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Merz und Stadtbild – SPD-OB: "Die Hysterie der Debatte ist abwegig"

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Die Debatte über die Stadtbild-Äußerung des Kanzlers reißt nicht ab. Am Wochenende soll es weitere Demonstrationen geben. Doch Merz erhält auch Zustimmung – etwa vom Fürther SPD-Oberbürgermeister Thomas Jung. Angesichts von Kriegen und Krisen könnte man meinen, es gebe Wichtigeres zu diskutieren. Doch mit seiner Äußerung zu Migranten im "Stadtbild" hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) einen Nerv getroffen. Seine Unterstützer loben ihn für den Mut, Probleme der Zuwanderung klar zu benennen. Seine politischen Gegner werfen ihm vor, eine ganze Bevölkerungsgruppe zu markieren. Was auffällt: Unterstützer und Gegner sind nicht klar auf die Parteien verteilt. Während es auch in der Union teils harsche Kritik an Merz gibt, springen einzelne Grünen- und SPD-Politiker dem Kanzler bei. So auch der dienstälteste SPD-Oberbürgermeister des Landes, Thomas Jung. Jung regiert die mittelfränkische Stadt Fürth seit 23 Jahren, bei Wahlen fährt er regelmäßig Ergebnisse von über 70 Prozent ein. t-online: Herr Jung, die "Stadtbild"-Äußerung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) hat die Republik in Aufruhr versetzt. Wie nehmen Sie die Debatte außerhalb der Berliner Blase wahr? Thomas Jung : Merz hat eine Wortwahl gewählt, die Menschen, die unser Land bereichern, verstören und verletzen kann. Das war ein Fehler, der nun schwer wieder einzufangen ist. Zugleich ist die Hysterie der Debatte abwegig. Friedrich Merz hat ein Gefühl ausgesprochen, das viele im Land teilen. Wer das leugnet, leugnet die Realität. Welches Gefühl meinen Sie? Das Gefühl, das viele Menschen haben, wenn sie durch gewisse Viertel in manchen Städten laufen, in denen kaum Deutsch gesprochen wird, Leute offenbar keiner geregelten Arbeit nachgehen und wo es vermehrt zu Straftaten kommt. Wenn sich die Menschen nicht wohlfühlen oder sich fragen, ob das noch Deutschland ist, verstehe ich das. Das Gefühl haben im Übrigen nicht nur Töchter, wie Merz das nahelegt, sondern viele Menschen. Merz hat die Probleme im "Stadtbild" auch in Zusammenhang mit Abschiebungen gestellt, die jetzt vermehrt stattfinden sollen. Das ist ein Problem. Man sieht Menschen doch nicht an, ob sie sich in die Gesellschaft einbringen. So einen Zusammenhang herzustellen, hat bisher nicht einmal die AfD gebracht. Außerdem sendet es die völlig falsche Botschaft: Die Vorstellung nämlich, dass man durch mehr Abschiebungen etwas am Stadtbild ändern könne. Das ist eine Illusion. Wir haben über 200.000 Ausreisepflichtige in Deutschland, selbst wenn man die alle abschiebt, würde sich das Stadtbild nicht groß ändern. SPD-Chef Lars Klingbeil hat Merz indirekt vorgeworfen, das Land zu spalten. Hatte er recht mit seiner ungewöhnlich scharfen Attacke? Nein, ich hätte mir eine andere Reaktion gewünscht. Wahrheiten muss man in einer Demokratie aussprechen dürfen, sonst stärkt das die extremen Ränder. Die Rhetorik des Kanzlers war missverständlich, das muss man in der Tat kritisieren. Aber die SPD ignoriert die Tatsache, dass viele Menschen das so empfinden. Bei der Debatte geht es auch um die Frage, wie die demokratische Mitte mit der immer stärker werdenden AfD umgehen soll. Merz hat sich für eine klarere Ansprache der Probleme im Land entschieden. Der SPD-Ministerpräsident von Brandenburg, Dietmar Woidke, geht einen Schritt weiter: Er hält eine Zusammenarbeit mit der AfD für denkbar, sobald diese ihre Extremisten hinauswerfe. Was halten Sie davon? Das ist grober Unfug. Woidke beschreibt eine AfD, die es nicht gibt. Gerade in Brandenburg gilt die AfD als gesichert rechtsextrem. Dasselbe könnte man über Putin sagen: Wir könnten doch wieder gut mit Putin auskommen, solange er auf der Welt Frieden stiftet. Tut er aber nicht. Und ebenso schmeißt die AfD auch ihre Extremisten nicht raus, weil diese längst in den Kern der Partei vorgedrungen sind. Die AfD ist, wie sie ist. Also weiter Brandmauer. Aber bröckelt die nicht gerade überall, gerade in den Kommunen? Die gelebte Praxis in den Kommunalparlamenten ist tatsächlich eine andere. Bei mir in Fürth gibt es regelmäßig parteiübergreifende Entscheidungen, die auch von der AfD mitgetragen werden. Weit über 90 Prozent der Entscheidungen im Fürther Stadtrat werden einstimmig getroffen, inklusive der Stimmen von AfD bis Linkspartei. Das sind aber Sachfragen, etwa über Friedhofsgebühren, den Neubau einer Schule oder die Sanierung des Theaters. Die AfD-Stimmen sind für Sie kein Problem? Überhaupt nicht. Ich baue doch nicht deshalb einen Radweg nicht, weil die AfD zustimmt. Wer auf kommunaler Ebene eine Brandmauer hochziehen will, verkennt die Lebenswirklichkeit. Auch sind die AfD-Kommunalpolitiker in Fürth Personen, die im Stadtrat unauffällig agieren. Gibt es auch Mehrheitsentscheidungen, die auf die Stimmen der AfD angewiesen waren? Die gab es, aber sehr selten. Auch das ist aber für mich kein Problem. Man kann niemandem verbieten, sinnvollen Vorschlägen zuzustimmen. Was es hingegen nicht gibt, ist eine Zusammenarbeit im Sinne von Absprachen. Das ist auch nicht nötig, weil es um kommunale Sachfragen geht. Eine neue Ampel für Schulkinder ist weder links noch rechts, sondern sie ist nötig oder eben nicht. Bei der "Stadtbild"-Debatte ging es Kanzler Merz auch darum, ehemalige Unionswähler, die nun AfD wählen, zurückzugewinnen. Auch die SPD klagt seit Jahren über eine Wählerwanderung hin zur AfD. Wie kann man die zurückholen? Die notwendigen Korrekturen in der Migrationspolitik oder beim Bürgergeld, die die neue Regierung eingeleitet hat, sind ein guter Anfang. Mein Problem damit ist: Man muss das auch mutig kommunizieren. Das tut meine Partei leider nicht. Anstatt mit Leidenschaft und Überzeugung dahinterzustehen, versteckt man sich hinter dem Koalitionspartner. Beim Bürgergeld war die SPD in einer verzwickten Lage: 2022 hatte sie es selbst eingeführt, schon drei Jahre später musste sie sich davon distanzieren. Was hätte die Parteispitze anders machen sollen? Wir hätten hier besser das Gefühl in der Bevölkerung aufgreifen müssen. Beim Bürgergeld gab es jahrelangen Missbrauch beim Bezug von Sozialleistungen, auch wenn das nur eine Minderheit betrifft. Doch statt das Bürgergeld klar als Fehler zu bezeichnen und den Wählern glaubhaft zu vermitteln, dass wir daraus gelernt haben, schämt sich die SPD für die Bürgergeldreform. Das überzeugt niemanden. Stattdessen wirken wir wie Getriebene, die Entscheidungen zustimmen, ohne wirklich dahinterzustehen. Die SPD soll doch die treibende Kraft sein, aber jetzt wirkt es so, als hätte die CDU eine Veränderung erkämpft, und die SPD trägt es nur widerwillig mit. Wenn man keinen Erfolg haben will, macht man es genauso. Sie sprechen von notwendigen Veränderungen in der Migrationspolitik durch die Bundesregierung . Aber gerade bei der Aussetzung des Familiennachzugs gab es in der SPD-Fraktion im Bundestag große Vorbehalte. Gibt es einen Spalt zwischen der SPD in der Hauptstadt und in der Fläche? Ich kann das nur aus meiner Erfahrung beurteilen. Ich bin der dienstälteste amtierende SPD-Oberbürgermeister in Deutschland. Ich spreche mit vielen Menschen und mein Eindruck ist: Die Menschen, die die SPD wählen oder wieder wählen würden, wünschen sich einen starken, handlungsfähigen Staat. Keinen, der zurückschreckt oder Rechtsverletzungen aus falscher Toleranz in Kauf nimmt. Bei Strafzetteln ist der Staat konsequent, aber beim Asylrecht nicht? Das versteht niemand mehr. Wir dürfen die sozialdemokratische Idee eines starken Staates nicht allein auf das Soziale verengen. Die SPD muss genauso für einen Staat stehen, der Recht und Gesetz durchsetzt. Innere Sicherheit ist kein Thema der Konservativen und Rechten, sondern auch für SPD-Wähler ein fundamentales Anliegen. Herr Jung, vielen Dank für das Gespräch.