"Scharfschützensafari" auf Zivilisten in Sarajevo – Ermittlungen laufen
Während der Belagerung Sarajevos sollen wohlhabende Ausländer hohe Summen gezahlt haben, um als "Wochenend-Scharfschützen" auf Zivilisten zu feuern. Die italienische Justiz ermittelt. Der Vorwurf klingt so unfassbar wie erschütternd: Wohlhabende Ausländer sollen während des Bosnienkriegs gezielt dafür bezahlt haben, auf Zivilisten in Sarajevo schießen zu dürfen – aus Vergnügen. Inmitten der Belagerung der bosnischen Hauptstadt zwischen 1992 und 1995 sollen sogenannte "Wochenend-Scharfschützen" aus westeuropäischen Ländern, darunter Italien , aber auch Deutschland, angereist sein, um an der Front Seite an Seite mit der bosnisch-serbischen Armee zu "jagen". Wie italienische und internationale Medien übereinstimmend berichten, hat die italienische Justiz Ermittlungen dazu aufgenommen. Die Staatsanwaltschaft Mailand untersucht aktuell mehrere Fälle von Mord aus besonders grausamen und niederträchtigen Motiven. Drei italienische Staatsbürger stehen im Fokus der Untersuchungen. Sie sollen während der Belagerung Sarajevos hohe Summen gezahlt haben, um sich dem bosnisch-serbischen Militär anzuschließen – nicht als Soldaten, sondern als Hobby-Scharfschützen. Die Beschuldigten sollen zwischen 1993 und 1995 von Mailand, Turin und Triest aus über Belgrad nach Bosnien gereist sein, unterstützt von Teilen der serbischen Armee. Laut Ermittlern wurden sie mit Hubschraubern oder Fahrzeugen in die Hügel rund um Sarajevo gebracht – also dorthin, von wo aus die Stadt von Scharfschützen terrorisiert wurde. "Es waren viele – nicht nur ein paar Dutzend" Die Ermittlungen wurden im Sommer 2025 aufgenommen, nachdem der Journalist Ezio Gavazzeni gemeinsam mit dem früheren Richter Guido Salvini und dem Anwalt Nicola Brigida eine umfangreiche Strafanzeige eingereicht hatte. Gavazzeni hatte über Jahre hinweg Material gesammelt, darunter Zeugenaussagen, Dokumente und Hinweise auf logistische Abläufe hinter den Reisen der mutmaßlichen Täter. Die aktuelle Berichterstattung beruht derzeit größtenteils auf diesen Erkenntnissen. Laut Gavazzeni handelte es sich nicht um Einzelfälle. "Es waren viele – nicht nur ein paar Dutzend", so der Autor. Weiter behauptete er, "sehr, sehr viele Italiener" seien beteiligt gewesen, ohne jedoch eine konkrete Zahl zu nennen. "Es waren Deutsche, Franzosen, Engländer … Menschen aus allen westlichen Ländern, die hohe Summen zahlten, um dorthin gebracht zu werden und Zivilisten zu erschießen." Die Teilnehmer zahlten angeblich Beträge in der Größenordnung des Kaufpreises einer Dreizimmerwohnung in Mailand. Eine genaue Summe nannte Gavazzeni nicht. Die Täter seien wohlhabende Geschäftsleute, Akademiker und Waffennarren gewesen, heute zwischen 65 und 80 Jahre alt. Ein besonders grausames Detail, das aus den derzeitigen Anschuldigungen hervorgeht, ist, dass die "Scharfschützen" wohl gegen höhere Summen gezielt auf Kinder geschossen haben. Ex-Geheimdienstler bestätigt "Scharfschützen-Safari" Der ehemalige Analyst des bosnischen Militärgeheimdienstes Edin Subašić bestätigte die zentralen Vorwürfe sowohl dem Journalisten Ezio Gavazzeni als auch im Dokumentarfilm "Sarajevo Safari". Nach seinen Angaben erhielt der bosnische Geheimdienst bereits Ende 1993 erste Hinweise auf eine sogenannte "Scharfschützen-Safari". Subašić zufolge wurde der italienische Auslandsgeheimdienst SISMI Anfang 1994 informiert. Dieser habe daraufhin – so Subašić – die Operation innerhalb weniger Monate gestoppt und erklärt, die Aktivitäten aus Italien unterbunden zu haben. Ob es tatsächlich zu einer Intervention des SISMI kam, lässt sich bislang nicht unabhängig überprüfen. Subašić soll in Kürze als einer der Hauptzeugen von der Mailänder Staatsanwaltschaft offiziell vorgeladen werden. Er berichtet zudem, dass noch heute versucht wird, Zeugen zum Schweigen zu bringen, insbesondere durch den serbischen Geheimdienst. Einzelnen Personen sei dabei sogar mit dem Tod gedroht worden. Auch die frühere Bürgermeisterin von Sarajevo, Benjamina Karić, unterstützt die Ermittlungen. Sie hat ebenfalls eine eigene Strafanzeige eingereicht und ihre Bereitschaft zur Aussage vor dem italienischen Gericht signalisiert. Sie fordert eine strafrechtliche Aufarbeitung, auch als Signal an die Opferfamilien und die bosnische Öffentlichkeit. Dokumentarfilm stößt Untersuchungen an Die Ermittlungen in Italien gewannen auch durch die Veröffentlichung des Dokumentarfilms "Sarajevo Safari" von Miran Zupanič an Dynamik. Der Film basiert auf Aussagen eines ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters, der unter der Bedingung der Anonymität über ausländische Männer berichtet, die dafür zahlten, auf Menschen in Sarajevo zu schießen. "Ich sah mit eigenen Augen, wie sie für Geld auf Zivilisten feuerten", sagt der Mann im Film. Während der Film in Sarajevo als Beitrag zur Aufklärung gefeiert wurde, stieß er in der Republika Srpska, der serbisch dominierten Entität Bosniens, auf heftige Ablehnung. Der Vorsitzende eines Kriegsopferverbands serbischer Kämpfer nannte die Aussagen im Film "abscheulich" und eine "Beleidigung für serbische Opfer des Krieges". Zupanič weist den Vorwurf entschieden zurück: Der Film richte sich nicht gegen das serbische Volk, sondern dokumentiere ein Phänomen eines kleinen, elitären Kreises, das aufgearbeitet werden müsse. Die Suche nach Beweisen Laut Edin Subašić soll der italienische Auslandsgeheimdienst SISMI bereits in den 1990er-Jahren entsprechende Hinweise auf die "Scharfschützen-Safaris" erhalten und die Operation wenig später gestoppt haben. Konkrete Belege dafür fehlen bislang. Ein zusätzliches Problem: Der SISMI existiert in seiner damaligen Form nicht mehr. Nach einer Geheimdienstreform im Jahr 2007 wurde der Geheimdienst aufgelöst. Seine Aufgaben wurden an den neu geschaffenen Auslandsgeheimdienst übertragen. Dieser ist heute dem übergeordneten Koordinierungsorgan DIS (Dipartimento delle Informazioni per la Sicurezza) unterstellt. Diese Umstrukturierung könnte es erschweren, die damaligen Abläufe und Verantwortlichkeiten im Detail nachzuvollziehen. Subašić hofft dennoch, dass sich in den Archiven des DIS Hinweise oder Dokumente finden lassen, die seine Aussagen bestätigen. Die Mailänder Ermittlungen erhalten bereits Dokumente vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, nachdem die Anzeige erstattet wurde.
