Trumps Lawine rollt durch Amerika
An seinem ersten Tag als Präsident setzt Donald Trump seine radikale politische Agenda um. Durch Washington fegt jetzt ein anderer Wind – zum Polarfrost kommt eiskalter Tatendrang. Und die Demokraten wirken wie gelähmt. Bastian Brauns berichtet aus Washington Ein eisiger Wind zieht durch die schneebedeckten, spiegelglatten Straßen Washingtons. Sirenen schrillen, das Rattern der Helikopterrotoren durchpflügt die Luft. Soldaten, Polizisten und Nationalgardisten stehen an Zäunen, Pollern, Barrikaden. Häuserblock um Häuserblock reihen sich die Menschen, sie alle wollen zu Trump. Männer und Frauen in dicken Mänteln verkaufen Trump-Devotionalien. Gläubige rufen durch Megafone. Und verkünden im Namen Gottes: "Denn auch ihr werdet sterben." Amerika zur Amtseinführung. Amerika im Ausnahmezustand. Von den großen LED-Bildschirmen an der Capitol One Arena in der Innenstadt von Washington blickt der alte, neue Präsident und ruft in die Januar-Kälte zu jenen, die nicht hineingekommen sind: "Das wird ein toller Fernsehtag!" Für seinen ersten Tag zurück im Oval Office verspricht Donald Trump die ganz große Show. Zehntausende seiner Anhänger jubeln – in der Arena, auf den Straßen, in den Kneipen. Das Schweigen der Demokraten Nur die Bewohner der US-Hauptstadt sind kaum zu sehen. Der District of Colombia ist an diesem 20. Januar eine vereiste Geisterstadt. Auf den Wegen wandeln Menschen, die hier sonst nicht leben. Nur am Dupont Circle lärmen etwa hundert Leute. Sie tragen Tücher und Flaggen von Palästina – und Schilder, auf denen steht: "Der Sozialismus siegt über den Faschismus." Vor acht Jahren, als Donald Trump zum ersten Mal sein Amt als Präsident antrat, trieb der Widerstand noch eine halbe Million Amerikaner durch die Straßen Washingtons. Jetzt ist er zusammengeschrumpft zu einem kleinen Protestnest. Die Demokraten in diesem Land sind still geworden, obwohl der politische Gegner sich radikaler gibt und handelt als je zuvor. Ganz Washington, ganz Amerika, so scheint es, befindet sich in diesen ersten Stunden des Machtwechsels im Trump-Taumel. Die Demokraten wirken gelähmt. Von Widerstand kaum eine Spur. Nadine ärgert sich über die Agonie des eigenen Lagers: "Wir erleben die Normalisierung, ausgerechnet jetzt, da wir Widerstand leisten müssten." Sie hält ein Transparent, das einen mutmaßlichen Mörder feiert: "Luigi before Parasites". Sie solidarisiert sich mit Luigi Mangione, jenem 24-jährigen Amerikaner, der vor wenigen Wochen Brian Thompson, den Chef der Krankenversicherung United Healthcare in New York erschossen haben soll. Für sie ist er ein Held im Kampf gegen den Klassenfeind eines ausbeuterischen, kapitalistischen Systems ohne Sozialstaat. Eine Liste wie eine Lawine Donald Trumps versprochene Unterhaltungsshow wird zur gleichen Zeit nur ein paar Blocks weiter unumkehrbare Realität. Als 47. US-Präsident ist er zurück im Weißen Haus. Im Wahlkampf hatte er auf die suggestive Frage, er werde doch gewiss kein Diktator sein, kokettiert: "Nein, nein, nein, außer am ersten Tag." Jetzt sitzt er wieder am mächtigsten Schreibtisch der Welt und unterzeichnet gleich in den ersten Stunden seiner Präsidentschaft an die hundert Dekrete. Genüsslich sagt er vor den laufenden Kameras im Oval Office: "Oh, das ist ein großes Ding." Dann greift er nach seinem Füller. Und mit einem Handstreich sind die USA nicht mehr Teil der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Was in diesen ersten 24 Stunden in den USA anrollt, ist nur ein Vorgeschmack auf die Präsidentschaft der kommenden vier Jahre. Um Mitternacht ist das Pariser Klimaabkommen verlassen. In den USA geborene Kinder von illegalen Einwanderern verlieren ihre Staatsbürgerschaft. Der nationale Notstand ist ausgerufen, um nach Öl zu bohren. Auch die Situation an der Grenze zu Mexiko gilt jetzt als Notlage, um sie mit dem Militär gegen Einwanderer abzusichern. Drogenkartelle aus dem Nachbarland gelten jetzt als Terroristen. Importierte Waren aus Kanada und Mexiko sollen ab dem 1. Februar mit Strafzöllen von 25 Prozent belegt werden. Der Europäischen Union droht Trump mit ähnlicher Vergeltung für das hohe Handelsdefizit. Trumps Liste ist eine Lawine. Sie soll alles begraben, alle verwirren und überwältigen. Die schiere Masse an neuen Gesetzen macht es Reportern unmöglich, kritisch nachzufragen, für schnelle Gerichtseinsprüche und Proteste von politischen Gegnern soll keine Zeit bleiben. Aber das wohl entscheidendste Signal von Trump an seine Anhänger ist in dieser ersten Nacht: Politische Gewalt wird verziehen, wenn sie in seinem Namen ausgeübt wird. Denn der Präsident begnadigt per Unterschrift nahezu alle der mehr als 1.500 Gefangenen vom Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Darunter auch den Anführer der rechtsextremen "Proud Boys", Enrique Tarrio. Verurteilt war er eigentlich zu 22 Jahren Haft. Doch der Verbrecher hat beste Kontakte zu Roger Stone, einem rechtsextremen Berater und Lobbyisten für Trump – und bekennendem Fanboy der "Proud Boys". Für Trump sind es die treuesten der Treuen. Er nennt sie politische Gefangene und Geiseln. Trump gilt als Vertrauensperson In einem kleinen Café neben der Trump-Arena hat Cody Acevedo Schutz vor der Kälte gesucht und macht sich um all das keine großen Gedanken. Er kommt aus Kalifornien und ist extra zur Amtseinführung von Trump angereist. "Diese Temperaturen bin ich nicht gewohnt", sagt er. Deswegen mag er auch nicht stundenlang anstehen, um die nach drinnen verlegten Presidential Parade anzusehen. Der 23-Jährige mit roter MAGA-Baseballkappe arbeitet bei Starbucks. Über Politik begann er nachzudenken, als sie von ihm im Job verlangten, sich gegen Covid impfen zu lassen. So erzählt er es. Mit 19 habe er noch demokratisch gewählt: "Jetzt aber habe ich mich mit den Dingen beschäftigt." Cody ist überzeugt, eine Elite von geldgierigen, korrupten Machthabern in Washington abgewählt zu haben. Dass dafür nun ein Multimilliardär im Weißen Haus sitzt, an seiner Seite Elon Musk , der reichste Mann der Welt, empfindet er nicht als Widerspruch. "Es geht um Vertrauen", sagt Cody. Donald Trump sage, was er denkt, auch wenn er damit aneckt. "Dafür bewundere ich ihn." Bei der Arbeit möge er es auch nicht, wenn Leute nach außen hin nett erscheinen, aber in Wahrheit Böses im Schilde führten. Bei Trump sei es das genaue Gegenteil. Es geht ums Geschäft Mitten in dieser vom eisigen Wetter und vom politischen Umschwung heimgesuchten Stadt sitzt Ken Fitzpatrick aus Tennessee in einer Bar beim Public Viewing der Amtseinführung für Trump-Fans. Der frisch vereidigte Präsident hat im Fernseher gerade seine Antrittsrede gehalten und darin den Beginn eines goldenen Zeitalters und eine geplante Landung auf dem Mars verkündet. Fitzpatrick will nicht verraten, für wen er gestimmt hat. Der 50-jährige Unternehmer beteuert, er habe gute Laune, egal ob die Demokraten oder die Republikaner gewinnen. Denn in beiden Fällen verdiene er jedes Mal viel Geld. Fitzpatrick ist Chef von "Premiere Transportation", einem Busunternehmen, das seit Jahrzehnten die Wahlkampftouren organisiert – und zwar für beide politischen Lager. "Wir werden immer gebucht", sagt er. Sogar Hollywood miete seine Wahlkampfbusse für politische Serien wie "Madam Secretary". Fitzpatrick beschreibt, dass beide Seiten dieses Mal extrem enthusiastisch gewesen seien. Kamala Harris und Donald Trump seien "beide zwei wirklich inspirierende Redner". Dass es dieses Mal keine Großproteste gegen Donald Trump in Washington gibt, erklärt sich Fitzpatrick so: "Es scheint so, als würden die Menschen ihm jetzt einen Vertrauensvorschuss geben." Weil Trump schon einmal vier Jahre Präsident gewesen sei, trauten die Menschen ihm jetzt mehr zu. "Wir sind keine Diktatur geworden. Er scheint deutlich fokussierter zu sein. Die hohen Beliebtheitswerte spiegeln das wider", sagt er. In vier Jahren werde es dann neue Wahlen geben, mit neuen Chancen. "Das ist gut für Amerika. Und das ist gut für mein Geschäft", sagt Fitzpatrick und grinst. Washington ist in diesen ersten Präsidentschafts-Stunden voller politischer Überzeugungstäter. Die meisten von ihnen fliegen bereits am Dienstag wieder ab in ihre Heimat-Bundesstaaten. Enttäuscht von der ausgefallenen großen Amtseinführung, aber euphorisiert von Donald Trumps Tatendrang. In der Bar sitzt auch John zusammen mit seinem Ehemann am Tresen. "Diese Wechselstimmung ist gut für das Land", sagt er. Die beiden haben vergangenes Jahr in Trumps Club Mar-a-Lago ihre Hochzeit feiern dürfen. "Obwohl wir keine Mitglieder sind", sagt er stolz. Dass Trump gegen Transgender-Personen hetzt, bereitet den beiden keine Sorgen. "Es war Trump, der die Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe aus dem Parteiprogramm der Republikanischen Partei gestrichen hat", sagt Johns Ehemann. Homosexuellen drohe also nichts Schlimmes. "Diese Messe ist gelesen." Eine "Gender-Ideologie" dagegen, darin sind sie sich mit ihrer Partei einig, habe nun mal nichts in Schulen und bei Kindern zu suchen. Furcht vor einer Ära politischer Verfolgungen An diesem Tag des Triumphs der Republikaner wirken die Demokraten wie geprügelte Hunde. Mit versteinerten Mienen sitzen Joe Biden und Kamala Harris, zusammen mit Barack Obama , mit Bill und Hillary Clinton direkt hinter dem Rednerpult von Donald Trump inmitten der Rotunde im Kapitol. Der 47. Präsident spricht von "vergangenen vier dunklen Jahren", die jetzt endlich zu Ende seien. Ab heute, so Trump, seien die USA wieder eine "unabhängige Nation". Nur wenige Minuten zuvor hatte Joe Biden noch seine Geschwister und deren Ehepartner präventiv begnadigt. Nach Jahren voller Drohungen hat nicht nur die Biden-Familie Angst vor einer Zeit der politischen Verfolgung. Als letzte Amtshandlung begnadigte Biden unter anderem den früheren medizinischen Berater während der Covid-Pandemie, Anthony Fauci , und Trumps früheren militärischen Stabschef, General Mark Milley. Noch vor der Wahl hatte der eine letzte Warnung abgegeben: Donald Trump sei "der gefährlichste Mann der Nation" und "durch und durch faschistisch". Zu später Stunde findet schließlich doch noch eine hochrangige Demokratin ihre Worte wieder. Nancy Pelosi, die langjährige Sprecherin des Repräsentantenhauses, veröffentlicht eine Presseerklärung zu Trumps Begnadigungen der Gewalttäter vom 6. Januar 2021. "Die Maßnahmen des Präsidenten sind eine ungeheuerliche Beleidigung unseres Justizsystems und jener Helden, die beim Schutz des Kapitols, des Kongresses und der Verfassung körperliche Narben und emotionale Traumata erlitten haben", schreibt sie. Der Beschluss des Präsidenten sei "beschämend" und insbesondere ein "Verrat an den Polizeibeamten, die ihr Leben damals aufs Spiel gesetzt haben". Ganz unten an der National Mall, dort, wo Trump eigentlich gerne vor einer großen Menschenmenge gesprochen hätte, steht eine ältere Frau und hält ein rotes Schild, auf dem "Stop Trump" steht. Auch sie hat eine Erklärung dafür, dass angesichts der radikalen Veränderungen dieses Mal so viel weniger Menschen in den Straßen der Hauptstadt protestieren: "Die Leute sind unfassbar erschöpft und müde", sagt sie. Das aber bedeute gar nichts. "Im Inneren, da kocht es gewaltig", ist sie sich sicher. "Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist es mit der Ruhe hier vorbei."