Handelsverband-Chef über Weihnachtsgeschäft: "Die Situation ist ernst"
Die Kauflaune der Deutschen ist getrübt: Hohe Inflation und weltweite Krisen sorgen für Verunsicherung. Handelsverband-Chef Genth erklärt, was das für die Wirtschaft bedeutet. In deutschen Innenstädten duftet es nach Bratwurst, Crêpe und Glühwein . Um die Weihnachtsmarktbuden und in den umliegenden Geschäften tummeln sich die Menschen. Doch kaufen sie auch etwas? Die jüngsten Wirtschaftsprognosen dürften viele Unternehmer besorgen. Die Industriestaaten-Organisation OECD etwa sieht Deutschland beim Wirtschaftswachstum für das kommende Jahr als Schlusslicht. Mehr dazu lesen Sie hier . Und auch die deutschen Institute geben eher vorsichtige Töne von sich. Das ifo-Institut rechnet bereits mit mehr Kurzarbeit und weiterem Stellenabbau . Im Interview mit t-online erklärt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefahn Genth, wie das Weihnachtsgeschäft bisher angelaufen ist, welche Trendprodukte zum Kauf anregen und warum er trotz aller Prognosen optimistisch auf das Jahr 2025 blickt. t-online: Herr Genth, haben Sie selbst schon Weihnachtsgeschenke besorgt? Stefan Genth: Nur zum Teil. Jedes Jahr denke ich mir im Sommer: Eigentlich müsste ich diesmal früher damit anfangen. Am Ende wird es dann doch immer November und Dezember. In vielen Städten ist aktuell hoher Betrieb, am Wochenende sind die Weihnachtsmärkte gestartet. Belebt das den Handel? Es ist eher andersherum: Die Menschen kommen vor allem zum Shoppen in die Innenstadt und gehen dann auch auf einen Weihnachtsmarkt. Aber die tolle Atmosphäre dort verstärkt tatsächlich die Kauflust. Weihnachtsmärkte schaffen ein emotionales Umfeld, das die Menschen aus ihrem Alltag abholt. Heißt das, gerade läuft es in den Läden gut? Es geht. Auch, wenn die Wochenenden gut besucht sind: Die Konsumenten sind verunsichert durch Inflation , hohe Strompreise und geopolitische Krisen. Deshalb ist das Kaufverhalten insgesamt zurückhaltend. Dennoch erwartet Ihr Verband ein leichtes Umsatzplus von 1,3 Prozent im Weihnachtsgeschäft. Wie passt das zusammen? Das liegt sicher vor allem an den Adventswochenenden, die traditionell stark sind. Unsere Prognose zeigt: Im Schnitt wollen die Menschen rund 300 Euro pro Kopf für Geschenke ausgeben. Und die Handelsunternehmen setzen in den letzten beiden Monaten des Jahres rund 121 Milliarden Euro um. Auch abseits von Weihnachten sehen wir eine stabile Umsatzentwicklung im Einzelhandel . Wo liegt dann das Problem? Die Ansprüche der Unternehmen an das Weihnachtsgeschäft sind höher als das, was wir gerade sehen. Viele Branchen machen in dieser Zeit ein Viertel ihres Jahresumsatzes. Es wäre viel mehr drin, denn eigentlich stehen die Deutschen im europäischen Vergleich hervorragend da. Wir haben hohe Einkommen und Vermögen. In der Corona-Zeit wurde viel gespart. Doch viele Menschen sind unsicher, ob ihr Arbeitsplatz in Zukunft sicher ist, und sparen lieber. Dieses ungute Gefühl hemmt den Konsum. Jeder zweite Nicht-Lebensmittelhändler erwartet deshalb ein schlechteres Weihnachtsgeschäft als im Vorjahr, wie unsere Umfragen zeigen. Sehen Sie denn gewisse Trends in diesem Jahr? Neben Klassikern wie Spielwaren, Unterhaltungselektronik und Schmuck sehe ich zwei spannende Entwicklungen. Erstens: kleine Luxusprodukte wie Dubai-Schokolade , die sehr gefragt sind. Das ist ein typisches Beispiel für den "Lipstick-Index" – ein Phänomen, bei dem Menschen in Krisenzeiten kleine, erschwingliche Luxusartikel kaufen, um sich etwas zu gönnen. Zweitens: Gesellschaftsspiele und Bücher, die für eine Rückkehr zum Analogen stehen. Sie schaffen gemeinsame Momente – das passt besonders gut zur Weihnachtszeit. Gerade waren Black Friday und Cyber Monday. Verschieben diese Rabattschlachten das Weihnachtsgeschäft noch vorn? Nein, sie sind vielmehr zusätzliche Impulse. Besonders Unterhaltungselektronik profitiert hier, aber auch andere Branchen mischen mit. Für die beiden Aktionstage erwarten wir Umsätze von rund 5,9 Milliarden Euro, ähnlich wie im Vorjahr. Aber bringt das nicht vor allem Onlinehändlern etwas? Onlinehändler profitieren natürlich, aber auch der stationäre Handel läuft gut. Nur etwa 17 Prozent des Weihnachtsgeschäfts im November und Dezember findet online statt: etwa 21,5 Milliarden Euro. Viele Verbraucher sind flexibel: Sie kaufen dort, wo es für sie bequem ist – online oder offline. Die Klagen aus dem stationären Handel klingen, als wäre es deutlich mehr. Ist die Sorge vor einem Veröden deutscher Innenstädte also übertrieben? Nein, die Situation ist ernst. Seit 2019 haben wir etwa 40.000 Geschäftsschließungen erlebt. Besonders betroffen sind Nebenlagen und kleinere Städte. Dort gibt es oft keine Nachnutzung, und das gefährdet nicht nur den Handel, sondern auch die Nahversorgung. Was braucht es, damit Händler vor Ort wieder erfolgreicher werden? Attraktivere Innenstädte, die mehr sind als reine Shoppingzonen. Gastronomie, Kulturangebote, Freizeitmöglichkeiten und Wohnraum müssen miteinander kombiniert werden. Außerdem braucht es ein besseres Verkehrskonzept – Innenstädte müssen erreichbar sein, egal ob per Auto, Fahrrad oder öffentlichem Nahverkehr. Können Sie konkrete Beispiele nennen, wo das bereits gut funktioniert? Münster ist ein tolles Beispiel. Die Stadt verbindet historisches Flair mit einer hohen Aufenthaltsqualität. Auch Osnabrück macht vieles richtig, etwa durch kreative Aktionen wie Kinderübernachtungen im Kaufhaus oder gemeinsame Lieferdienste für lokale Händler. Solche Ideen wirken – und sie sollten Schule machen. Stattdessen haben die Deutschen zuletzt vor allem die großen Insolvenzen bei Galeria und Esprit mitbekommen. Ist da ein Trend zu erkennen? Für dieses Jahr hatten wir mit rund 5.000 Geschäftsschließungen gerechnet und aktuell sieht es so aus, als würde das auch eintreffen. Für das kommende Jahr haben wir noch keine konkrete Prognose. Von einem Trend will ich da dennoch nicht sprechen. Denn wir sehen auch: Neue Konzepte vor allem in starken Lagen funktionieren. In Stadtteilzentren oder Mittelstädten bleibt die Situation schwierig. Hier braucht es dringend Lösungen, um den negativen Trend aufzuhalten. Rechnen Sie aber damit, dass sich die Situation nach den Neuwahlen verbessert? Ich hoffe es. Die Politik muss klare Prioritäten setzen: weniger Bürokratie, niedrigere Energiepreise und mehr Fokus auf die Attraktivität unserer Städte. Das geht aber nur, wenn die stärkste Partei eine echte Mehrheit hat und die Strukturen stabil und demokratisch bleiben. Wenn Sie sich von der neuen Regierung eine Sache wünschen könnten, was wäre das? Mehr unternehmerische Freiheit. Statt ständiger Regulierung und Berichtspflichten sollten Unternehmen wieder eigenverantwortlich handeln dürfen. Der Handel in Deutschland ist bereits nachhaltig und sozial – die Politik sollte darauf vertrauen und sich auf klare Rahmenbedingungen konzentrieren. Konkret heißt das: Wettbewerbsfähige Energiepreise – nicht nur, wie oft gefordert, für die Industrie – sondern auch für den Handel. Aber auch eine Deckelung der Sozialversicherungsabgaben gehört da für mich dazu. Haben Sie eine Kanzlerpräferenz? Privat vielleicht, aber als Verband unterstützen wir alle demokratischen Parteien. Wichtig ist, dass die neue Regierung pragmatische Lösungen findet und die Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Gesellschaft verbessert. Ein Thema könnte noch vor den Wahlen diskutiert werden. Denn die FDP will nun das Lieferkettengesetz kippen. In der Vergangenheit haben Sie sich kritisch zu dem Gesetz geäußert. Ist das nun also der richtige Weg? Die FDP ist damit nicht allein, auch der Bundeskanzler hat zuletzt angekündigt, dass das Lieferkettengesetz bis zum Jahresende abgeschafft wird. Das ist bisher nicht passiert. Das ist völlig paradox: Aus allen Fraktionen der ehemaligen Ampel gibt es mittlerweile Stimmen, die das Gesetz abschaffen wollen und dennoch war die Einigkeit nicht groß genug, es tatsächlich zu beschließen. Für die Unternehmen ist das nur noch irre. Ich kenne Fälle, da wurden 100 neue Mitarbeiter eingestellt, nur um die neuen Berichtspflichten zu erfüllen. Gerade der Handel hat es da schwer, da er die letzte Schnittstelle vor dem Endkunden ist und selbst aber nur selten den Produktionsprozess gestaltet. Allerdings sollen diese Pflichten auch erst ab 1.000 Mitarbeitern starten. Das stimmt, aber viele Händler mit mehreren Filialen erreichen diese Schwelle schnell und auch kleinere Mittelständler machen sich Sorgen darüber, inwiefern sie doch als Teil der Lieferkette gelten und rechtlich belangbar wären. Sollte das Lieferkettengesetz nicht mehr gekippt werden, spüren das Verbraucher bald am Preis? Natürlich wird sich das Lieferkettengesetz auf die Preise auswirken, allein schon die hohen Personalkosten für zusätzliche Mitarbeiter müssen gestemmt werden. Aber wie hoch und direkt diese Anstiege ausfallen werden, kann aktuell nicht auf einzelne Produkte heruntergebrochen werden. Die größten Probleme, auch für Verbraucher, würden aber auch mit einer Abschaffung des deutschen Gesetzes nicht gelöst. Sondern? Neben dem deutschen Lieferkettengesetz gibt es auch noch ein europäisches. Deswegen ist es natürlich erstmal richtig, dass wir nicht zwei Gesetze mit teils unterschiedlichen Regelungen brauchen. Die Unternehmen brauchen Sicherheit. Dazu gehört für mich dann aber auch, dass die Marktverzerrung durch Plattformen aus nicht europäischen Drittstaaten, wie bei Temu und Shein, angegangen wird. Denn da heißt es von den zuständigen Behörden für das Lieferkettengesetz, dass sie da bislang nichts machen können. Aber da muss man sich einfach mal vorstellen: Täglich kommen rund 400.000 Pakete von diesen Shops nach Deutschland, überwiegend mit Elektroschrott und Produkten, die hier sonst nicht vertrieben werden dürfen, wegen fehlender Kennzeichnung oder Schadstoffbelastung. Das ist eine eklatante Wettbewerbsverzerrung. Wenn Sie die aktuelle Gemengelage aus offenem Wahlausgang, mangelnder Kaufbereitschaft und unsicherer Rechtslage beim Lieferkettengesetz zusammennehmen. Schauen Sie pessimistisch ins kommende Jahr? Wir sind näher als jede andere Branche an den Kunden und ich wage zu behaupten, wir sind damit auch näher an den Menschen als die Politiker. Das heißt, wir bekommen direkt mit, wie die Menschen eingestellt sind, und das stimmt mich tatsächlich zuversichtlich. Doch diese Zuversicht hängt stark vom Ergebnis der Neuwahlen ab. Der Handel, aber auch Deutschland insgesamt, braucht demokratische Strukturen und klare Verhältnisse. Wir müssen wieder spüren, dass sich etwas bewegt und dass die Herausforderungen in der Wirtschaft, aber auch in der Geopolitik angepackt werden. Wenn das eintritt, haben wir im kommenden Jahr die Voraussetzungen, dass es besser wird, als wir es momentan wahrnehmen. Herr Genth, vielen Dank für das Gespräch.