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Der Balkonist: Misanthropische Gedanken zur Vorweihnachtszeit

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Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer

Kennen Sie dieses Gefühl in der Vorweihnachtszeit, wenn einfach keine richtige Adventstimmung aufkommen will? Ähnlich ergeht es dieses Jahr auch unserem Balkonisten. War das Wetter schon tagelang trübe, ließen auch die täglichen Nachrichten aus dem besten Deutschland aller Zeiten wenig Positives für die Zukunft erwarten.

So zeigen auch die nachfolgend geschilderten Erlebnisse seiner Frau nicht gerade eine unbeschwerte glückliche Vorweihnachtsstimmung, wie man sie eigentlich hätte erwarten wollen in der Zeit von Friede, Freude und christlicher Feierstimmung: So wirkten beim Besuch des hiesigen Weihnachtsdorfes unter dem regenschweren Himmel die meisten Leute betrübt oder in sich gekehrt, die Mundwinkel selbst nach Genuss des anregenden Glühweins eng zusammengekniffen, als ob man in eine Zitrone gebissen hätte.

Doch an dem gut und süß schmeckenden Glühwein konnte dies nach Gertrudes Ausführungen eben nicht liegen. Die Gesprächsthemen am Nebentisch waren ebenso trübe, ging es doch um Arbeit, Alltagssorgen und das Gefühl, dass Politiker sämtlicher Couleur eigentlich nichts mehr mit den Sorgen und Nöten der Bevölkerung zu schaffen hätten. Noch ein, zwei Gläser Wunschpunsch mehr, und die gelockerten Zungen hätten womöglich recht unangenehme populistische Parolen herausgebrüllt. Doch in Anbetracht der Preissteigerungen allenthalben fehlte glücklicherweise dafür das erforderliche Kleingeld. Ein Hoch auf die fürsorgliche Geldentwertung durch die ideologisierte Umweltpolitik der Regierung!

Einige Wortfetzen kamen von einer entfernteren Gruppe (weißer, aber nicht alter) Männer im Dress eines lokalen Sportvereins herübergeweht. Diese forderten, sich über die Unglaubwürdigkeit der Nachrichtensendungen echauffierend, zunächst lauthals einen Boykott derartiger Ausstrahlungen im Radio und Fernsehen. Um sich alsbald jedoch wieder in unverfänglichen biedermeierlichen Gesprächsthemen zu ergießen: Nun ja, es werde schon nicht so schlimm kommen mit den Krisen und Krieg, alles wäre doch immer noch beinahe zum Besten!

Wenigstens schienen diese gezwungen optimistischen Aussagen ihre Psychohygiene wieder aufzubessern, sodass bald wieder leicht und laut lallend irgendwelche naiven Zoten zum Besten gegeben wurden. Das wiederum schien durchaus nicht allen Umstehenden zu gefallen, die mit gereizten und teils bösen Blicken zu erkennen gaben, dass man sich bei solch lautem Geplärre kaum mehr vernünftig unterhalten könne.

"Unterhaltung braucht man ja auch nicht, wenn es eigentlich nichts Positives zu erzählen gibt", war der arg schneidige Kommentar unseres Balkonisten, der heute Morgen keine endlosen Ausführungen seiner Ehefrau hören wollte – zu sehr war er selbst in eigene misanthropische Gedanken versunken. Gertrude konterte wie gewohnt ein wenig bissig, dass sie sich dann auch mit der Geschirrspülmaschine unterhalten könne.

Zumindest würde sie von dieser beim Sprechen nicht ständig unterbrochen! Sie wolle aber jetzt dennoch ihren Eindruck schildern, dass sich überhaupt und allerorten eine unterschwellige Gereiztheit und nervöse Anspannung in das Verhalten der Menschen hineinmische. Um erneut unterbrochen zu werden, diesmal von einem abrupten lauten "Miau" des aus dem Dösen aufschreckenden Katers Murr III., der ganz offensichtlich dem unwürdigen Theater nun ein Ende zu setzen gedachte. "Ach, ach, und ER, der Hochwohlgeborene, gibt nun auch noch seinen katerhaften Senf dazu!", sagte sie und setzte sich endgültig in die Küche ab.

"Murr, das war nun wirklich nicht höflich." Diesen Tadel musste sich der arme Kater denn auch noch anhören, wo er stattdessen eine lobende Zustimmung vom Balkonisten erwartet hatte: So sind sie nun einmal, die Menschen: Hilft man ihnen, so verstehen sie es nicht einmal!

Dennoch ein letzter Versuch des Hauskaters – spielte er mit seinen Pfoten nunmehr dem Balkonisten einen halb ausgerissenen Zeitungsausschnitt zu. "Was hast du denn da wieder gefunden und beinahe zerrissen?", begann Michael, um dann völlig perplex seine Rede zu vergessen: "Was? Hast du … DAS etwa gelesen?", lautete der stockende Kommentar aus dem Munde unseres Balkonisten. Jedoch konnte er sich aus dem sphinxhaften Minenspiel des schwarzen Katers keinen rechten Reim machen.

In besagtem Artikel des Lokalteils der Zeitung war die Klage über die "unerwartet geringen" Besucherzahlen auf dem Weihnachtsmarkt zu vernehmen, trotz des ach-so-tollen Programmes "für Jung und Alt" – womit die wenigen Auftritte einiger abgehalfterter, vormals wohl halb prominenter Musikanten und Kabarettisten gemeint sein sollten. Wovon hingegen nicht die Rede war, sind die massiven Preissteigerungen von Speisen und Getränken, die wiederum dem Exzess der Pachtgebühren folgen mussten. Wie bedacht doch die Stadt auf das Wohlergehen ihrer Standbetreiber und Einwohner ist!

Und dann fiel das "Highlight" des Weihnachtsmarktes am vergangenen Samstag auch noch buchstäblich ins Wasser: Ergoss sich doch den ganzen Tag überreichlicher Regen aus schier endlosen himmlischen Kübeln. Traditionell kommt hier an diesem Samstag eine bunte Vielzahl kleiner Stände von Vereinen und Privatpersonen zusammen und locken Gäste aus fern und nah an – aber eben nicht bei derart schlechtem Wetter. Ist solch ein Reinfall nicht irgendwie charakteristisch für die diesjährige Adventsstimmung in Deutschland?

So wird wohl auch die Halbzeitbilanz der Adventszeit insgesamt recht dürftig ausfallen, ließ sich aus dem Augenaufschlag des Katers entnehmen. Unterstützt wurde diese Einschätzung durch das halblaute Fazit unseres Balkonisten, der wieder einmal einen seiner Lieblingssprüche zum Besten gab: "Früher war alles besser, und heute ist alles nichts mehr. So haben es in meiner Jugend schon die alten Leute mit ihrer immensen Lebenserfahrung gesagt, und so sollen sie wohl bis in alle Zeit Recht behalten."

Was er aber insgeheim doch ziemlich schade findet, wenn es um die ehemals wunderschöne Vorweihnachtszeit geht; zumal sich für die heutige Problemlage gewisse politische und gesellschaftliche Gründe finden ließen, die kaum mit arrogant anmutendem Moralisieren, einem zur Schau gestellten "Anständigsein" und weltfremder politischer Korrektheit zu lösen wären. Das scheint auch ein Teil dieser verdrießlich gestimmten Mitbürger unbewusst zu ahnen und hat nun anscheinend die (Schmidt'sche?) Schnauze voll von der allgemeinen, realitätsvergessenen Schönfärberei.

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