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Wiederholung der Wahl droht: “Das ist ein ganz heikler Punkt”

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Die vorgezogene Neuwahl stellt Behörden und Bürger auf eine harte Probe. Dabei müsste das nicht sein, wenn die Politik sich ein wenig reformbereiter zeigen würde. Wenige Tage vor der vorgezogenen Neuwahl haben viele Deutsche, die im Ausland leben, noch immer keine Briefwahlunterlagen erhalten. Sie werden sehr wahrscheinlich nicht an dem Urnengang teilnehmen können, obwohl diese Wahl von vielen Bürgern als entscheidend wahrgenommen wird. Lesen Sie hier die ganze Recherche von t-online. Bei vielen Wählern sorgt das für Frust. Es droht eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht , im schlimmsten Fall gar eine Wiederholung der Wahl, wie Experten warnen. Der Politikwissenschaftler und Verwaltungsexperte Professor Stephan Bröchler von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) hat nach der Berliner Pannenwahl im Jahr 2021 die Wahlorganisation in der Hauptstadt grundlegend reformiert. Er fordert im Interview mit t-online eine Überarbeitung des Wahlrechts. Politik und Gerichte müssten den veränderten Lebens- und Wahlgewohnheiten der Bürger endlich Rechnung tragen, so der Experte. t-online: Herr Bröchler, Tausende im Ausland befindliche Deutsche bangen derzeit, ob ihre Briefwahlstimme noch rechtzeitig ankommt. Was empfehlen Sie? Stephan Bröchler: Es ist erst mal eine große Hilfe, dass auch die Auslandsvertretungen, also die Konsulate und Botschaften, die Briefwahlunterlagen transportieren. Aber da ist noch Luft nach oben. Das ganze Verfahren könnte man für die Bürger vereinfachen. So weit sind wir noch nicht. Ich rate daher dazu, einen privaten Expressdienst zu nehmen. Also, die Briefwahlunterlagen, wenn man sie überhaupt schon erhalten hat, auf eigene Kosten nach Deutschland zu schicken? Ja, das ist eine Konsequenz aus der politischen Entscheidung, diese vorgezogene Neuwahl abzuhalten. Es ist, um es genau zu sagen, das Ergebnis der politischen Verabredung der großen Parteien, dass man einen frühen Wahltermin – nämlich im Februar – ansetzen wollte. Diese Verabredung geht hauptsächlich auf das Konto von SPD und CDU , die diesen Kompromiss ausgeklügelt haben. Hätte man sich etwas mehr Zeit gelassen, bis in den März, hätten wir die Probleme jetzt nicht. Als Landeswahlleiter muss ich die Entscheidung aber so akzeptieren, wie sie ist. Auch viele Wähler sind nicht gerade glücklich mit dem Termin. Der Termin schafft die von Ihnen genannten Probleme. Er wird daher sicherlich zu Beschwerden beim Wahlausschuss des Deutschen Bundestages führen und später wohl auch noch in Karlsruhe landen. Sie rechnen mit einer Klage gegen diese Wahl vor dem Bundesverfassungsgericht. Ist denn das Wahlgesetz überhaupt noch zeitgemäß? Die Frage nach der Zeitgemäßheit stellt sich. Mit Blick auf die gesetzlich vorgeschriebene 60-Tage-Frist, um eine vorgezogene Neuwahl zu organisieren, sehe ich auf jeden Fall Handlungsbedarf. Die Zeit für Veränderungen ist reif. Welche denn? Die Probleme, gerade bei der Briefwahl aus dem Ausland, resultieren ja aus dem Umstand, dass die 60 Tage dieses Mal abermals gestaucht wurden. Wir haben normalerweise eine Vorbereitungszeit für eine Landtags- oder Bundestagswahl von einem Jahr, und wir haben für die Verschickung der Briefwahlunterlagen ins In- und Ausland normalerweise sechs Wochen … … und dieses Mal nur noch zwei Wochen … Genau. Wenn man ganz genau rechnet, sind es noch nicht einmal vierzehn Tage, sondern nur dreizehn. Müsste das Wahlrecht also nicht eine längere Vorbereitungszeit vorgeben? Das ist genau mein Argument. Es ist interessant, sich mal anzuschauen, wo diese 60-Tage-Frist eigentlich herkommt. Da landet man nicht etwa in der Weimarer Republik, sondern noch viel früher, im Kaiserreich, bei der Reichsverfassung aus dem Jahr 1871. Die Organisation der Neuwahl richtet sich nach einer Regelung aus dem Kaiserreich? Ja, das war ein völlig anderer historischer und parlamentarischer Kontext. Zu dieser Zeit gab es weder eine Briefwahl noch ein Frauenwahlrecht. Das Elektorat, also die Zahl der Wahlberechtigten, war viel kleiner als es heute der Fall ist. Wir arbeiten also hier mit einer Regelung von vorgestern. Was ist ihr Vorschlag? Ich bin für eine 90-Tage-Regelung. Das klingt nicht übertrieben. Nun, die Politik möchte natürlich lieber früher als später zu stabilen Mehrheitsverhältnissen zurück. Das Argument kann ich nachvollziehen. Aus der Perspektive der Wahlorganisation lohnt es sich aber sehr, darüber nachzudenken, von diesen 60 Tagen wegzukommen. Auch, weil es immer mehr Menschen gibt, die im Ausland arbeiten oder dort leben und trotzdem an der Wahl teilnehmen möchten – und zwar durch Briefwahl? Richtig. Man kann von einem Kulturwandel der Wahl sprechen. Wir haben auf der einen Seite eine Veränderung der Wahlgewohnheiten, einen Rückzug ins Private, das betrifft vor allem die Mittelschicht. Früher musste man den Antrag auf Briefwahl noch gesondert begründen; das hat der Gesetzgeber 2008 abgeschafft, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Auf der anderen Seite sehen wir in der Tat ein verändertes Freizeit- und auch Arbeitsverhalten. Das führt dazu, dass wir von der Briefwahl nicht mehr wegkommen. Wir gehen inzwischen immer stärker in Richtung 50 Prozent Briefwahlbeteiligung. Eine enorm hohe Zahl. Das ist eben das, was sich die Bürger und Bürgerinnen wünschen. Deswegen muss man auch über neue Formen der Wahl nachdenken und überlegen, wie man das realisieren kann. In anderen Ländern, etwa der Schweiz, Frankreich und vor allem in den baltischen Staaten, ist das e-Voting längst Realität, also die digitale Stimmabgabe. Warum nicht in Deutschland? Es scheitert daran, dass der Gesetzgeber immer noch davon ausgeht, dass die Urnenwahl der repräsentativen Demokratie am besten entspricht. Die Urnenwahl ist das Leitbild der Wahl, vor allem auch für das Bundesverfassungsgericht. Das ist natürlich ein sehr normativer Standpunkt, und es gibt viele gute Gründe, die dafürsprechen, aber eben auch einige, die dagegensprechen. Welche Gründe sprechen dafür? Die allgemeinen Lebensverhältnisse und die Art und Weise, wie wir abstimmen, haben sich stark verändert. Dem sollte auch das Verfassungsgericht Rechnung tragen, indem es sich zumindest mit der Frage der Wahlorganisation noch einmal eingehend beschäftigt. Das ist etwas, das ich mir wünschen würde. Nun gibt es bei vielen Menschen und auch Politikern immer noch Bedenken, was die Sicherheit der digitalen Stimmabgabe betrifft. Ja, wir haben das bei den vergangenen Präsidentenwahlen 2020 in den USA gesehen. Wahlen werden zunehmend politisiert und die Wahlorganisation wird parteipolitisch vereinnahmt. Das ist ein ganz heikler Punkt, denn die Organisation einer Wahl ist der Anker der Demokratie. Wenn die Wahlen nicht ordnungsgemäß funktionieren, fehlt dem Parlament und der Regierung die demokratische Legitimation. Die Sicherheit einer Wahl ist also das alles Entscheidende – und dieses Problem ist beim E-Voting bei Weitem noch nicht gelöst. Woran hapert es? Weil zwischen Stimmabgabe und Registrierung meiner Stimme ein Algorithmus steht. Der rechnet die Entscheidung, die ich getroffen habe, in eine Stimme für diejenige Partei um, die ich auch tatsächlich gewählt habe. Diese Software ist nach wie vor angreifbar. Aber wenn dieses Problem gelöst ist, spricht nichts dagegen, die entsprechende digitale Infrastruktur für eine Wahl zu schaffen. Die gibt es bei uns ja noch gar nicht. Gibt es irgendeine Partei, die sich in dem Punkt engagiert? Die Volksparteien haben das Thema nicht ernsthaft genug aufgegriffen, und ich sehe dort auch niemanden, der sich mit einer Forderung nach E-Voting dafür einsetzt. Mich erstaunt das, denn damit kann man sicherlich Wählerinnen und Wähler gewinnen. Herr Bröchler, vielen Dank für das Gespräch!