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Kolumne: Blick aus Berlin: Was es alles so NICHT in diese Kolumne schafft

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Deutsche Politiker und ihr Wahlkampf werfen ziemlich viel Stoff ab. So auch Scholz, Merz und Weidel. Aber vieles davon wird nicht Kolumne, sondern landet ganz woanders.

Jede Woche finden Sie hier meine Kolumne. Vielleicht sind Sie manchmal ein bisschen gespannt, wovon sie diesmal handelt. Darf ich Ihnen was verraten? Geht mir genauso.

Es kommt vor, dass ich das Thema der Kolumne selbst noch nicht kenne, wenn ich am Tag des Redaktionsschlusses morgens aufwache. Am Abend vor dem Einschlafen peinigt mich nicht selten eine letzte Überlegung: Warum hast du über das Thema geschrieben, das andere wäre besser gewesen.

Die Suche nach einem Thema ist ein fortwährender Prozess. Man sieht, hört, liest etwas, eine Nachricht, einen Spruch, eine Zahl, eine Tendenz, etwas Berührendes, etwas Lustiges, einen großen Blödsinn. Man prüft, wägt, fragt sich, ob es für etwas steht, das eine Kolumne wert ist, bastelt erste Formulierungen und verwirft doch wieder alles. So gibt es deutlich mehr Themen, die nicht Kolumne geworden sind, als Themen, die ich verarbeitet habe. Der Entstehungsprozess hinterlässt also nicht nur etwa 3500 Zeichen, sondern auch einen großen Haufen gedanklichen Restmüll.

Daran sollen Sie diese Woche teilhaben. Lesen Sie deshalb nicht eine Betrachtung zu einem bestimmten Thema, sondern stattdessen, was Ihnen erspart geblieben ist.

Nichts Berichtenswertes der Politiker diese Woche

Da wäre die Rede von Olaf Scholz auf dem Parteitag der SPD. 19-mal hat der Kanzler von den "ganz normalen Leuten" gesprochen, an denen er sein Wahlprogramm ausrichte. Diese karge Formulierung ist das rhetorische Überbleibsel eines berühmten und überaus anschaulichen Satzes von Bill Clinton. In seiner Nominierungsrede von 1992 sprach er über jene Amerikaner, "die die Arbeit machen, Steuern zahlen, Kinder aufziehen und nach den Regeln spielen". Darunter konnte man sich was vorstellen. Scholz’ "ganz normale Leute", das mag politisch gut gemeint sein – aber der Vergleich zu Clinton zeigt, wie blutleer der Kanzler selbst im Wahlkampf bisher kommuniziert. Seine Sprache ist einfach nicht zu fassen. Thema für eine Kolumne kann das aber erst wieder sein, wenn es endlich anders wird.

Feature SPD Parteitag 18.15

Was ist mit Friedrich Merz und seinem skandalösen Vorschlag, Doppelstaatsbürgern im Falle einer schweren Straftat den deutschen Pass zu entziehen? Da gilt die Devise, dass man eine schlechte und wahrscheinlich verfassungswidrige Idee, mit der sich Merz nur bei den Wählern der AfD beliebt machen will, nicht auch noch aufwerten sollte, indem man ihr eine Kolumne widmet. Damit lässt man zwar auch die Gelegenheit sausen, mal wieder den Unterschied zwischen Angela Merkel und Friedrich Merz aufzuzeigen, weil die Kanzlerin 2016 die Courage hatte, sich einem CDU-Parteitagsbeschluss gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zu widersetzen. Aber Merkel selbst legt keinen großen Wert mehr auf Unterschiede zu Merz. Warum sollte ich 3500 Zeichen darauf verwenden?

"Und ich kann Ihnen sagen, wenn wir am Ruder sind, wir reißen alle Windkraftwerke nieder." Das stammt von Alice Weidel. "Nieder mit diesen Windmühlen der Schande", hat die AfD-Kanzlerkandidatin auf ihrem Parteitag gerufen. "Alle Windkraftwerke", das wären mehr als 30.000, Kostenpunkt pro Abriss zwischen 50.000 und 150.000 Euro, also rund drei Milliarden Euro. Hinterher hat Weidel gesagt, sie habe gar nicht alle Windräder gemeint, sondern nur 18 umstrittene in einem hessischen Forstgebiet. Die könnte Weidel allerdings nicht niederreißen, weil sie noch nicht einmal aufgebaut sind. Aber wollen Sie noch einen Text über die AfD lesen, die sich so gern missverstehen lässt?

Ich bin echt gespannt, wovon die Kolumne diese Woche handelt.