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Wadephul bringt Merz-Regierung ins Wanken: Wie Kaspar Hauser aus dem Wald

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Johann Wadephul und kein Ende: nach seinen umstrittenen Äußerungen zu Syrien vor Ort verstolperte der Außenminister auch noch einen Auftritt in der Fraktion. Was ist bloß los mit dieser Regierung? Versuch einer systematischen Erklärung. Eigentlich wollte ich diese Woche über einen Fisch schreiben. Einen Fisch, um den noch in der jüngeren Vergangenheit drei Kriege geführt wurden, einen Fisch, der einem Buchtitel zufolge "die Welt verändert" hat. Legendenumwoben. Aber der Kabeljau muss warten. Er muss vorübergehend aufs Trockengestänge. Wird dann nächste Woche als Stockfisch serviert. Jetzt kommt aus gegebenem Anlass Koalition statt Kabeljau auf den Tisch. Wir müssen bei Kaspar Hauser anfangen, auch er sagenumwoben. Der Legende nach tauchte er am 26. Mai 1826 in der Nähe des fränkischen Ansbach als Jüngling aus der Wildnis auf, in der er angeblich die ersten Jahre seines Lebens als Waldmensch zugebracht hatte und bar jeder Sozialisation die Sprache sowie die einfachsten Muster und Regeln des menschlichen Umgangs erlernen musste. Und mit seinem sonderbaren Verhalten alle in der Zivilisation verstörte. Wie Kaspar Hauser aus dem Wald geriert sich dieser Tage Bundesaußenminister Johann Wadephul. In beinahe schon wieder liebenswerter Weise staunt er sich durch die politische Welt und spricht zutiefst redlich und offenbar emotional berührt Dinge aus. Und zwar in einem Trümmerfeld in einem Vorort von Damaskus ebenso unschuldig-unbedarft wie einige Tage später in der eigenen Fraktion. In Syrien übermannen ihn die Gefühle und er sagt, dass man hierher keine Menschen im großen Stil zurückschicken könne. Daraufhin bricht in Berlin ein politischer Sturm los, weil Bundeskanzler Friedrich Merz und sein Innenminister Alexander Dobrindt genau das tun wollen. Merz macht daraufhin ein Brett von Ansage. Was macht Wadephul? Sagt in der Fraktion, dass es in Syrien schlimmer aussehe als in Deutschland 1945. Ich habe in mehr als einem Vierteljahrhundert der Nahbeobachtung von Politik schon viel und viele erlebt. Aber einen wie Johann Wadephul noch nicht. Was er hinlegt, sucht erfolglos seinesgleichen. Und weil man diesem Mann zwar elementaren Mangel an politischem Gespür vorhalten muss, aber sicher keinen bösen Willen, stellt sich übergeordnet und an diesem Fall aufgehängt die Frage: Wieso agiert und regiert diese Regierung bei erkennbar bestem Willen so schlecht? Die kurze Antwort: Weil sie eine Regierung der Amateure und Novizen ist. Fegen wir entlang dieser These die Treppe von oben nach unten und gehen die Stufen einzeln durch. 1. Ein Kanzler ohne Regierungserfahrung Niemand kann Friedrich Merz Willen und Durchhaltefähigkeit absprechen. Wie bleiern müssen sich die 16 Jahre Kanzlerschaft seiner Widersacherin Angela Merkel angefühlt haben, die ihn aus dem politischen Betrieb vertrieben hatte. Und dann kamen auch noch drei weitere Wartejahre Scholz obendrauf. Drei Anläufe brauchte er für den Parteivorsitz. Das muss man erst mal alles stehen und ausfechten. Aber nüchtern betrachtet ist er trotzdem ein relatives Greenhorn, was das Dasein in politischer Verantwortung anlangt. Gute drei Jahre führte Merz mit Unterbrechung die Unionsfraktion, bis Merkel ihn dort wegschubste. Weder war er Bundesminister noch Ministerpräsident, nicht einmal parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion (PGF), eine Rolle, die politisch auch sehr lehrreich ist. Merz hat das Amt des Bundeskanzlers wie eine Art Vorstandsvorsitzender für sich definiert, in der irrigen Annahme, dass man von dort so durchregieren kann wie ein CEO. Das ist nicht der Fall. Angela Merkel hat das einmal in einem Stoßseufzer im Rahmen eines Kinderinterviews zu erkennen gegeben: Dass es mit der Machtfülle eines Kanzlers gar nicht so weit her ist. Was Merz und Wadephul gemeinsam haben Dazu kommt Merz' Impulsivität, die etwas ähnlich Authentisches hat wie jene seines Außenministers. Und immer wieder eben auch die gleichen Folgen zeitigt. Zudem hat Merz immer noch nicht verinnerlicht, dass ein Kanzler nicht die gleiche Phonstärke wählen kann wie ein Oppositionsführer. Weil das Amt wie ein Megafon wirkt, in das man hineinspricht. 2. Das knirschende Getriebe im Kanzleramt Regierungspolitik darf man sich wie einen Verbrennungsmotor vorstellen. Mit ganz vielen Rädchen, großen, kleinen, mittleren. Mit Kurbelwelle, Kupplung, Getriebe. Und mit einem Kolben, der sich in einem Zylinder in oft hohen Drehzahlen auf und ab bewegt. Damit diese Maschine rund läuft, muss sie immer und überall gut geölt sein. Der Ölfilm darf nicht abreißen. Sonst droht der Kolbenfresser. Für diesen Job gibt es Maschinisten. Sie müssen immer ölen. Der oberste Maschinist der Machtmaschine von Merz heißt Thorsten Frei. Und aus irgendwelchen Gründen ölt er nicht richtig, kommt es folglich zum Abriss des Schmierfilms. Ob Merz Frei von Absprachen mit seinem Vizekanzler Lars Klingbeil von der SPD nicht berichtet, oder ob Frei diese wichtigen Informationen nicht umgehend an die Spitzen der Partei, Fraktion und vor allem: alle Unionsministerpräsidenten weitergibt – man weiß es nicht. Fakt ist: Die Infos kommen dort zu oft nicht an. Schlecht. Sehr schlecht. Verwaltungserfahrung als Oberbürgermeister Frei hat der Fraktion drei Jahre als PGF gedient. Und war vorher einmal neun Jahre Oberbürgermeister von Donaueschingen. Es könnte sein, dass das auch nicht genügend Vorbereitung in der Kunst der politischen Verwaltung ist, um den Posten des Kanzleramtschefs erfolgreich auszuüben. 3. Der frisch rekrutierte Regierungssprecher Es ist immer etwas wohlfeil und billig, unzulängliche Kommunikation beim Regierungssprecher, seinen Vizes und dem Bundespresseamt abzuladen. Legionen von Regierungssprechern können davon ein Lied singen. Aber festzuhalten ist eben auch: Erst auf den letzten Metern vor seiner Kanzlerschaft hat Friedrich Merz in dem früheren "SZ"-Journalisten Stefan Kornelius seinen Sprecher gefunden. Sie kannten sich vorher nicht näher. So etwas kann klappen. Bei Ulrich Wilhelm und Angela Merkel war das so. Aber besser ist es, wenn ein Kanzler und sein Sprecher über Jahrzehnte ein so enges Verhältnis zueinander hatten, dass sie im Kopf schon zu siamesischen Zwillingen verwachsen sind, bevor es losgeht. Bei Uwe-Karsten Heye und Gerhard Schröder etwa war das der Fall. 4. Fraktionen voller Frischlinge Es ist noch nicht lange her, da hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner so viele Bundestagsabgeordnete wie noch nie auf einmal aus dem Bundestag verabschiedet. Über 150 an der Zahl. Bei der SPD sitzen elf Novizen unter 120 Abgeordneten. Bei der Union sind es 60 von 208! Selten, wenn je, hat eine Regierung in ihren Fraktionen so viele Frischlinge auf einmal in ihren Reihen sitzen gehabt. Die sich dann auch noch so gebärden. Alleine drei Abstimmungen, beginnend bei der Wahl des eigenen Kanzlers, sind in der kurzen Zeit schon schiefgegangen. Es kann obendrein gut sein, dass die beiden Fraktionschefs Matthias Miersch von der SPD und Jens Spahn von der CDU auch nicht genügend Erfahrung und Autorität mitbringen, so einen "Haufen", wie das im Militärjargon heißt, in Gleichschritt zu bringen. 5. Kanzler und Vizekanzler auf wackligen Stühlen als Parteichefs Friedrich Merz hat eine Menge getan, um aus einer linksliberalen Merkel-CDU eine deutlich konservativere Merz-CDU zu machen. Aber es gibt natürlich immer noch großen Widerstand innerhalb der Partei gegen diesen Kurswechsel, wie zuletzt die Bildung des innerparteilichen Anti-Merz-Klubs "Compass Mitte" gezeigt hat. "Merkels letzte Truppen" titelte dazu ein kundiger Kollege des ZDF . Merkels letzte Truppen Aber sie sind eben noch da und bekommen in regelmäßigen Abständen der öffentlichen Auftritte der Altkanzlerin auch immer wieder neue Nahrung . Kein Auftritt, bei dem Merkel keine Spitze bis Breitseite gegen Merz loslässt. Merz' innerparteiliche Machtbasis ist also noch fragil und brüchig. Jene seines Vizekanzlers Lars Klingbeil ebenso. Mit nur knapp über 60 Prozent der Stimmen haben die Delegierten ihren Vorsitzenden beim jüngsten Parteitag nach Hause und zurück in die Regierung geschickt. Ein Vollmandat sieht anders aus. Und entsprechend vorsichtig muss Klingbeil demzufolge auch auftreten. Um es in einer Parallele zur Merz-Merkel-CDU zu sagen: Klingbeil ist eindeutig einer mittigen "Schröder"-SPD zuzurechnen. Die es aber so gut wie nicht mehr gibt. Wie jenen Fisch, über den ich nächste Woche schreiben werde. Versprochen. Oder schon mal angedroht.