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Sturm aufs Kapitol: Trump will Geschichte umschreiben

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An diesem 6. Januar soll nicht nur Trumps Wahlergebnis offiziell zertifiziert werden. Vier Jahre nach dem Sturm auf das Kapitol könnte Trump mit einem historischen Schritt die Ereignisse von damals umschreiben – und seine Loyalisten belohnen. Bastian Brauns berichtet aus Washington Der 6. Januar ist in den USA seit vier Jahren ein besonderes Datum – in diesem Jahr gleich in doppelter Hinsicht. Wie kaum ein anderes in der amerikanischen Geschichte steht es für die Spaltung des Landes. Denn am Nachmittag des 6. Januar 2021 stürmte ein Mob von Unterstützern das Herz der US-Demokratie; mit Gewalt reagierte er auf Donald Trumps Lügen vom massenhaften Wahlbetrug. Es gab Tote und Dutzende Verletzte. In diesem Jahr fällt der Jahrestag nun ausgerechnet mit der endgültigen Bestätigung von Trumps zweiter Präsidentschaft zusammen. Kommt der Zertifizierungsprozess im Kongress ohne besondere Vorkommnisse zum Abschluss, kann sich damit der Mann auf seine zweite Amtszeit offiziell vorbereiten, der für den Sturm auf das Kapitol bis heute die moralische und politische Hauptverantwortung trägt. Eine von Trumps ersten Maßnahmen als 47. US-Präsident könnte ein umfassender Begnadigungsplan für diejenigen sein, die wegen ihrer Beteiligung an den Unruhen vor vier Jahren verurteilt wurden oder auf ihren Prozess warten. Mit einem Schlag könnte Trump als neuer Präsident dann Hunderte Häftlinge und Verurteilte freisprechen. Es wäre ein dramatischer, historisch nie dagewesener Schritt. Eine Art Massenbegnadigung hatte bislang lediglich der kürzlich verstorbene 39. US-Präsident Jimmy Carter im Jahr 1977 pauschal für Vietnam-Kriegsdienstverweigerer verfügt. Mehr als 200.000 Amerikaner waren damals wegen Wehrpflichtverstößen angeklagt, mehr als 100.000 flohen ins Ausland. Carters Amnestie ermöglichte ihnen die straffreie Rückkehr und symbolisierte nationale Versöhnung nach einem zutiefst umstrittenen Konflikt. Trumps Begnadigungsplan für die Straftäter und Verdächtigen des 6. Januar 2021 hingegen dürfte kaum zur nationalen Versöhnung beitragen. Im Gegenteil. Der zum zweiten Mal gewählte Präsident scheint die Geschichte rund um den 6. Januar neu schreiben zu wollen – zum Unmut großer Teile der amerikanischen Bevölkerung. Trumps Begnadigungsplan: Belohnung für Loyalität Trumps Gnadenplan soll US-Medienberichten zufolge mehr als 1.000 Personen umfassen, die wegen ihrer Rolle am 6. Januar verurteilt oder angeklagt wurden. Bis Ende 2024 wurden bislang rund 1.572 Personen angeklagt. Von denen legten etwa 1.000 bereits ein Schuldbekenntnis ab. Mehr als 200 wurden seither vor Gericht schuldig gesprochen. Die Strafen reichen von wenigen Wochen bis vielen Jahren – wie im Fall von Stewart Rhodes, dem Anführer der rechtsextremen "Oath Keepers". Er wurde zu 18 Jahren Haft verurteilt. Oder Enrique Tarrio, dem Anführer der ebenfalls rechtsextremen "Proud Boys", der 22 Jahre Haft erhielt. Eine zentrale Rolle bei der Umsetzung dieses Plans spielt unter anderem die Aktion "Pardon47". Die Gründer betreiben eine eigene Webseite, die alle Fälle juristisch unterstützen will, damit Trump seine Entscheidungen am "Tag Eins" seiner Präsidentschaft verkünden kann. Trump hat bereits im Wahlkampf versprochen, jeden ihm vorgelegten Fall einzeln zu prüfen. Dabei will er seinen Schwerpunkt aber offenbar auf nicht gewalttätige Straftäter legen. Doch auch eine solch selektive Nachsicht würde die Verantwortung für den Kapitolangriff empfindlich untergraben. Überraschend käme die Massenbegnadigung nicht. Donald Trump und seine politischen Unterstützer stellen die Kapitolstürmer seit Jahren als "politische Gefangene" dar. Es ist eine Rhetorik, die an Begriffe erinnert, wie sie in Deutschland von Anhängern einst für die Mitglieder der terroristischen "Rote Armee Fraktion" (RAF) verwendet wurden. Bei vielen seiner politischen Kundgebungen ließ Trump unter anderem die amerikanische Nationalhymne spielen, eingesungen von einem Gefangenenchor aus Teilnehmern des Kapitolsturms vom 6. Januar. Auf einer inzwischen eingestellten Webseite wurden über viele Monate mit der von Trump geförderten Aufnahme Spendengelder gesammelt. ( Mehr dazu lesen Sie hier ) Mit solchen Aktionen mobilisierte Trump schon früh nach der verlorenen Wahl seine Basis und baute an seiner Erzählung, jegliche Strafverfolgung gegen ihn und sein Anhänger sei nichts als politische Willkür: "Diese Menschen wurden unglaublich ungerecht behandelt", sagte Trump immer wieder und bezeichnete die Verfahren als "eine Schande für unser Land." Ein imaginierter "Deep State" lasse diese Menschen in den Gefängnissen geradezu verrotten. Wer sind die Gefangenen des 6. Januars? Die in den vergangenen Jahren geschaffenen Unterstützungsnetzwerke für die Inhaftierten des 6. Januars erinnern in ihrer Struktur ebenfalls an den deutschen Terror aus den Siebzigerjahren. Damals entstand die "Rote Hilfe", die einst Mitglieder der RAF unterstützte. In den USA haben Organisationen wie das "Patriot Freedom Project" etwa Millionen von Dollar gesammelt, um Anwaltskosten zu decken und um die Familien der Verurteilten zu unterstützen. Die Spenden stammen von Trumps Basisaktivisten, aber auch von konservativen Großspendern und religiösen Gruppen. Allein die große finanzielle Rückendeckung zeigt, wie tief der gesellschaftliche Graben in der Bewertung des 6. Januar ist. Die inhaftierten Kapitolstürmer von 2021 kommen aus allen möglichen Schichten der amerikanischen Gesellschaft: Darunter befinden sich Militärveteranen, Polizisten, Unternehmer und allerlei selbst ernannte Patrioten. Viele von ihnen waren schwer bewaffnet – mit Schusswaffen, chemischen Sprays oder Elektro-Tasern. Viele griffen Polizisten an oder koordinierten das Durchbrechen der Sicherheitsbarrieren. Ein Mann mit dem Namen Guy Reffitt brachte sogar eine Pistole ins Kapitol und stellte sich an vorderster Front der Polizei entgegen. Er verbüßt derzeit eine siebenjährige Haftstrafe. In Washingtoner Sicherheitskreisen wird genau beobachtet, ob Trump tatsächlich nur nicht gewalttätige Gefangene begnadigen wird. Würde er auch Gewalttäter freilassen, hätte das noch weitreichendere Folgen. Die Symbolik einer solchen Aktion könnte künftig zu politischer Gewalt geradezu ermutigen und den Rechtsstaat untergraben. Ein gefährlicher Präzedenzfall würde geschaffen, bei dem gewalttätige Menschen sich im Zweifel auf Trump verlassen könnten. Nicht ohne Grund will der Präsident seinen engen Vertrauten Kash Patel zum FBI-Chef machen. Ein Aufbegehren des Sicherheitsapparats könnte so unterbunden werden. Warum die Begnadigungen für Trump so wichtig sind In Washington geht man davon aus, dass Trump mit seinem Plan wohl gleich mehrere Ziele verfolgt. Zum einen stärkt er mit massenhaften Begnadigungen seine verbreitete Lüge von einer gestohlenen Wahl. Das wäscht auch ihn von Schuld rein. Zugleich kann er sich vier Jahre nach dem Aufstand als Retter all jener präsentieren, die in seinem Namen handelten und ihm bis heute die Treue gehalten haben. Indem er sie auf diese Weise als reine politische Gefangene eines angeblichen Elitensystems darstellt, festigt er den Rückhalt in seiner Basis. Nicht nur für die extremen MAGA-Anhänger stellt der 6. Januar bis heute einen Kampf für die Demokratie und damit einen gerechtfertigten Aufstand im Sinne einer nationalen Notwehr dar. Trump belohnt seit jeher Loyalität und würde mit seinen Begnadigungen ein klares Signal senden: Wer zu mir hält, kann auf meinen Schutz zählen. An seinen Gegnern würde Trump mit den Begnadigungen seine erste politische Rache üben. Sollte Trump, wie er es schon mehrfach angekündigt hat, nach seiner Amtsübernahme auch Jagd auf seine politischen Gegner machen, wäre das der nächste historische Tabubruch.