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FDP-Chef Lindner und sein Grundsatzpapier: Die Scheidung von der Ampel?

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Die FDP hat zuletzt viele Papiere geschrieben und allerlei Forderungen aufgestellt. Nun hat Finanzminister Christian Lindner eines geschrieben, das die Ampel aus den Angeln heben könnte. Oder will er nur den Preis hochtreiben? Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hat in einem Grundsatzpapier eine neue Wirtschafts- und Finanzpolitik in Deutschland gefordert. In einem 18-seitigen Dokument spricht Lindner von einer "Wirtschaftswende mit einer teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen". Dies sei erforderlich, "um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden". Mit den Forderungen, etwa in der Klima- und Energiepolitik, setzt sich Lindner deutlich von seinen Koalitionspartnern Grüne und SPD ab. Angesichts der teilweise drastischen Wortwahl Lindners und des seit Monaten drohenden Ampelbruchs erinnert das Papier viele Beobachter an das Lambsdorff-Papier von 1982. Der damalige Wirtschaftsminister und FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff hatte damals auf einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel gedrängt und damit die sozial-liberale Koalition zu Fall gebracht. Das Papier ging als "Scheidungsbrief" in die Geschichte ein. Ist das, was Lindner nun zu Papier brachte, also der Scheidungsbrief der Ampel? Was fordert der Finanzminister genau? Stichelei gegen Ampelpartner Lindner beginnt scharf. Mit der erwähnten "grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen" distanziert er sich in Teilen von der gemeinsamen Regierungspolitik seit 2021. So nennt er nicht nur die weitgehend bekannten Probleme im Land – Investitionsstau, geringe Produktivität, geringes Arbeitsvolumen, "Sonderweg beim Klimaschutz" –, sondern geht einen Schritt weiter: Nicht nur seien die Probleme "von der Politik" (also von der Ampel) nicht bearbeitet, sondern teilweise "vorsätzlich herbeigeführt" worden. Wen genau er in der Ampel beschuldigt, wirtschaftliche Probleme quasi mit Absicht herbeigeführt zu haben, erwähnt er nicht. Aber die Gemeinten dürften sich angesprochen fühlen. Ein schwerer Vorwurf gegen nicht genannte Regierungsmitglieder. Bürokratieabbau, Steuern runter, Soli weg Inhaltlich stellt Lindner eine Reihe von Forderungen auf, um die Wirtschaft wieder flottzumachen. Konkret schlägt er einen sofortigen Stopp aller neuen Regulierungen für die nächsten drei Jahre vor. Dieses Moratorium gelte auch für neue Gesetzesvorhaben, die mehr Bürokratie schaffen: Diese sollten dann entweder "ganz entfallen" oder so ausgestaltet sein, dass Regulierung dadurch sinke. Lindner erwähnt dabei namentlich das Tariftreuegesetz, das aus dem Haus von Arbeitsminister Heil (SPD) stammt. Ein Herzensprojekt der SPD, das schon seit Wochen unter Beschuss der FDP steht. Lindners Forderungen in den Kernbereich der Sozialdemokraten gehen jedoch weiter: Als "Sofortmaßnahme" solle zudem der Solidaritätszuschlag entfallen, schreibt der FDP-Chef in seinem Papier: Zunächst soll er um 2,5 Prozentpunkte auf drei Prozent gesenkt werden und 2027 ganz wegfallen. Auch hier ist Streit vor allem mit der Kanzlerpartei vorprogrammiert: Gegen die vollständige Soli-Abschaffung wehrt sich die SPD seit Langem energisch. Außerdem schlägt der Finanzminister vor, die Körperschaftsteuer zu senken, zunächst um zwei Prozentpunkte, später noch mehr. Vor allem zu hohe Unternehmenssteuern trügen zum "Absturz Deutschlands" in den Standortrankings bei. Woher er das Geld für die Steuersenkung nehmen will, verrät Lindner nicht. Streitfall Bürgergeld Auch beim Bürgergeld setzt der Finanzminister zu einer grundsätzlichen Kritik an: Die Regelsätze seien 2024 zu sehr erhöht worden und lägen über dem Bedarf, in vielen Fällen lohne sich die Aufnahme von Arbeit monetär nicht. Das System gehöre "reformiert", Modelle dazu lägen bereits vor, schreibt Lindner. Das Ziel: Bürgergeld-Empfänger müssten "individuell schlechter gestellt werden gegenüber dem Status quo". Das sei im Sinne der Aktivierung auch "zu begrüßen". Auffällig ist, dass Lindner mit keinem Wort erwähnt, dass die Ampel bereits zweimal bei den Bürgergeld-Sanktionen nachgeschärft und sich vor allem die SPD in der Frage stark auf die FDP zubewegt hat. Lindner hätte auf die Fortschritte der Regierung verweisen und trotzdem argumentieren können, dass ihm das nicht weit genug gehe. Dass er es verschweigt, wirkt so, als würde er die Kanzlerpartei bewusst provozieren wollen. Haushalt 2025 Neben den Einsparungen beim Bürgergeld sieht Lindner auch bei den gesetzlichen Sozialversicherungen Kürzungsbedarf: "Anpassungen" bei den Abschlägen für Frührentner beziehungsweise bei Zuschlägen für Menschen, die länger arbeiten möchten. Der FDP-Chef fordert einen "echten flexiblen Renteneintritt". Das mühsam mit der SPD ausgehandelte Rentenpaket II, das bisher von der FDP blockiert wird, erwähnt Lindner mit keinem Wort. Mit Blick auf die Haushaltsgespräche 2025 fordert Lindner eine weitere Ausgabensenkung. Die Einnahmebasis habe sich um elf Milliarden Euro verringert. Die Aufgabe könne nur gelöst werden, wenn der Weg der "qualitativen Konsolidierung konsequent fortgesetzt" werde. Darunter versteht Lindner die strikte Einhaltung der Haushaltsdisziplin aller Ressorts, eine mögliche Neupriorisierung der Einzeletats und die Anpassung der Konjunkturkomponente der Schuldenbremse. Klimapolitik: Komplette Rolle rückwärts Sein schärfstes Schwert hat sich Lindner für Seite 10 aufgehoben: ein radikales Umsteuern in der Klimapolitik der Ampel. Unter dem Punkt "Abschaffung von unnötigen klimapolitischen Regulierungen und Subventionen" stellt Lindner den deutschen Kohleausstieg 2038 infrage. Auch sollte sich Deutschland in der EU für weniger Regulierung im Energiebereich einsetzen. Und dann ein Satz, der bei den Grünen die Alarmglocken schrillen lassen dürften: "Klimapolitisch motivierte Dauersubventionen" gehörten abgeschafft, der Klima- und Transformationsfonds (KTF) aufgelöst, so Lindner. Der KTF wird von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verwaltet, Habeck nutzt ihn vor allem dazu, zentrale Projekte der Energiewende zu finanzieren. Dass Lindner nun vorschlägt, Habeck ein zentrales politisches Instrument wegzunehmen, könnte der letzte Funken sein, der das Ampelhaus entflammen könnte. Taugt es als Scheidungsurkunde? Doch ob es wirklich als "Scheidungsbrief" taugt oder so gemeint war wie das "Lambsdorff-Papier" seiner Zeit, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen entscheiden. In der Koalition gibt man sich abwartend, manche verweisen auf Lindners zweiten Wirtschaftsgipfel nächsten Montag, für den er schon mal Vorschläge aufbereitet. Aus der SPD sind gar vergleichsweise versöhnliche Töne zu hören. So sagt der Co-Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD, Tim Klüssendorf, zu t-online: "Angesichts der zahlreichen Papiere und Vorschläge von Christian Lindner wird es allmählich schwierig, den Überblick zu behalten." Gute Vorschläge seien willkommen, "doch das FDP-Wahlprogramm als Lösung zu präsentieren, bringt uns nicht weiter". Für den wesentlichen Teil der Forderungen werde es in der Ampel keine Mehrheiten geben. "Das weiß der Finanzminister auch", so Klüssendorf.