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Bürokratieabbau: Sie haben es nicht verstanden

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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser, Großes wurde angekündigt, wenig ist zunächst passiert: Bei der als "Entlastungskabinett" ausgerufenen Sitzung am Mittwoch kleckerte die Bundesregierung, statt zu klotzen. Acht Maßnahmen wurden beschlossen – darunter die Abschaffung von Papierleichen, die ohnehin kaum noch einen Menschen betreffen. Kostenersparnis: nur 100 Millionen Euro. 50 weitere "Eckpunkte" wurden für die nächsten Monate festgelegt. Darunter welche, die tatsächlich recht vielversprechend sind. So sollen beim Bauen Vorschriften gestrichen und in mehr als 100.000 Unternehmen Sicherheitsbeauftragte überflüssig gemacht werden. Und mit ihnen Schulungen und Formulare, unter denen Betriebe unnötig ächzen. Allerdings sind "Eckpunkte" in der Politik wie das alljährliche Vorhaben zu Neujahr, jetzt aber wirklich mehr Sport zu treiben: schnell vergessen, wenn einem kein Fitnesstrainer auf den Füßen steht. Friedrich Merz hat sich als Fitnesstrainer Karsten Wildberger ins Kabinett geholt. Der Quereinsteiger aus der Wirtschaft soll für Merz einige zentrale Versprechen erfüllen: massiv Bürokratie abbauen, Milliarden im Haushalt einsparen, die Digitalisierung vorantreiben. Sehr viel zurückhaltender als mancher seiner Kollegen aber äußert sich Neu-Politiker Wildberger mit Blick auf die Erwartungen an ihn. Immerhin drei Milliarden Euro an Entlastungen habe sein Haus in den letzten Monaten schon herausgeholt, sagte er am Mittwoch im Interview bei t-online . Aber: "Es ist eine große Herausforderung." Wildberger hat einigen Grund zu dieser Vorsicht. Denn sein Ministerium befindet sich noch im Aufbau. Schon das Personal muss es aus anderen Ressorts rekrutieren. Solche Häuser laufen gerade in ihrer ersten Legislatur Gefahr, an den eigenen Versprechen zu scheitern. Erinnert sei hier an den bitteren Start des Bauministeriums: Die Ampelregierung schuf es eigens, um den Neubau anzukurbeln und versprach pro Jahr 400.000 neue Wohnungen. Doch dieses Ziel wurde weit verfehlt. Jahr um Jahr um Jahr. Wildberger ist beim Bürokratieabbau maßgeblich darauf angewiesen, dass ihm alle anderen Ministerien zuarbeiten , kooperieren, sich selbst hinterfragen, Gewohntes und Bequemes abstoßen. Das neue Ministerium ist deswegen ein guter Gradmesser für den Willen zur Veränderung im gesamten Kabinett. Denn scheitert Wildberger, scheitert die gesamte Bundesregierung. Das aber scheint mancher von Wildbergers Kollegen noch nicht verstanden zu haben . Für das Entlastungskabinett wurde zum Teil schlicht das geliefert, was nicht schmerzt und wenig hilft. Die Experten des Nationalen Normenkontrollrats warnten am Mittwoch denn auch vor "Symbolpolitik". Es brauche jetzt große, nachhaltige "Paukenschläge" aus jedem Ministerium, "keine Kleinständerungen, die nur gut klingen, aber wenig bewirken". Vor einem "Bürokratieinfarkt" warnte parallel der Hauptgeschäftsführer des Chemieverbands VCI. In Brüssel meldete sich derweil der Europadirektor des Internationalen Währungsfonds (IWF) und beschrieb eindringlich den drohenden Niedergang der Wirtschaft in großen Teilen der EU. "Jeder Monat, in dem Berlin, Paris, Rom, Athen und Co. nicht entschlossen gegensteuern, verschärft in der Zukunft das Problem", kommentiert t-online-Chefredakteur Florian Harms . Das klingt alles alarmistisch? Ist es nicht. Schon jetzt ersticken deutsche Kommunen, Behörden und Unternehmen an der Bürokratie. Das raubt nicht nur Kraft, die ansonsten in Wirtschaft und Gesellschaft investiert würde. Das macht auch wütend. Als im vergangenen Jahr die Bauern wochenlang protestierten und mit Treckern Straßen sperrten, da waren die geplanten Streichungen beim Agrardiesel nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Das Fass aber war gut gefüllt mit: Bürokratie. Viele Landwirte trieb der Ärger darüber, dass sie inzwischen fast so viel Zeit am Schreibtisch verbringen müssen wie auf den Feldern und in ihren Ställen. Bauern müssen Art, Lagerung und Ausfuhr von Dünge-, Pflanzenschutz- und Futtermitteln dokumentieren, Tiergeburten, Stallgröße und Herdenbewegungen melden und so weiter und so fort. Und das teilweise in mehrfacher Ausführung, weil Land, Bund oder EU Ähnliches wollen, so lautet die Kritik. In vielen anderen Branchen ist die Lage ähnlich, es tobt die Regulierungswut. Nur die Dokumente unterscheiden sich. Die aufsehenerregenden Traktor-Proteste brachten die Ampel erheblich in Bedrängnis. Merz' Kabinett sorgte dann vor zwei Monaten dafür, dass ab Januar 2026 der Agrardiesel wieder voll fließen soll. An der Bürokratie aber änderte sich bisher: nichts. Das hat auch damit zu tun, dass die Ministerien eigene Welten sind, die von Gesetzen, Maßnahmen und Normen leben. Sie sind in den Häusern Lebensaufgabe und Lebenselixier zugleich. Hat ein Ministerium nichts mehr zu beschließen, ist es überflüssig. Schon der Selbsterhaltungstrieb verlangt das Gegenteil: mehr davon, immer mehr davon. Die Qualität ist dabei nicht immer allzu entscheidend. Die Bundesregierung macht das gerade sogar bei dem so wichtigen Antrag zur Wehrpflicht vor: Da will das Kabinett unter Zeitdruck eine Vorlage in den Bundestag spucken, bei der Verteidigungsminister, Union und SPD nicht einmal in den basalen Fragen einig sind . Stattdessen soll das Parlament es richten. Die Bundeswehr dankt. Damit die versprochene Großreform zum Bürokratieabbau glückt, bräuchte es einen grundlegenden Mentalitätswechsel. Ein großes Umdenken. Ausgeschlossen ist das nicht, die Hoffnung allerdings ist derzeit gering. Merz' Kabinett scheitert nämlich seit Regierungsstart zuverlässig schon an wesentlich kleineren Aufgaben. Es sei eine "Regierung der Amateure und Novizen", analysiert Christoph Schwennicke in seiner heutigen Kolumne . Das trifft auch auf Wildberger und Merz zu: Merz ist seit Jahren in der Politik, regiert hat er nie. In Wildbergers Position hingegen kann fehlende Erfahrung ihren Charme haben. Der Digitalminister weiß das natürlich selbst, er betont es in Interviews gern. Da sagt er: Er habe einen Vorteil – er komme nicht aus der Politik. Und er habe einen Nachteil – er komme nicht aus der Politik. Soll heißen: Der Selbsterhaltungstrieb der Ministerien ist dem Ex-Manager fremd, im besten Fall sogar befremdlich. Es wäre eine gute Ausgangslage, um aufzuräumen. Immer vorausgesetzt, Wildberger schafft es denn, sich gegen die Polit-Profis durchzusetzen. Das ist schwer genug. Ein Kanzler im Rücken würde da erheblich helfen. Doch Merz benutzt Wildbergers Ministerium bisher eher als Schutzschild nach außen, anstatt die anderen Ressorts nach innen zur sinnvollen Deregulierung anzuhalten. So treibt er die öffentliche Erwartungshaltung gehörig nach oben. Eine gefährliche Dynamik. Bis zum nächsten Entlastungskabinett sollte sich das dringend ändern. Grob in Aussicht gestellt hat die Regierung das natürlich schon. Aber fragen Sie bitte nicht nach einem genauen Termin. Ohrenschmaus Reinhard Mey besang die Härten der deutschen Bürokratie aus Sicht eines ahnungslosen Bürgers schon 1980 in seinem Song: "Ein Antrag auf Erteilung eines Antragformulars". Die richtige Hintergrundmusik für das nächste Entlastungskabinett oder Ihren nächsten Behördengang. Hier können Sie den Song hören . Was steht an? Merz reist nach Brasilien: Bei der Weltklimakonferenz COP30 treffen sich vom 10. bis zum 21. November in der Großstadt Belém Zehntausende Delegierte aus fast allen Ländern der Welt, um über die Eindämmung der Klimakrise zu verhandeln. Vorab kommen Staats- und Regierungschefs, Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bricht am späten Nachmittag von Berlin aus auf. US-Präsident Donald Trump sitzt nicht mehr mit am Tisch. Rechtsextremismus I: Die Friedrich-Ebert-Stiftung stellt um 10 Uhr ihre repräsentative Mitte-Studie vor. Sie gibt eine fundierte Auskunft über die Verbreitung, Entwicklung und Hintergründe rechtsextremer, menschenfeindlicher und antidemokratischer Einstellungen in Deutschland. Rechtsextremismus II: Der NSU ermordete neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin, verübte Dutzende Mordversuche und mehr als zehn Raubüberfälle. Wie viele Menschen die Terrorzelle unterstützt haben, ist noch immer unklar. In Dresden beginnt ab 10 Uhr der Prozess gegen eine mutmaßliche Vertraute der NSU-Terroristin Beate Zschäpe . Sie soll ihr unter anderem ihre Krankenkassenkarte gegeben und den NSU bei der Abholung eines Wohnmobils unterstützt haben. Ost-Ministerpräsidenten in Brüssel: Ziel der Ministerpräsidenten in Brüssel ist es, die Stimme Ostdeutschlands in Europa weiter zu stärken und für die Region in Europa zu werben. Auf dem Plan stehen Gespräche mit EVP-Fraktionschef Manfred Weber und EU-Kommissaren. Lesetipps Seit Tagen streitet die Union über die Syrien-Aussage ihres Ministers Johann Wadephul . In einer Sitzung hinter geschlossenen Türen wollte Wadephul beschwichtigen – doch stattdessen brachte er mit wenigen Sätzen sehr viele gegen sich auf. Was er gesagt hat? Das erfahren Sie im Text von Johannes Bebermeier und Daniel Mützel . Nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 herrschte Hoffnung; Freiheit und Frieden sollten global Einzug halten. Doch diese Hoffnung trog. Was lief falsch? Das erklärt der Schriftsteller Marko Martin im Gespräch mit Marc von Lüpke . Viele Kunden, hoher Umsatz, satte Rendite – bis zur Festnahme: Jetzt steht ein Hesse vor Gericht, auf dessen Plattform fast alles gehandelt wurde, was verboten ist. Lars Wienand berichtet hier über das Netzwerk für Illegales. Zum Schluss Ungewöhnliches Phänomen am Himmel über den USA gesichtet: Ich wünsche Ihnen einen entlasteten Donnerstag. Morgen begleitet Florian Harms Sie wieder in den Tag. Herzlichst Ihre Annika Leister Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online X: @AnnLei1 Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de . Mit Material von dpa. Den täglichen Newsletter von Florian Harms hier abonnieren . Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier . Alle Nachrichten lesen Sie hier .