nicht bekommt, ist ein klassisches, uraltes Erfolgskonzept, das sich schon in zahlreichen Serien bewährt hat. Seien es Carrie und Mr. Big in "Sex and the City" oder der Arzt und die Krankenschwester in der RTL-Erfolgsserie "Nikola" aus den späten Neunzigern.
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"Ich denke, dass die Zuschauer Ina und Hinnerk auch deshalb so gerne mögen, weil viele schon mal eine Person in ihrem Leben hatten, die sie sehr mochten, aber aus irgendwelchen Gründen nie direkt darauf angesprochen haben, vielleicht aus Unsicherheit oder falschem Stolz", sagt Regisseur Nagel zu der Erfolgskonstellation.
Wie Wnuk verrät, entstehen viele tollpatschige Szenen mit ihm meist ganz spontan am Set. Eine solche Freiheit beim Drehen sei nur dank der guten Regisseure und Regisseurinnen von "Nord Nord Mord" möglich, betont er. "Viele kennen das bestimmt von ihrem Arbeitsplatz: Man traut sich nur dann, Dinge auszuprobieren und Fehler zu machen, wenn man einen Raum dafür bekommt und nicht verurteilt wird. Unter Druck oder mit Angst entsteht niemals etwas wirklich Lustiges."
Alle Mörder haben etwas gemeinsam
Regisseur Nagel sagt, er versuche, immer entspannt zu sein. Dann würden sich die Leute etwas zutrauen, kreative Ideen einbringen oder Mut für etwas Verrücktes haben. Den ganzen Erfolg will er aber nicht auf die humorvollen Kabbeleien schieben. Schließlich ist "Nord Nord Mord" immer noch ein Krimi.
Alle Mörder, verrät Nagel ein weiteres Erfolgsrezept der Reihe, hätten etwas gemeinsam: "Sie handeln immer aus emotionalen Gründen." Töten nur um des Tötens willen, das wird man bei 'Nord Nord Mord' nicht zu sehen bekommen. Die Zuschauer sollen schließlich in jeder Folge dazu angehalten werden, über das Motiv zu rätseln.
Auch das ist ein kluger Schachzug: So bleibt den Zuschauern neben dem Wohlfühlambiente, dem Schmunzeln und dem Gucken (Sylt!) auch noch ein bisschen was zum Denken.
Klingt fast so, als hätte "Nord Nord Mord" gute Chancen, den Kultstatus des einstigen ZDF-Quotendampfers "Traumschiff" einzunehmen. Das Team zumindest sieht sich schon für die Zukunft gewappnet. "Erfolg macht risikoscheu", sagt Regisseur Nagel. "Deshalb müssen wir uns dazu zwingen, Neues auszuprobieren. Nur so kann sich eine Reihe dauerhaft im Fernsehen halten."
Und wer wissen möchte, was es denn nun mit dem mysteriösen Foto von Hauptkommissar Sievers auf sich hat, sollte am Montag, 8. Januar 2024. um 20.15 Uhr das ZDF einschalten.